Rezension über:

Klaus Albrecht Schröder / Angela Stief (Hgg.): Ways of Freedom. Von Jackson Pollock bis Maria Lassnig, Albertina 2022, 278 S., ISBN 978-3-9504956-9-0, EUR 34,90
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Rezension von:
Anna Simon
Wien
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Anna Simon: Rezension von: Klaus Albrecht Schröder / Angela Stief (Hgg.): Ways of Freedom. Von Jackson Pollock bis Maria Lassnig, Albertina 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 9 [15.09.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/09/38507.html


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Klaus Albrecht Schröder / Angela Stief (Hgg.): Ways of Freedom

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Von Oktober 2022 bis Januar 2023 war in der Albertina Modern, dem zweiten Ausstellungshaus der Wiener Albertina, eine bemerkenswerte Ausstellung zur abstrakten Malerei zwischen 1945 und 1965 zu bewundern. Die Schau mit dem Titel "Ways of Freedom - Von Jackson Pollock bis Maria Lassnig" kam durch die Zusammenarbeit der Albertina mit zwei großen Privatsammlungen zustande, doch ein Teil der 155 ausgestellten Werke wurde auch von amerikanischen Sammlungen wie dem Metropolitan Museum oder dem Whitney Museum of American Art in New York bereitgestellt. Das Besondere an der Ausstellung war nicht nur, dass sieben Originale von Jackson Pollock zu sehen waren, sondern auch, dass verhältnismäßig viele der Exponate von Künstlerinnen geschaffen wurden. Ein weiterer Schwerpunkt war die österreichische Malerei der Nachkriegszeit.

Begleitet wurde die Schau von einem 280-seitigen Katalog, der zahlreiche hervorragende Reproduktionen und fünf kürzere Essays enthält. Abgerundet wird die Publikation durch eine Chronologie zum "Triumph der Abstraktion" nach 1945 und Kurzbiografien der ausgestellten Künstler. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist das im hauseigenen Verlag der Albertina erschienene Buch allerdings bereits vergriffen.

Im einleitenden Text arbeitet Daniel Zamani heraus, dass die amerikanische und westeuropäische Kunst der Nachkriegszeit als eine Einheit betrachtet werden muss (32). Jackson Pollock und Georges Mathieu kamen um 1945 unabhängig voneinander zu sehr ähnlichen künstlerischen Lösungen. Zu einem bewussten künstlerischen "Dialog auf Augenhöhe" zwischen Amerika und Westeuropa kam es aber erst um 1950. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die Biennale in Venedig im Jahr 1948, als vor allem durch die Sammlung Peggy Guggenheims das erste Mal zeitgenössische amerikanische Kunst in Europa zu sehen war. Ferner betont der Autor, dass Abstrakter Expressionismus und Art Informel auch deshalb nicht voneinander zu trennen sind, weil manche ihrer Vertreter beiden Strömungen angehörten (24). So gab es etwa mehrere amerikanische Künstler, die ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft nach Europa verlegten.

Jeremy Lewison hebt hervor, dass der Abstrakte Expressionismus bereits um 1950 ein wesentlicher Bestandteil der amerikanischen politischen Propaganda war (75). [1] Der Autor wirft die Frage auf, ob es sich bei dieser Kunstströmung wirklich um "Die Form der Freiheit" handle, oder die Idee eigentlich nur eine Erfindung der Kunstkritik beziehungsweise der politischen Propaganda war (66). Lewison legt dar, dass die Ausstellungen zeitgenössischer amerikanischer Kunst, die zwischen 1950 und 1955 durch Westeuropa tourten, bei der europäischen Kritik und auch beim Publikum zunächst nicht viel positives Echo auslösten (83-84). Von vielen Europäern wurde Amerika anfangs als eine "materialistische Besatzungsmacht" angesehen. Auch für die Kunst war erst 1956 und der von Russland brutal niedergeschlagene Aufstand in Ungarn der große Wendepunkt, der zur Etablierung des Abstrakten Expressionismus und der Art Informel als die dominierenden Strömungen der westlichen Kunst führte.

Angela Stief betont, dass amerikanische Künstlerinnen wie Lee Krasner, Joan Mitchell, Helen Frankenthaler oder Elaine de Kooning zu den Mitbegründern der neuen Kunstbewegung gehörten, obwohl ihnen zur damaligen Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde (123, 127). Zwar waren bei den meisten Ausstellungen auch Arbeiten von Frauen zu sehen, doch die Künstlerinnen des Abstrakten Expressionismus werden von der Kritik beziehungsweise Kunstgeschichtsschreibung erst seit den späten 1970ern verstärkt wahrgenommen. Noch schwerer hatten es Künstlerinnen in Europa. Zu den wenigen erfolgreichen europäischen Malerinnen der Nachkriegszeit gehörten die Ungarin Judit Reigl, die um 1950 nach Paris floh, und die Österreicherin Maria Lassnig. Beiden gelang der künstlerische Durchbruch erst relativ spät.

Grazina Subelyte hebt die Bedeutung Peggy Guggenheims als Kunstmäzänin hervor (157). Bemerkenswert sei, dass Guggenheim Pollock bereits in den frühen 1940er Jahren unterstützte, also zu einem Zeitpunkt, als dieser seine "klassischen" Dripping-Bilder noch nicht geschaffen hatte. Die Autorin erwähnt in diesem Kontext auch die aus der Ukraine stammende amerikanische Künstlerin Janet Sobel, die bereits einige Jahre vor Pollock die Dripping-Technik anwendete (167).

Antonia Hoerschelmann erläutert die Anfänge des Informel in Österreich und verweist auf die Paris-Reise von Maria Lassnig und Arnulf Rainer im Jahr 1951 (208). Ursprünglich wollten die beiden Künstler André Breton kennenlernen, kamen dabei aber nicht nur mit der gesamten Pariser Kunstszene um Georges Mathieu, sondern auch mit amerikanischen Kunstwerken in Berührung. Kurze Zeit später fingen sie an, selbst Werke in diesem Stil zu schaffen und fanden zahlreiche Nachfolger.

Insgesamt bietet der Katalog zu "Ways of Freedom" also einen guten Überblick über die Geschichte der abstrakten Malerei der Nachkriegszeit. Obwohl sein Text nicht umfangreich ist, zeichnen die Autoren kein oberflächliches Bild dieser Kunstströmung. Die Kuratoren konnten überzeugend demonstrieren, dass der Abstrakte Expressionismus eigentlich keine amerikanische Erfindung war. Künstler, die Werke in diesem Stil schufen, gab es seit den 1940er Jahren auch in Europa, doch die politisch motivierte Kunstkritik wurde zuerst auf die Amerikaner aufmerksam. Dem könnte man noch hinzufügen, dass es abstrakte Kunst in der Nachkriegszeigt inoffiziell auch in Osteuropa gab. Dies wird in jüngster Zeit vor allem in den Staaten des ehemaligen Ostblocks erforscht, insbesondere im Rahmen der Förderung von Regionen. Die Abstraktion der Nachkriegszeit ist daher nicht per se ein "westlicher" Kunststil. Erwähnenswert ist in diesem Kontext jedoch auch der politische Hintergrund der Ausstellung, der manche Besucher vielleicht nachdenklich stimmte: offensichtlich stand die Veranstaltung im Zeichen des heutigen "transatlantischen Schulterschlusses", in dessen Rahmen sich der österreichische Bundeskanzler mehrfach zur Unterstützung der Ukraine bekannte.

Allerdings ließen die ausgestellten Kunstwerke den Text des Katalogs in jeder Hinsicht verblassen. Die große Konzentration hochkarätiger Arbeiten und die zahlreichen bedeutenden Namen versetzten die Besucher ins Staunen. Ohne Zweifel war diese Schau einer der letzten "großen Würfe" des scheidenden Albertina-Direktors Klaus Albrecht Schröder und ein würdiger Abschluss einer langen Periode in der Geschichte des Hauses.


Anmerkung:

[1] Diese These wurde in der älteren Forschung bereits ausführlich diskutiert, vor allem von Serge Guilbaut, den Zamani erwähnt, Lewison jedoch nicht; Serge Guilbaut: How New York stole the idea of modern art. Abstract Expressionism, freedom, and the Cold War, Chicago 1985.

Anna Simon