Rezension über:

Márta Fata (Hg.): Melioration und Migration. Wasser und Gesellschaft in Mittel- und Ostmitteleuropa vom 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts (= Schriftenreihe des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde; Bd. 25), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2022, 346 S., ISBN 978-3-515-13145-2, EUR 68,00
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Rezension von:
Rita Gudermann
Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung, Erkner
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Rita Gudermann: Rezension von: Márta Fata (Hg.): Melioration und Migration. Wasser und Gesellschaft in Mittel- und Ostmitteleuropa vom 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2022, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 4 [15.04.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/04/40038.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Márta Fata (Hg.): Melioration und Migration

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Der Band befasst sich mit dem Verhältnis von Meliorationen (also den Be- und Entwässerungsmaßnahmen zur Verbesserung des Bodens für die Landwirtschaft) und der Besiedlung von Feuchtgebieten und Mooren in der Frühen Neuzeit und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In zwölf Einzelbeiträgen werden die Herausforderungen und Folgen dieser Aktivitäten sowie ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft beleuchtet. Im Fokus des Sammelbandes stehen Schauplätze in den deutschen Territorial- und Flächenstaaten und der östlichen Habsburgermonarchie. Die Texte gehen zurück auf eine schon 2013 in Tübingen veranstaltete Tagung und stellen für die meisten Gebiete Mittel- und Ostmitteleuropas noch immer den Stand der historischen Forschung dar. [1] Das Thema der tiefgreifenden Landschaftsveränderungen durch Be- und Entwässerungsmaßnahmen hat viele Jahrzehnte lang nur wenig Beachtung gefunden und rückt erst seit Kurzem mit den Diskussionen über die Wiedervernässung von Mooren wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Dabei wiederholen sich in nahezu allen Aufsätzen des Bandes die gleichen Befunde von nicht intendierten negativen Folgen für Natur und Gesellschaft.

Alwin Hanschmidt befasst sich mit der Moorkolonisation im Emsland im 17. und 18. Jahrhundert. Am Beispiel der Gründung der Fehnkolonien Papenburg und Twist zeigt er auf, dass für große Teile der landarmen Schichten nur der Hollandgang und die Auswanderung nach Amerika einen Ausweg aus glücklosen Kolonisationsanstrengungen boten. Uwe Folwarczny untersucht die hohenzollernsche Kolonisation von den Anfängen bis 1740 am Beispiel des Netzebruchs, der mangels eines übergreifenden Kolonisationskonzepts nur punktuell besiedelt wurde. Entwässerungsarbeiten wurden nur unsystematisch von den Siedlern selbst umgesetzt. Dies bemängelt der Autor, berücksichtigt allerdings zu wenig, dass auch die unter der Leitung der preußischen Landeskulturbeamten durchgeführten Meliorationen unerwünschte Folgemaßnahmen nach sich zogen. Martin Schmid stellt die Kolonisierung des Donaumooses in den Mittelpunkt seiner Untersuchung - ein Projekt, das schon bei den Zeitgenossen höchst umstritten war. Das Ergebnis sei "ein soziales wie ökologisches Desaster" gewesen; die Kolonisierung wertet er als "eine prinzipiell hochriskante gesellschaftliche Aktivität" (130).

Heinrich Kaak stellt die Frage, ob die alteingesessenen Untertanen oder aber die neuen Kolonisten im brandenburgischen Oder- und Warthebruch seit 1750 "besser ins 19. Jahrhundert" gekommen seien. Während die frühen Kolonisten ein besseres Los traf als die preußischen Gutsuntertanen und Leibeigenen, entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nur bäuerliche, sondern auch nicht existenzfähige kleinstbäuerliche Betriebe, die ihre Besitzer in die Armut trieben. Einen Blick auf soziale Verwerfungen richtet auch Zoltán Kaposi am Beispiel der Melioration in Südtransdanubien (1750-1850), also dem Gebiet zwischen Donau, Drau und dem Plattensee. Hier überstiegen die Kosten für die Meliorationen die Möglichkeiten der meisten Grundbesitzer bei Weitem, was das System des Großgrundbesitzes verfestigte, während kleinere Bauern zur Abwanderung gezwungen waren.

Eberhard Fritz befasst sich mit der 1824 gegründeten Kolonie Wilhelmsdorf im Königreich Württemberg, dem einzigen religiös motivierten Kolonisationsprojekt im Südwesten Deutschlands. Das Projekt scheiterte bald an Konflikten über die Umsetzung der Entwässerungsarbeiten. Um den Ruf des württembergischen Pietismus nicht zu beschädigen, wurde der Ort jedoch von der religiösen Gemeinschaft gerettet; seine Schaffung entwickelte sich sogar zu einem pietistischen Gründungsmythos.

Zumindest teilweise als Erfolgsgeschichten zu erzählen sind Projekte im Temeswarer Banat (heute Rumänien), in der Batschka (heute Serbien und Ungarn) sowie im "Morast" um die heutige ungarische Hauptstadt Budapest. Josef Wolf befasst sich mit dem spättheresianischen Banat, einem durch Sümpfe und Moraste gekennzeichneten Gebiet, das als geradezu "flüssiger" Raum wahrgenommen wurde. Maßgeblich für die Verbreitung dieses Bildes war die Wahrnehmung der Vermessungsingenieure vor Ort, deren Arbeit zu einem wichtigen Experimentierfeld bei der Durchsetzung gesellschaftlichen Fortschritts und politischer Macht wurde. Márta Fata beschreibt die symbolträchtige Aneignung des Temeswarer Banats (1718-1778) durch die habsburgische Verwaltung, die in der zeitgenössischen Diskussion gern mit der Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe im antiken Rom verglichen wurde. Zwar führte sie partiell zu verbesserten Lebensverhältnissen, sichereren Verkehrswegen und verlässlicheren Handelsbedingungen; es ging mit ihnen jedoch auch die Zurückdrängung traditioneller Lebens- und Wirtschaftsformen einher. Karl-Peter Krauss betrachtet das Thema "Ansiedlung, Überschwemmung und Krisenmanagement" in der Batschka im 18. Jahrhundert. Hier gaben die Überschwemmungen der Jahre 1784-1786 und die im Zusammenhang damit auftretenden Epidemien den Impuls für die Trockenlegung und die stufenweise Ausdehnung des Kulturlandes. Eleonóra Géra befasst sich mit der Nutzung und Entwässerung des "vergessenen Morasts" von Buda (Ofen) im 18. und 19. Jahrhundert, die, obwohl wesentlich für die Entwicklung der ungarischen Hauptstadt, von der stadthistorischen Forschung bisher kaum beachtet wurden.

Mit literarischen Orten der Melioration befassen sich Martin Knoll und Endre Hárs: Knoll zeichnet am Beispiel des bayerischen Donaumooses und des ostpreußischen Tieflandes die Wahrnehmung von Sumpf- und Moorlandschaften und ihre Verwendung in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit auf. In ihr wurden Moore zu Kerngebieten reformatorischer Postulate über den Fortschritt und die Machbarkeit menschlicher Interventionen. Hárs beleuchtet die Verarbeitung des technischen Fortschritts und der Naturgestaltung im Werk des prominenten ungarischen Schriftstellers Mor Jökai (1825-1904), in dem die Entwässerung von Mooren und Flussregulierungen eine große Rolle spielen. Seine Naturschilderungen sind mehr als romanhafte Kulissen oder Sehnsuchts- und Fluchtorte: Sie üben scharfe Kritik an der existierenden Gesellschaft, während die von ihm dargestellten Wasserbauingenieure eine moderne und verantwortungsvolle Gesellschaft vorausdenken.

In der Summe ergibt sich ein Bild der Meliorations- und Kolonisationsprojekte als überaus vielschichtiger und krisenhafter Prozesse, die mitnichten die erwünschten Verbesserungen zeitigten, sondern immer von massiven ökonomischen und sozialen Verwerfungen gekennzeichnet waren. Dies gilt es zu beachten, wenn heute - mit gleicher Begeisterung wie im 18. und 19. Jahrhundert - der Ruf nach staatlichen Wiedervernässungsprojekten laut wird.


Anmerkung:

[1] Vergleiche aber: Anna Veronika Wendland / Diana Siebert / Thomas M. Bohn: Polesia: Modernity in the Marshlands. Interventions and Transformations at the European Periphery from the Nineteenth to the Twenty-first Century, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 68/3 (2019), 319-343.

Rita Gudermann