Detlef Döring / Kurt Nowak (Hgg.): Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650-1820). Teil 1 (= Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-Historische Klasse; 76/2), Stuttgart: S. Hirzel 2000, 238 S., 2 Abb., ISBN 978-3-7776-0992-8, EUR 58,30
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Obwohl die Geschichte der europäischen Sozietätsbewegung in den letzten Jahren durch eine Vielzahl neuerer Forschungen ein breiteres Fundament erhalten hat, wurde der Geschichte der mitteldeutschen Sozietätsbewegung bisher nicht die für diesen "Ballungsraum der Wissenschaftskultur" angemessene Aufmerksamkeit zuteil. Diese Situation zu ändern ist das Ziel des vorliegenden Bandes, der den ersten Teil einer von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften initiierten Reihe von Symposien zur Erforschung des mitteldeutschen Sozietätswesens dokumentiert.
Rudolf Vierhaus beginnt mit einem allgemeinen Überblick über Idee, Gestalt und Wirkung wissenschaftlicher Gesellschaften im 18. Jahrhundert. Die Geschichte der "Fruchtbringenden Gesellschaft" steht im Zentrum des Beitrags von Klaus Conermann, Andreas Herz und Helwig Schmidt-Glinzer. Obwohl sich die "Fruchtbringende Gesellschaft" fast ausschließlich aus Adeligen zusammensetzte, lassen sich zahlreiche egalisierende Momente beobachten, was nicht zuletzt die Einführung von Mitgliedsnamen und die strikte Einhaltung des Anciennitätsprinzips hinsichtlich der Rangordnung der Mitglieder belegen. Wieland Berg und Benno Parthier untersuchen Idee, Gestalt und Wirkung der 1652 von Johann Laurentius Bausch in Schweinfurt gegründeten "Academia Naturae Curiosorum", der sogenannten "Leopoldina". Diese privat gegründete medizinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft wurde 1687 durch Kaiser Leopold I. privilegiert und erhielt damit gleichzeitig das Amt eines Hofpfalzgrafen, was ihr unter anderem Zensurfreiheit und das Promotionsrecht gewährte.
Innerhalb der Wissenschaftsgeschichte ist in den vergangenen Jahren ein wachsendes Interesse an der Bedeutung von Patronagebeziehungen für die Entwicklung und Durchsetzung wissenschaftlicher Systeme zu beobachten. In diesem Zusammenhang können auch die von Rüdiger Otto detailliert beschriebenen Strategien Leibniz' zur Errichtung einer sächsischen Akademie der Wissenschaften interpretiert werden. Die letztlich an der Finanzierung gescheiterten Pläne stehen im Zusammenhang mit Leibniz' Bemühungen, eine Art "Akademienverbund" zu etablieren. Die Geschichte der Leipziger Gesellschaft der Aletophilen um den Grafen Ernst Christoph von Manteufel wird von Detlef Döring im Hinblick auf ihre Mitgliederstruktur, das Verhältnis von Religion und Vernunft sowie die zeitgenössischen Reaktionen auf das Wirken der "Wahrheitsliebenden" untersucht. Mit ihrem Umzug von Berlin nach Leipzig im Jahr 1740 verändert sich auch die Mitgliederstruktur der Sozietät von einer durch die hohe Geistlichkeit und die Nähe zum Hof zu einer vor allem durch die Leipziger Professorenschaft geprägten Vereinigung. Trug die Gesellschaft in ihrer Berliner Zeit nicht unwesentlich zur Verbreitung der Leibniz-Wolffischen Philosophie in Brandenburg-Preußen bei, so stellt sie sich in ihrer sächsischen Phase vor allem als Ort adeliger Geselligkeit und in der Inszenierung Manteuffels als "Schutzherr der Wahrheit" dar.
Jürgen Kiefer gibt anschließend einen Überblick über die Kurmainzische Periode der "Akademie nützlicher Wissenschaften" in Erfurt. Eduard Merian beschreibt die Gründung der Societas Jablonoviana durch den polnischen Adeligen Joseph Alexander Jablonowski in Leipzig 1774. Dass die Geschichte der Akademien sich nicht auf kulturelle Zentren wie Berlin oder Leipzig beschränkte, macht Ernst Heinz Lempers Beitrag zur Geschichte der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz deutlich. Konrad Lindner skizziert abschließend die Geschichte der 1789 von dem Leipziger Medizinprofessor Christian Friedrich Ludwig gegründeten "Linnéschen Sozietät zu Leipzig". Diese "Naturforschende Gesellschaft" lässt sich Lindner zufolge gleichzeitig als ein Beispiel "vom Ende der Naturgeschichte" (Lepenies) betrachten. Anhand zweier der prominentesten Mitglieder der Sozietät - Friedrich Schelling und Alexander von Humboldt - werden vor allem die Bemühungen um die Entwicklung einer Methodologie der Naturgeschichte verfolgt.
Insgesamt präsentiert sich der Band als eine Art Handbuch zur Geschichte der mitteldeutschen Gelehrten-Gesellschaften. So liefern die meisten Beiträge eher einen allgemeinen historischen Abriss über die Mitglieder, Ziele und Leistungen der einzelnen Sozietäten. Übergreifende Fragestellungen, wie sie zuletzt von Klaus Garber im Hinblick auf die Europäische Sozietätsbewegung formuliert wurden, werden zwar in einzelnen Beiträgen (Vierhaus, Conermann u.a.) angesprochen, aber letztlich im Hinblick auf die mitteldeutschen Gesellschaften kaum thematisiert. Dies ist natürlich zu weiten Teilen der "raumbezogenen" Konzeption des Bandes geschuldet. Dennoch wäre eine stärkere Berücksichtigung von Fragen, wie etwa der nach dem Verhältnis zwischen einer "demokratischen Tradition" der Sozietäten und ihrem sozial exklusiven Charakter zwischen universitärer und außeruniversitärer Wissenschaftskultur oder auch der Frage nach dem programmatischen Anspruch und der sozialen Wirklichkeit wünschenswert gewesen.
Marian Füssel