Rezension über:

David J. Mattingly: Between Sahara & Sea. Africa in the Roman Empire (= Thomas Spencer Jerome Lectures; 26), Ann Arbor: University of Michigan Press 2023, XXV + 717 S., 131 Farb-Abb., ISBN 978-0-472-13345-1, USD 44,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Dennis Mario Beck
Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Dennis Mario Beck: Rezension von: David J. Mattingly: Between Sahara & Sea. Africa in the Roman Empire, Ann Arbor: University of Michigan Press 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 4 [15.04.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/04/38526.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

David J. Mattingly: Between Sahara & Sea

Textgröße: A A A

Dieses facettenreiche Buch von einem Experten der nordafrikanischen Archäologie und Geschichte, David J. Mattingly, ist das erste englischsprachige Überblickswerk zum Thema und beleuchtet umfassend sowohl zeitlich vom 1. Jahrtausend vor Christus bis in die Spätantike hinein als auch räumlich von der Kyrenaika über Gebiete südlich der Sahara bis zu den Kanarischen Inseln den südlichen Mittelmeerraum. Zusammen mit Beiträgen im 2022 erschienen Companion von Bruce Hitchner (Hg.) [1] und einem 2024 publizierten Sammelband von Niccolò Mugnai (Hg.) [2], erweitert Mattinglys Band das in vielen Fachrichtungen gewachsene Interesse an der Region. Mattingly legt dar, inwiefern die Erforschung des antiken Nordafrikas von den kolonialistischen Vorstellungen primär während der französischen, britischen, italienischen und spanischen Besetzung des Maghreb geprägt wurde und leitet daraus einen distinktiv postkolonialistischen Ansatz als Leitlinie für den Band ab. Er plädiert für eine Veränderung in der Nordafrikaforschung, um sich vermehrt mit der Geschichte der autochthonen Völker Nordafrikas auseinanderzusetzen. Diese Völker werden in den verschiedenen Zeiträumen ihrer Existenz mit ihren eigenen kulturellen Errungenschaften und in Relation zu den jeweiligen externen wie internen Herrschaftsstrukturen betrachtet. Mattinglys Argumentation basiert auf der Idee, dass Nordafrika nicht nur ein passives Gebiet phönizischer, punischer und römischer Eroberung war, sondern in mehrere Regionen zerfällt, die eine eigene Geschichte besitzen. Er widerlegt die verbreitete Annahme, dass Rom Nordafrika erst zivilisierte, und zeigt auf, dass es bereits vor der Ankunft der Römer komplexe Gesellschaften gab. Diese umfassten sesshafte und nomadische Gruppen, die sich über die Zeit hinweg in Interaktionen mit phönizischen, griechischen und römischen Einflüssen entwickelten. Anstatt Nordafrika als eine homogene Einheit innerhalb des Römischen Reiches zu betrachten, hebt er hervor, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, z. B. Berber, Numider, Punier oder Römer, verschiedene kulturelle Ausdrucksformen entwickelten, die nicht in die Dichotomie von "römisch" und "nicht-römisch" oder "römisch vs. autochthon" eingeordnet werden können.

Das Buch ist in sechs inhaltliche Teile gegliedert, die in fortlaufend nummerierte Kapitel unterteilt sind. Hieran schließen ein Appendix mit chronologisch aufgebauter Tabelle, die Bibliographie und der Index an. Der erste Teil legt die theoretischen Grundlagen und diskutiert die Herausforderungen bei der Interpretation archäologischer und historischer Quellen im Kontext früherer kolonialer Perspektiven. Mattingly stellt die Quellen, Probleme sowie die Geografie und Bewohner vor. Das zweite Kapitel benennt die Probleme vieler Nordafrikastudien, bei denen sich die modernen imperialen Mächte teils als Nachfolger der Römer präsentierten und ihren positiven Einfluss auf die Region postulierten. Die primitive Lebensweise der einheimischen Bevölkerung, z. B. von Nomaden außerhalb des Römischen Reiches, wurde als Grundlage für deren Romanisierung herangezogen und war wiederum ein attraktives Vergleichsmodell für die europäischen Staaten im 19. und 20. Jahrhundert.

Der zweite Teil (Kapitel 3-5) thematisiert die kulturellen Begegnungen in Nordafrika von 1000 v. Chr. bis 40 n. Chr., wobei der Fokus auf den Interaktionen zwischen einheimischen Gemeinschaften und eingewanderten Gruppen (Phöniziern, Griechen und Römern) liegt. Mattingly untersucht die materiellen Kulturen der urbanen, ruralen und militärischen Gemeinschaften und zeigt auf, wie regionale und soziale Unterschiede die Entwicklungen in Regionen prägten. Er stützt sich auf die Daten rezenter Studien und archäologischer Feldprojekte, um die eisenzeitlichen proto-urbanen und urbanen Siedlungen sowie landwirtschaftliche Tätigkeit in mehreren Regionen Nordafrikas anzuführen und dekonstruiert die Prämisse eines unterentwickelten Afrikas, das erst durch die Migration verschiedener Völker kulturelle Errungenschaften erlangte. Mattingly führt das Konzept der "discrepant identity" ein, um die vielfältigen Identitäten und Erfahrungen der Bevölkerungsgruppen zu analysieren (70). Das Modell sieht den kulturellen Austausch als einen multidirektionalen Prozess von unten nach oben (bottom up) und nicht von oben nach unten (top down) an und betont die Vielfalt der Möglichkeiten, wie indigene Völker und Individuen mit Kulturen in Kontakt kamen. Es setzt sich mit der multifaktoriellen Identität auseinander und damit, wie eine Person oder eine Gemeinschaft Aspekte ihrer Identität für bestimmte Kontexte nutzte(n).

Im dritten Teil (Kapitel 6-7) behandelt Mattingly die kaiserzeitlichen militärischen Gemeinschaften. Dabei spricht er sich aufgrund schriftlicher und archäologischer Belege für Aufstände und Kämpfe nicht nur in der ersten Phase der römischen Einwirkung aus, sondern allgemein in der Kaiserzeit und kontrastiert damit das oft vorherrschende Bild der ruhigen Provinzen. Neu ist dies nicht, wie Andreas Gutsfeld 1989 in einer im englischsprachigen Raum kaum rezipierten Monografie zeigte. [3] Die Machtkonzentration in Regionen mit hoher Dichte an Militärlagern und Anzahl an Soldaten, wirkten sich laut Mattingly auf die Militärgemeinschaften und ihre kulturelle Distanz zur "afrikanischen" Bevölkerung aus. Da für das Heer in den nordafrikanischen Provinzen jedoch auch in den autochthonen Völkern rekrutiert wurde, sieht Mattingly im militärischen Bereich die hybriden Identitäten, die typisch für das römische Nordafrika sind. In diesen Militärgemeinschaften nahmen die tria nomina und die lateinische Sprache eine wichtige Rolle ein, wie Inschriften belegen und er argumentiert, dass der Synkretismus als Phänomen im Militär tiefer verwurzelt war als in ruralen oder urbanen Gemeinschaften (312). Es ist aber zu fragen, inwiefern eine kulturelle Zugehörigkeit im römischen Militär rein anhand der überlieferten Namen, zumal im 3. Jh. n. Chr., in das die meisten Inschriften datiert werden, so festzuhalten ist. Als ein Beispiel für die religiösen Eigenheiten in den Militärgemeinschaften nennt er wenig überzeugend die Dii Mauri, die seiner Ansicht nach überwiegend in militärischen Kontexten vorkommen, während spezifisch afrikanische Götter eher lokal von Zivilisten verehrt wurden. Gegen diese Sicht sowohl in der Forschung als auch bei Mattingly auf die Dii Mauri wurde aber bereits an anderer Stelle argumentiert und belegt, dass dies eben kein militärisches Phänomen ist, sondern in Zivilsiedlungen ebenso Weihungen vorkommen. [4]

Im vierten Teil zu den städtischen Gemeinschaften mit zwei Kapiteln (8-9) argumentiert Mattingly für die Betonung vorrömischer und parallel zur römischen Herrschaft existierender Siedlungsformen, wobei er sich in den Beispielen auf Gebiete im Bereich nördlich der Sahara, Mauretanien und Numidien fokussiert. Die ältesten Phasen von Städten sind in der römischen Kaiserzeit meist überbaut worden und standen im Rahmen der kolonialistisch geprägten Ausgrabungen nicht im Interesse. Diese Vernachlässigung ist eine der großen Aufgaben der Stadtforschung in Nordafrika. Die vielen bekannten Toponyme der Städte und deren äußere Erscheinungen, deuten dabei oft auf bis dato wenig untersuchte lange Stadthistorien hin.

Der fünfte Teil befasst sich in zwei Kapiteln (10-11) mit den ruralen Gemeinschaften und deren Identitätsfragen und Ausdrucksweisen in der römischen Kaiserzeit. Unter vielen wichtigen Aspekten sind die Fragen nach der Nutzung von Sprachen (Latein, Punisch und Libysch) in den jeweiligen Kontexten und den damit verbundenen Identitätskonstruktionen hervorzuheben. Mattingly zeigt auf, dass die libysche und punische Sprache in ländlichen Gebieten nicht pauschal als Ausdruck von Resistenz gegenüber einer römischen Dominanz anzusehen ist, sondern dies die Alltagssprachen waren und in Funerär- oder Sakralkontexten auf lokale Traditionen zurückgehen, die in der Kaiserzeit im Medium der Inschriften artikuliert werden (490).

Im sechsten Teil schließt Mattingly inhaltlich mit einem Kapitel zur Wirtschaft, das eine Übersicht zum Forschungsstand darstellt und neue Ergebnisse zum Transsaharahandel vorlegt. Zuletzt wiederholt er die vorgebrachte These des vorrömischen weit verbreiteten Siedlungswesens sowie der landwirtschaftlichen Produktivität, die eine Grundlage für den Reichtum der römischen Provinzen und vieler Regionen in Nordafrika waren (560-1).

Das Buch ist ein bedeutender Beitrag zur Erforschung Nordafrikas in der Antike und legt einen wichtigen Fokus auf die einheimischen Völker. Eine Leerstelle, die der Leitlinie des Buches zugrunde liegt, sind die Fragen nach der Abhängigkeit und den Machtgefällen nicht pauschal innerhalb der römischen Provinzen, sondern in den unterschiedlichen Regionen. Eine Analyse des Umgangs bspw. mit militärischer Präsenz, kaiserlicher Landnahme oder Koloniegründungen, könnte die verschiedenen akuten wie langfristigen kulturellen Veränderungen zeigen, die als Phänomene von "Africa in the Roman Empire" wichtig sind. Für die diejenigen, die sich mit postkolonialer Archäologie und der Dekonstruktion eurozentrischer Geschichtsperspektiven beschäftigen, ist dieses Buch ein Standardwerk.


Anmerkungen:

[1] B. Hitchner (ed.): A Companion to North Africa in Antiquity. Blackwell companions to the ancient world, Hoboken 2022.

[2] N. Mugnai (ed.): Tripolitania in the Roman Empire and Beyond, in: BILNAS Vol. 4 (2024).

[3] A. Gutsfeld: Römische Herrschaft und einheimischer Widerstand in Nordafrika: Militärische Auseinandersetzungen Roms mit den Nomaden, Stuttgart 1989.

[4] D. M. Beck / Die Dii Mauri: ein nordafrikanisches Götterkollektiv in seiner archäologischen und epigraphischen Überlieferung, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 135 (2020), 237-280.

Dennis Mario Beck