Gregor Spuhler / Ursina Jud / Peter Melichar / Daniel Wildmann: "Arisierungen" in Österreich und ihre Bezüge zur Schweiz (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg. Studien und Beiträge zur Forschung; Bd. 20), Zürich: Chronos Verlag 2002, 209 S., ISBN 978-3-0340-0620-0, EUR 25,50
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Wolfgang Form / Oliver Uthe (Hgg.): NS-Justiz in Österreich. Lage- und Reiseberichte 1938-1945, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004
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Die Beteiligung ausländischer Staatsbürger an der "Arisierung" gewerblicher Vermögen in Deutschland ist sicherlich nur ein Randthema der Geschichte der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden im "Dritten Reich". Aus der Perspektive der Nachbarstaaten des Deutschen Reiches stellt sich die Bedeutung dieses Themas jedoch ganz anders dar. Vielen Schweizern ist erst in den neunziger Jahren bewusst geworden, dass möglicherweise auch Landsleute von ihnen von der Ausplünderung der Juden in Deutschland und in den von Deutschland besetzten Gebieten profitiert haben. So konnte am Beispiel der "Arisierung" der Zigarettenindustrie in Deutschland nachgewiesen werden, dass mehrere schweizerische Unternehmen daran unmittelbar beteiligt waren.
Deshalb ist es nahe liegend, dass die Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg (UEK) sich auch dieses Themas angenommen hat. Während die Beteiligung schweizerischer Unternehmen an der "Arisierung" gewerblichen Vermögens im "Altreich" nicht in einer eigenen Studie, sondern von Fall zu Fall in den Branchen- und Unternehmensgeschichten der UEK thematisiert wird, widmet sich diese Autorengruppe der Beteiligung von Schweizern an der "Arisierung" in Österreich in einem eigenen Bändchen. Es handelte sich hier um eine überschaubare Zahl von Fällen, die allerdings angesichts der Größe beider Volkswirtschaften nicht gering geschätzt werden sollte.
Das Bemerkenswerteste an dieser Publikation der UEK ist sicherlich die Kooperation zwischen schweizerischen und österreichischen Spezialisten. Denn Peter Melichar ist zugleich ein Mitarbeiter der Österreichischen Historikerkommission und wird in absehbarer Zeit eine Studie zur "Arisierung" von Privatbanken in Österreich vorlegen. Damit ist ein Team gebildet worden, das die Quellenlage zur Geschichte der "Arisierung" in beiden Ländern genau kennt. Auch wenn die Zahl der ermittelten Fälle vergleichsweise gering ist, geht in diese Studie indirekt der gesamte Bestand zur "Arisierung" in Österreich im Österreichischen Staatsarchiv und zu den Wirtschaftsbeziehungen beider Länder im Schweizerischen Bundesarchiv ein. Für eine Einzelmonografie wäre ein solcher Rechercheaufwand angesichts des zu erwartenden Ergebnisses von vielleicht zwei Dutzend Fällen nicht zu rechtfertigen gewesen.
Die Verwicklung Schweizer Staatsbürger in die "Arisierung" in Österreich ist aber nicht nur aus schweizerischer Perspektive von Interesse. Aus österreichischer Sicht ist das Thema der ausländischen Beteiligung an der "Arisierung" gewerblichen Vermögens nach dem "Anschluss" aber kein Randproblem, weil "Ausländer" ohnehin einen großen Teil der "Arisierungen" durchführten. Ohne die Bedeutung österreichischer Interessengruppen zu vernachlässigen, bildete die wirtschaftliche Verdrängung der Juden in Österreich trotz des Gesetzes zum Schutz der österreichischen Wirtschaft vom 14. April 1938 das Einfallstor für die wirtschaftliche Penetration Österreichs durch reichsdeutsche Unternehmen. Die "Arisierung" wurde somit gewissermaßen direkt in eine "Germanisierung" überführt.
Grundsätzlich hatten die deutschen Stellen ein Interesse daran, nichtdeutsches ausländisches Kapital aus den strategisch wichtigen Sektoren, wie etwa dem Bankwesen oder der Rüstungsindustrie, heraus zu halten oder zu verdrängen. Wegen der prekären Devisenlage des Reiches hätten sie aber eigentlich auch ein Interesse daran haben müssen, in weniger wichtigen Branchen und kleineren Unternehmen ausländisches Kapital im Land zu halten. Insofern könnte abseits der meist ausschließlich betrachteten Großindustrie auch auf deutscher Seite eine Beteiligung von Schweizern an der "Arisierung" in Österreich gar nicht ungern gesehen worden sein.
Da das Vermögen der Juden mit schweizerischer Staatsbürgerschaft andererseits nicht so einfach konfisziert werden konnte wie das der Juden mit deutschem Pass, müsste es aus deutscher Sicht außenwirtschaftlich sinnvoll gewesen sein, wenn die ausländischen Juden und mit ihnen ihre Vermögenswerte im Land blieben. So bewegt sich die gesamte Darstellung in diesem Spannungsfeld von deutscher "Judenpolitik", deutscher Außenwirtschaftspolitik, österreichischen Partikularinteressen und der Rücksichtnahme auf die ausländischen Beobachter. Im Falle der ausländischen Juden führte das nicht nur zu der aus der Anfangszeit des Regimes in Deutschland bekannten rechtsstaatlichen Tarnung des Enteignungsprozesses, sondern mitunter sahen sich die Machthaber in Berlin auch genötigt, sich an das Völkerrecht zu halten. Damit ergaben sich für die diplomatischen Vertretungen in Berlin Handlungsspielräume, die sie zugunsten ihrer jüdischen Staatsbürger ausnutzen konnten, womit eine aus schweizerischer Sicht zentrale Fragestellung des Bandes benannt ist.
Nach einer angesichts der Gesamtlänge des Buches recht umfangreichen Einleitung, die sich mit den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern und den Grundlinien der "Arisierung" in Österreich befasst, wird der Hauptteil über die "Schweizer Akteure" sehr stark funktional strukturiert. Zunächst werden die Schweizer "Käufer" (jüdischen Eigentums) behandelt und anschließend die Schweizer "Verkäufer", also die "Arisierungsopfer". Es folgen die Gläubiger, die Schuldner und die Vermittler. Ein Problem der Darstellung liegt darin, dass einzelne Unternehmen durchaus mehrere Funktionen wahrnehmen konnten. So wurde die Bally Wiener Schuh AG zunächst selber durch ihre Schweizer Muttergesellschaft "arisiert", um sich anschließend als Gläubiger mehrerer Wiener Schuhgeschäfte um deren "Arisierung" zu bemühen. Durch die funktionale Trennung in einen Schweizer Käufer und einen Schweizer Gläubiger wird die Geschichte des Unternehmens auseinander gerissen. Aus unternehmenshistorischer Sicht ist das sicherlich zu bedauern. Die Zahl der Fälle ist aber insgesamt so klein, dass es problemlos möglich ist, das Puzzle für sich selber wieder zusammenzusetzen. Darüber hinaus ging es den Autoren in erster Linie um die Handlungsspielräume der Schweizer Akteure, und für diese Fragestellung ist die gewählte Darstellungsform sicherlich angemessen.
Im Ergebnis gelingt es den Autoren zu zeigen, wie sehr sich auch in diesem Sonderfall der "Arisierung" von gewerblichem Vermögen in der Hand von Juden mit schweizerischer Staatsangehörigkeit die Praxis von der Gesetzeslage unterschied. Während es nach den pogromartigen Ausschreitungen in Folge des "Anschlusses" der schweizerischen Gesandtschaft noch gelang, die verhafteten Schweizer wieder frei bekommen und die Rückgabe des beschlagnahmten Vermögens zu erreichen, scheiterte sie wenig später bei dem Versuch, die jüdischen Schweizer im Reich von der Vermögensanmeldepflicht zu befreien. Auch bei der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben waren die Schweizer Diplomaten nur scheinbar erfolgreicher. Denn während der Druck der ausländischen Vertretungen in Berlin immerhin erreichte, dass Juden mit ausländischer Staatsbürgerschaft ihre Betriebe weiterführen konnten, zeigen die Autoren an mehreren Beispielen, dass diese Bestimmung auf das Verhalten von Lieferanten und Konsumenten keinerlei Einfluss besaß. Wegen der anhaltenden Boykottagitation, die sich wenig darum kümmerte, ob ein jüdischer Geschäftsinhaber die österreichische, deutsche oder irgendeine andere Staatsbürgerschaft besaß, mussten alle ermittelten Einzelhandelsgeschäfte von ihren jüdischen Inhabern bald aufgegeben werden. Auch die örtlichen Genehmigungsinstanzen für den "Arisierungsvertrag" kümmerte es wenig, ob es sich bei dem Inhaber eines zur "Arisierung" anstehenden Geschäftes um einen ausländischen Staatsbürger handelte oder nicht. Diese weitreichende Handlungsautonomie der österreichischen Stellen konnte allerdings durch die Intervention der konsularischen Vertretung eingeschränkt werden. Durch die Intervention geriet ein "Arisierungsfall" zumindest potenziell in das Blickfeld deutscher Behörden, die nicht selten pragmatischer entschieden als die stark "judenpolitisch" motivierte Vermögensverkehrsstelle in Wien. Dadurch konnte in Einzelfällen eine Besserstellung der Schweizer Staatsbürger erreicht werden.
In diesem Zusammenhang heben die Autoren besonders den Schweizer Generalkonsul in Wien, Walter von Burg, hervor, dessen Verhalten sich fundamental von dem des Schweizer Gesandten in Berlin, Hans Frölicher, unterschied. Während sich von Burg hartnäckig für die Interessen seiner jüdischen Landsleute bei den Behörden und Parteistellen einsetzte, zeigte sich Frölicher an deren Schicksal weitgehend uninteressiert und legte eine teils fatalistische und teils zynische Haltung an den Tag. Es ist deshalb anzunehmen, dass mehr Diplomaten wie von Burg noch wesentlich mehr für die jüdischen Schweizer hätten erreichen können.
Bei der "Arisierungstätigkeit" schweizerischer Unternehmen unterscheiden die Autoren zwei Fälle: Zum einen die "Arisierung" österreichischer Tochtergesellschaften, die sehr früh erfolgte und die die Autoren als unumgänglich charakterisieren. Zum anderen die "Arisierung" fremder Unternehmen, was schon eine erhebliche eigene Aktivität erforderte. Solche Aktivitäten legten allerdings nur wenige schweizerische Unternehmen an den Tag. Die Autoren führen diese Zurückhaltung darauf zurück, dass der Erwerb eines österreichischen Unternehmens angesichts der außen- und währungspolitischen Risiken von den Schweizer Unternehmern gescheut wurde. Etwas aktiver waren lediglich solche schweizerische Unternehmen, die über eine österreichische Tochtergesellschaft verfügten. Diese Tochtergesellschaften konnten ähnlich wie einheimische oder reichsdeutsche Unternehmen versuchen, ihre Marktposition durch "Arisierungsaktivitäten" zu festigen oder auszubauen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich sowohl die Schweizer Diplomatie als auch die schweizerischen Unternehmen bei der "Arisierung" in Österreich in etwa so verhielten, wie man es aufgrund der vorliegenden Forschungen zur Rolle der Schweiz in Flüchtlings- und anderen Fragen sowie zum Verhalten schweizerischer Unternehmen im "Altreich" erwarten konnte. Aber ein Ergebnis muss nicht immer spektakulär ausfallen, um das Interesse zumindest der Fachöffentlichkeit zu gewinnen.
Dieter Ziegler