Joseph Canning / Hermann Wellenreuther (eds.): Britain and Germany Compared: Nationality, Society and Nobility in the Eighteenth Century (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft; Bd. 13), Göttingen: Wallstein 2001, 240 S., ISBN 978-3-89244-444-2, EUR 15,00
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Seit 1994 beschäftigen sich die am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen veranstalteten "Göttinger Gespräche" auf internationaler und interdisziplinärer Ebene mit aktuellen Fragen und Methoden der Geschichtswissenschaft. Die aus diesen Diskussionen hervorgegangenen Publikationen präsentieren sich in bewusst offener Form mit Kritik und Kommentaren, um Anregungen zu geben und auf die internationale Dimension historischer Fragestellungen hinzuweisen. Diesem Konzept haben sich auch die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes verschrieben. Die Veranstaltung, die dem Buch vorausgegangen ist, wurde 1998 im British Centre for Historical Research in Göttingen durchgeführt. Ganz im Geist der Max-Planck-Gesellschaft will auch das 1996 hauptsächlich von Wissenschaftlern der University of Wales initiierte Zentrum Fenster zwischen den Wissenschaftskulturen in Großbritannien und Deutschland öffnen. Dementsprechend steht die Wahrnehmung der jeweils anderen nationalen Identität im Mittelpunkt der Veranstaltung und nimmt auch in der vorliegenden Publikation mit vier von sieben Beträgen den größten Raum ein. Einen zweiten Schwerpunkt bildet die Diskussion der jeweils unterschiedlich ausgeprägten Adelskultur.
Fünf der sieben Artikel sind in englischer Sprache abgedruckt, die Beiträge von Ernst Schubert und Günther Lottes liegen auf Deutsch vor. Die Konstruktion nationaler Identität wird von Michael Maurer aus den Berichten deutscher Englandreisender herausgearbeitet. Deutlich wird hier vor allem die Selektion der Beobachtungen durch die Schablone idealisierter Vorstellungen von der "English Liberty" und dem scheinbar so aufgeklärten Geist der Engländer. England wurde fast ausschließlich reduziert auf die politische Nation in und um London. Widersprüche zu der hochgelobten englischen Freiheit, wie etwa die Beziehungen zu Irland oder die unterschiedlichen politischen Traditionen Schottlands, das seit dem 18. Jahrhundert zum Vereinigten Königreich gehörte, waren ausgeblendet. Damit wurde den deutschen Autoren England zum Idealtypus einer aufgeklärten Nation mit Vorbildcharakter für die politische und kulturelle Entwicklung in Deutschland. Der deutschen Anglophilie stellt Frauke Geyken eine ausgesprochene Germanophobie in England gegenüber. Hier konstruierte das britische Establishment den eigenen Interessen dienliche Tunnelvisionen von Deutschland, oder besser gesagt, vom Kurfürstentum Hannover, dessen Herrscher im 18. Jahrhundert gleichzeitig Könige von England waren. Während zunächst das Interesse an dem neuen Teil des Königreichs ausgesprochen gering war, entwarf man im Verlauf der schlesischen Kriege in Hannover ein ausgesprochenes Gegenbild zum Idealstaat England. Die Verschwendungssucht des kleinen, unbedeutenden Hofes nagte am britischen Budget, seine kontinentalen Interessen zogen Großbritannien in ungewollte und unprofitable europäische Kriege. In beiden Fällen diente die Fremdbeschreibung also einer ausgesprochen innenpolitischen Agenda.
Die Kommentare zu den beiden Beiträgen von Volker Depkat und Tony Claydon betonen einerseits die Flexibilität und Aushandelbarkeit der jeweiligen Stereotypen nach den tagespolitischen Gegebenheiten des eigenen Landes. Gleichzeitig aber, so betont Claydon, können Fremdvorstellungen nicht vollkommen im luftleeren Raum entstehen. Den anti-hannoverschen Stereotypen waren nämlich in den 1690er-Jahren in England aus ganz ähnlichen Gründen - eine landfremde Monarchie zieht das Land in kostspielige kontinentale Kriege - Vorurteile gegen die Niederländer vorangegangen. Dennoch konnte die Kritik an den Holländern nicht deckungsgleich auf die hannoverschen "Parasiten" übertragen werden. Gewalttätigkeit und Skrupellosigkeit in der Durchsetzung kolonialer Ziele gehörten zu den wichtigsten Fassetten des anti-holländischen Images. Diese Vorstellungen speisten sich besonders aus der propagandistischen "Ausschlachtung" des 1623 von den Niederländern an Briten verübten Massakers von Amboyana. Diese Vorstellungen hatten mit der eher begrenzten Machtpolitik der Hannoveraner nicht viel gemeinsam.
Sehr viel schwieriger wird der Vergleich zwischen Hermann Wellenreuthers Diskussion um Klientel- und Patronagepolitik des ländlichen Adels im 18. Jahrhundert und Ernst Schuberts Abriss über nordwestdeutsche Edelleute und die südwestdeutsche Reichsritterschaft. Dennoch gelingt es Günther Lottes in seinem Kommentar, die strukturellen Unterschiede der englischen und der deutschen Adelskulturen überzeugend herauszuarbeiten und den Erfolg der englischen Aristokratie als Eigentümergesellschaft mit Flexibilität gegenüber anderen, moderneren Einkommensquellen vorzustellen, die sie letztlich als Gesellschaftstypus überlebensfähiger machte, als es der in Standesprinzipien verhaftete kontinentaleuropäische Adel war.
Die beiden skizzierten Themenschwerpunkte des Bandes sind nicht leicht miteinander zu vereinbaren. Dies ist allerdings ein Vorwurf, der Tagungsbänden wohl in den allermeisten Fällen gemacht werden kann. Es bleibt abzuwarten, wie sich das British Centre for Historical Research als britischer "Außenposten" in der deutschen Wissenschaftslandschaft positionieren wird.
Raingard Eßer