Paul Brakmann / Lea Hilsemer (Hgg.): Instruktive Bilder. Visuelle Anleitung praktischer Fertigkeit (= Bildwelten des Wissens; Bd. 20), Berlin: De Gruyter 2024, 148 S., 55 Farb-Abb., ISBN 978-3-68924-164-3, EUR 29,95
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Instruktive Bilder haben nicht zuletzt in der COVID 19-Pandemie (erneut) ihren Wert bewiesen, sie treten immer dort auf, "wo auf effiziente Weise gleichförmiges praktisches Wissen an Viele vermittelt werden soll". (9) Der 20. Band des Periodikums Bildwelten des Wissens, herausgegeben von Paul Brakmann und Lea Hilsemer, setzt sich über epochale Grenzen hinweg mit dem Phänomen der handlungsanweisenden Bilder in diversen Kontexten auseinander. Instruktive Bilder begegnen uns ständig im Alltag, sie sind massenhaft vorhanden und zumeist grafisch reduziert gestaltet. Aufgrund dieser Eigenschaften treten sie vielleicht manchmal in den Hintergrund, werden nicht (mehr) explizit wahrgenommen oder ihre Funktionsweise nicht hinterfragt. Umso wichtiger scheint es also, sich ihnen ausführlicher zu widmen: Fünf inhaltliche Artikel werden hier flankiert von einer Einleitung, einem Wiederabdruck eines Aufsatzes samt Einführung, einer Bild- sowie einer Filmbesprechung und zwei übergreifenden Essays. Eingerahmt werden die Texte, wie üblich in der Reihe, von zwei Bildtableaus mit Beispielen.
Die Artikel widmen sich einer großen Bandbreite von einzelnen Beispielen, die interessanterweise größtenteils aus der Vormoderne stammen. Von einem Grundmotiv, der "abgetrennten, ort- und körperlosen Hände" (Janina Wellmann, 23), über schematische Bilder, die gleichzeitig Prozess und Ergebnis zeigen sollen (Heinzgerd Brakmann, Annette Tietenberg), hin zu anleitenden, gymnastischen Körperbildern (Volkhard Wels, Evke Rulffes) spannt sich ein breites Portfolio dessen auf, was sich unter der Thematik verstehen lässt.
Gerade die Instruktiven Bilder (hier sind Filme ausgenommen) müssen sich hierbei mit Schwierigkeiten in der medialen Übersetzung auseinandersetzen: Denn wie lassen sich prozessuale Handlungen in (noch) statischen Bilder vermitteln? Die Beiträge finden überraschenderweise mehrere Ansatzpunkte dafür, denen weiter nachzuspüren sich auch mit Blick auf Fragen nach bildlichen Eigenzeiten lohnen würde: Mögliche Ansätze könnten serielle Bilder sein, wie das in der Einleitung (und auf dem Cover) gezeigte Beispiel einer spanischen Airline. Annette Tietenberg hingegen weist darauf hin, dass ihre Beispiele "etwas in Szene setzen, das zu ihrer Entstehung noch gar nicht stattgefunden hat" (58), während Heinzgerd Brakmanns zelebrationstechnische Bilder gerade das Endergebnis und eben nicht den Prozess als solchen darstellen (44-45).
Der Band hat seine Stärken in den Beiträgen, die sich übergreifend mit der Thematik auseinandersetzen, wie zum Beispiel die Einleitung, Ernst Gombrichs Vortrag "Pictorial Instructions" und Salomé Aguilera Skvirskys Beitrag "How Not To: On Instructions and the Process Genre" sowie ausgewählte Stellen der thematischen Artikel. Ausgerüstet mit diesen grundlegenden Ideen ließen sich dann auch die Artikel wieder neu lesen - ein Umstand, der auf die rekursive Lesart der Instruktiven Bilder selbst hinweist. Andererseits ersetzt auch das wiederholte Lesen nicht das Üben und Tun, wie Gombrich den Leser*innen für das Beispiel der "Safety Cards" im Flugzeug darlegt. Man muss die Instruktionen letztlich doch in Handlungen übersetzen. Bräuchte es also letztendlich ein "How To Read" für diesen Band?
Insgesamt hätte der Band von einer größeren kritischen Einordnung profitieren können: Welche Normierungsoperationen liegen diesen Bildern eigentlich zugrunde bzw. welche treiben sie selbst noch weiter voran? Stellenweise wird dies zur Kategorie Geschlecht unternommen, wenn mehrfach ein weiblicher Fuß dadurch dargestellt wird, dass er in einem Stöckelschuh steckt (Rulffes, 71). Dieser Ansatz hätte aber noch einmal weiter ausgeführt werden bzw. auch in seiner Intersektionalität begriffen werden können. Wenn diese Bilder auch als eine Art "Leerstelle" dienen, an denen sich die Körper der Betrachtenden im Idealfall nahtlos einfügen können (sollen) und die Handlungen problemlos nachvollziehbar machen (sollen), muss man sich fragen, wie Bilder und Körper hier im Verhältnis stehen? Nach welchen Kriterien von ability, race, gender, class ist dieses Verhältnis bereits präfiguriert?
Weiterhin - um erneut das Zitat aus der Einleitung aufzugreifen - bleibt zu fragen, in welchen Situationen es besonders von Belang sein kann, dass Informationen für "Viele" bereitgestellt werden, und wer sind diese "Vielen"? Bilder scheinen wohl gerade da eine besondere Relevanz zugesprochen zu bekommen, wo sie auf multilinguale Rezipient*innen treffen; vielleicht sind gerade deshalb die Safety Cards der Fluglinien ein so schlagendes und wiederkehrendes Beispiel.
Auch die Fragen der Un/Übersetzbarkeit bergen noch spannende Forschungsfelder. Der Band scheint dies auch (implizit?) mit seinem letzten Beispielbild zu kommentieren: Gezeigt wird die "[e]rste Seite jeder IKEA-Bauanleitung" (145, Hervorhebung der Autorin), auf der das zweidimensionale Figürchen abgebildet ist, das ratlos vor der Bauanleitung steht, um dann doch den Kundenservice anzurufen und in das Medium der Sprache zu wechseln. Gerade in den Problemen treten die medialen Eigenlogiken von Bild und Sprache hervor, die es zu reflektieren gilt.
Instruktive Bilder. Visuelle Anleitung praktischer Fähigkeit widmet sich einem ubiquitären, alltäglichen - und vielleicht ließe sich sagen: tendenziell offenen - Bildtypus. Dieser Bildtypus vermittelt zwischen Körpern und Handlungen und soll von daher (einfach? vielfach?) Anschlussstellen bieten. Der Band kann verschiedentlich aufzeigen, dass es sich lohnt, Instruktive Bilder hinsichtlich ihrer Rolle als Akteur, der ihnen inhärenten Zeitlichkeit und ihrer Normierungen zu befragen. Gleichzeitig macht er aber auch deutlich, dass eine grundlegende Auseinandersetzung noch aussteht. Auch könnte man sich fragen, ob Instruktive Bilder nicht eines besonderen theoretischen Unterbaus bedürfen, zum Beispiel der Akteur-Netzwerk-Theorie oder der Rezeptionsästhetik. All diese Überlegungen anzuregen, ist der Verdienst dieses Bandes, der, ebenso wie sein Gegenstand, strukturelle Offenheit und Anknüpfungspunkte bietet.
Maja-Lisa Müller