Constantin Goschler / Jürgen Lillteicher (Hgg.): "Arisierung" und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989, Göttingen: Wallstein 2002, 288 S., ISBN 978-3-89244-495-4, EUR 29,00
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Viele Sammelbände erweisen sich schon wenige Jahre nach ihrem Erscheinen als ein "Aufsatzgrab", das außerhalb der Bibliotheken kaum Käufer gefunden hat, und auch in der Forschung nur von wenigen Fachleuten zur Kenntnis genommen worden ist. Der Band "'Arisierung' und Restitution" wird dieses Schicksal mit Sicherheit nicht teilen. Selten habe ich einen Sammelband gesehen, dessen Beiträge eine vergleichbare Kohärenz aufwiesen; ja man kann ihn fast wie eine Monografie lesen. Das muss nicht unbedingt ein Vorteil sein. Aber in diesem Falle ist es einer.
Der Band, der die Beiträge einer Freiburger Tagung vom Herbst 2000 zusammenfasst, ist in drei Hauptteile gegliedert, die neben der Einführung durch die beiden Herausgeber noch jeweils durch einen Berichterstatter eingeleitet werden. Der erste Teil liefert eine Bestandsaufnahme des aktuellen Forschungsstandes zur wirtschaftlichen Verfolgung der Juden in Deutschland und in Österreich nach dem "Anschluss". Der zweite Teil behandelt die Geschichte der Rückerstattung in Westdeutschland und in Österreich und der dritte Teil in der SBZ/DDR (von 1945 bis zur Wiedervereinigung) sowie in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung. Die Beiträge des zweiten und dritten Teils beschränken sich dabei nicht nur auf den Gesetzgebungsprozess, sondern thematisieren auch die Implementierung der gesetzlichen Vorgaben und die zwischenstaatliche Dimension der Wiedergutmachung. Dadurch ergibt sich ein erstaunlich umfassendes Bild der Geschichte der Rückerstattung jüdischen Eigentums, wie es bislang in keiner Monografie zu finden ist.
Frank Bajohr hat in letzter Zeit in mehreren Beiträgen für Fachzeitschriften und Sammelbände einen Überblick des Standes der "Arisierungs"-Forschung geliefert. Insofern kann niemand erwarten, dass er hier substanziell Neues präsentiert. Aber er bereitet das Material mustergültig für die weiteren Beiträge auf und schließt selber noch "Eine Einschätzung" der Rückerstattungspraxis in der alten Bundesrepublik an. Dabei arbeitet er zwar zahlreiche Unzulänglichkeiten heraus, kommt abschließend aber zu dem Schluss, dass "die positiven Wirkungen der Restitution nicht zu gering veranschlagt" werden sollten. Denn ihr "zentraler Wert" habe "wohl darin bestanden, dass sie überhaupt stattfand" und die "Arisierung" gesetzlich als Unrecht brandmarkte.
Auch Hans Safrians Überblick der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden in Österreich enthält nichts wirklich Neues. Aber leider nimmt die deutsche Zeitgeschichtsforschung die österreichischen Forschungen nicht in der Weise auf wie die österreichische Zeitgeschichte die deutschen Forschungen. Deshalb dürfte Safrians Interpretation des "Wiener Modells" für viele Leser neu sein, obwohl sich diese Interpretation mittlerweile gegen die ältere Vorstellung durchgesetzt hat, wonach Österreich ein Experimentierfeld für eine radikalere als die bisher im Altreich praktizierte antijüdische Politik gewesen sei. Safrian kann dagegen anhand der Entstehungsgeschichte einiger antijüdischer Gesetze nachweisen, dass es sich beim "Wiener Modell" nicht um eine "Kopfgeburt" gehandelt hat, sondern dass die Initiative, ausgehend von den bis dahin einzigartigen antijüdischen Exzessen während der Tage des "Anschlusses", "von unten" kam und über die neuen österreichischen Machthaber auf das Altreich und die Entscheidungsträger in Berlin zurückwirkten.
Ein Vergleich der Teile 1 und 2 beziehungsweise 3 zeigt sehr deutlich, dass die Forschung zur Wiedergutmachung im Vergleich zur "Arisierungs"-Forschung noch ziemlich am Anfang steht. Diese Situation macht aber gleichzeitig den besonderen Wert des Bandes aus. Denn fast alle Autoren der Teile 2 und 3 stellen ihre laufenden oder erst kürzlich abgeschlossenen Forschungen zur Rückerstattung jüdischen Eigentums seit 1945 vor.
Constantin Goschler zeichnet die Entstehungsgeschichte des bundesdeutschen Rückerstattungsgesetzes im vergangenheitspolitischen Klima der Fünfzigerjahre nach und konzentriert sich dabei besonders auf den Einfluss der Alliierten. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass eine entsprechende gesetzliche Regelung "vielleicht auch aus deutscher Eigeninitiative" zu Stande gekommen wäre. Sie wäre aber in ihrem Umfang "weit hinter dem zurückgeblieben, was schließlich in Folge des alliierten Oktrois realisiert wurde".
Jürgen Lillteichers Beitrag schließt unmittelbar an, indem er versucht, die rechts- und politikgeschichtliche Perspektive "von oben" durch die Perspektive der Implementierung der gesetzlichen Vorgaben "von unten" zu ergänzen. Dabei differenziert er sinnvollerweise bei den Rückerstattungspflichtigen zwischen Privatpersonen ("Ariseure") und dem Fiskus. In beiden Fällen kommt er zu einem deutlich negativeren Urteil, als es die Sicht "von oben" nahe legt. Denn die jüdischen überlebenden Opfer waren häufig dadurch im Nachteil, dass sie ihre Interessenvertretung allein einem Anwalt überlassen mussten, weil sie selber deutschen Boden nicht mehr betreten wollten, wodurch "Emotionen und Leidenserfahrungen [...] kanalisiert und entschärft, aber auch entstellt werden konnten", weil unter diesen Umständen die Gefahr groß war, dass die Interpretation des Gesetzes "eher den Beschuldigten entgegen kam als den Bedürfnissen der Verfolgten, die auf eine rückhaltlose Beleuchtung aller Aspekte ihrer Verfolgung hofften". Im Falle der Rückerstattung durch die Finanzbehörden kam noch hinzu, dass "das Prozessverhalten der Finanzverwaltung in vielerlei Hinsicht das juristisch noch vertretbare Maß überstieg". Denn die Personalkontinuität in der Finanzverwaltung nach 1945 war groß, und die Ablehnung eines Rückerstattungsantrages hatte demzufolge für manchen Beamten auch "eine exkulpatorische Funktion".
Brigitte Bailer-Galandas Beitrag über die Rückstellungsproblematik in Österreich und Ralf Kesslers Beitrag über die Wiedergutmachungsdebatten in der SBZ/DDR haben dann wieder einen ähnlichen Fokus wie Goschlers Beitrag. Auch in Österreich bedurfte es eines erheblichen Drucks seitens der Alliierten, um den Wiedergutmachungsprozess in Gang zu setzen, wobei allerdings erschwerend hinzukam, dass es die Allierten selber waren, die durch die Moskauer Deklaration von 1943 Österreich zum Opfer des Nationalsozialismus erklärt hatten. Damit konnte alle Verantwortung auf "die Deutschen" abgeschoben werden, was zum einen die österreichische Bereitschaft zur Wiedergutmachung nicht gerade förderte und zum anderen zu ständigen Forderungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland führte. Die Versuche, die österreichischen NS-Opfer in das Bundesentschädigungsgesetz einzubeziehen, scheiterten zwar, aber es gelang der österreichischen Regierung 1961 immerhin, eine bundesdeutsche Beteiligung an der Entschädigung österreichischer Verfolgter durchzusetzen.
Die SBZ/DDR hatte eine scheinbar noch stichhaltigere Begründung, bei der Rückerstattung jüdischen Eigentums Zurückhaltung zu üben. Denn die Eigentumsfrage hatte selbst bei der Minderheit in der Partei- und Staatsführung, die für eine Anerkennung jüdischer Forderungen eintrat, absolute Priorität. Eine Rückerstattung von privatem oder gewerblichem Vermögen wurde deshalb nach der Gründung der DDR nicht mehr ernsthaft erwogen. Auch die Entschädigungsleistungen für die jüdischen NS-Verfolgten waren minimal, da nur sehr wenige Juden nach dem Krieg in die DDR zurückkehrten und an Juden im Ausland bis zuletzt grundsätzlich keine Zahlungen geleistet wurden.
Es muss allerdings dabei berücksichtigt werden, dass die SBZ/DDR durch hohe Reparationsleistungen an die Sowjetunion belastet war und die Sowjetunion Wiedergutmachungsforderungen ebenfalls als eine Form von Reparationsforderung betrachtete. Im Gegensatz zu den USA hatte sie deshalb kein Interesse daran, eine wirksame Wiedergutmachungsgesetzgebung durchzusetzen. Dennoch kann, wie Jan Philipp Spannuth in seinem Beitrag über die "Rückerstattung Ost" betont, nicht in erster Linie die sowjetische Militäradministration für die kärglichen Wiedergutmachungsleistungen gegenüber jüdischen NS-Opfern in Ostdeutschland verantwortlich gemacht werden. Denn immerhin hatte sie in Thüringen im Spätsommer 1945 ein Wiedergutmachungsgesetz zugelassen, das die Rückgabe von Eigentum ausdrücklich vorsah. Es war vielmehr die SED, die sich strikt allen Forderungen nach Restitution verweigerte.
Eine etwas größere Bereitschaft zur Wiedergutmachung zeigte die DDR zeitweise gegenüber den Forderungen Israels und der Claims Conference beziehungsweise dem jüdischen Weltkongress, wie Angelika Timm in ihrem Beitrag zeigt. Solche Phasen existierten Ende der Vierzigerjahre während des ersten Nahostkrieges, als die Sowjetunion Israel militärisch unterstützte, und dann erst wieder in den Siebzigerjahren, als die internationale Anerkennung zum wichtigsten außenpolitischen Ziel der DDR wurde. In den Achtzigerjahren war es dann die Aussicht auf eine Verbesserung der Handelsbeziehungen zu den USA, die die DDR gesprächsbereit hielt. Alle Zahlungsangebote der DDR wurden aber als unzureichend abgelehnt, sodass sie über symbolische Gesten wie die Verleihung des Großen Sterns der Völkerfreundschaft an Edgar Bronfman bis zum Ende ihrer Existenz nicht mehr hinauskam. Auch im Verhältnis zu Israel gelang der DDR im Gegensatz zu Ungarn und Polen keine Normalisierung mehr.
Nach der Wiedervereinigung wurden dann die Grundsätze der westdeutschen Restitutionsgesetzgebung auf die neuen Bundesländer übertragen. Auch dieser Prozess war nicht ganz unumstritten, weil der Rückerstattung von NS-Verfolgtenvermögen ein Vorrang vor dem Restitutionsausschluss für Enteignungen zwischen 1945 und 1949 eingeräumt werden musste. Obwohl die "Rückerstattung Ost" noch nicht abgeschlossen ist, zeichnet sich nach Christian Meyer-Seitz aber schon jetzt ab, dass sie "juristisch ausgereifter und politisch störungsfreier verläuft als der Parallelvorgang in den alten Bundesländern". Denn im Gegensatz zu den Fünfzigerjahren besteht heute ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die "Notwendigkeit einer effektiven und fairen Rückerstattung des entzogenen jüdischen Vermögens".
Trotz der eindrucksvollen Ergebnisse dieses Tagungsbandes bleibt für die Forschung noch eine Menge zu tun, bis die Wiedergutmachung in Deutschland und Österreich als ähnlich gut erforscht angesehen werden kann wie die Geschichte der Ursachen für Entschädigung und Rückerstattung. Das gilt besonders für die Perspektive "von unten", die die "Arisierungs"-Forschung in den Neunzigerjahren entscheidend vorangebracht hat. Mittlerweile hat die Freiburger Tagung deshalb auch schon eine Fortsetzung erfahren, indem der Fokus nun auf die während des Krieges besetzten west- und osteuropäischen Staaten ausgeweitet wurde. Es ist zu hoffen, dass sich auch für diesen Tagungsband eine Bezuschussung der Druckkosten sicherstellen lassen wird, damit der Preis auch für Studierende tragbar bleibt. Denn nicht nur in der Forschung, auch in der akademischen Lehre erfreuen sich vergangenheitspolitische Themen einer wachsenden Beliebtheit.
Dieter Ziegler