Artemis Klidis: François Girardon. Bildhauer in königlichen Diensten 1663-1700, Weimar: VDG 2001, 262 S., 107 Abb., ISBN 978-3-89739-213-7, EUR 39,00
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Es ist an der Zeit, dass Einzeluntersuchungen zu den großen - auch zu den weniger großen - Hofkünstlern des französischen Absolutismus entstehen. Nur so, scheint es, können die Binnenstrukturen, die künstlerische Produktion und höfische beziehungsweise staatliche Repräsentation verbunden, im Detail dargelegt und sowohl zeittypische Konjunkturen als auch davon abweichende Spezifika und Sonderwege aufgezeigt werden. Der Reiz, aber auch die Gefahr solcher Einzeluntersuchungen besteht darin, das Künstlersubjekt aus der akademischen Gefolgschaft herauszuschälen und sein Wirken als besonders im Kontext des zumindest oberflächlich Gleichen zu markieren.
Artemis Klidis widmet sich in ihrer nun publizierten Dissertation dem Hofkünstler François Girardon (1628-1715), der "zu den bedeutendsten Bildhauern des 17. Jahrhunderts in Frankreich [zählt]" (9). Vor allem dieses auf den folgenden 184 Textseiten nie in Frage gestellte Eingangspostulat scheint die Untersuchung veranlasst und vorangetrieben zu haben. Eine klare Fragestellung und ein methodisch reflektierter Zugriff sind nicht erkennbar. Das recht vage formulierte Ziel der Arbeit besteht darin, "die Bedeutung des Werkes Girardons für die französische Klassik [zu untersuchen]" (10). In dieser Absicht konzentriert sich Klidis auf des Künstlers Tätigkeit im Dienste Ludwigs XIV. im Zeitraum von 1663 bis 1700 und hierbei auf seine Arbeiten für die Parkanlage von Versailles und die skulpturale Ausstattung des Invalidendoms.
Auf einen Überblick über den frühen Werdegang Girardons und allgemein gehaltene Ausführungen zur Neuorganisation des Kunstbetriebs unter Colbert folgt ein erstes großes Kapitel zum Wirken des Bildhauers in Versailles in den 1660er und 1670er-Jahren, mithin in der Hochzeit des "goût français classique". Hierbei gilt das Hauptaugenmerk einerseits dem von Girardon zusammen mit Thomas Regnaudin nach einem Entwurf von Le Brun geschaffenen Apollobad, das ursprünglich zum skulpturalen Ensemble der Thetisgrotte gehörte. Andererseits wird das wohl ebenfalls auf eine Vorlage Le Bruns zurückgehende Relief für das Versailler Nymphenbad diskutiert. Klidis verweist auf antike, italienische und französische Vorbilder, um in Abgrenzung davon den Entwurf einer neuen klassischen Plastik vorzustellen. Ähnlich geht sie angesichts der Statuen der "Grande Commande" (ab 1674) vor, für die Girardon - abermals nach Entwürfen Le Bruns - die Figur des Winters und die Pluto-Proserpina-Gruppe schuf. Vor allem die Raptus-Gruppe wird sehr ausführlich mit Arbeiten von Giambologna und Gianlorenzo Bernini verglichen. Dabei verstrickt sich die Autorin in einige Widersprüche und Unklarheiten. Spätestens hier würde man gerne erfahren, was denn eigentlich die herausragenden Merkmale einer klassischen französischen Plastik à la Girardon gegenüber Klassizismen anderer Provenienz und Machart sein sollen und wie sie im Kontext der französischen Akademiekunst zu bewerten sind. Differenzen zwischen Entwurf und Ausführung werden zwar gelegentlich aufgezeigt, aber nicht weiter problematisiert. So bleibt die Autorschaft Le Bruns und / oder Girardons bei der Entwicklung eines klassischen Stils auch in der französischen Plastik eine offene Frage, deren kritisches Potenzial überhaupt nicht genutzt wird.
Unter der surintendance des Marquis de Louvois (1683-1691) und im Zeichen einer zunehmenden Ausdifferenzierung der der Inszenierung des ruhmreichen Monarchen verpflichteten Tätigkeitsfelder verlor Le Brun allmählich an Einfluss. Girardon hingegen wurde bald mit mehreren Arbeiten für die skulpturale Ausgestaltung der Versailler Parkanlage sowie mit der Aufsicht über die künstlerische Produktion vor Ort beauftragt und später auch zum premier sculpteur ernannt. Der spannenden Frage, ob oder inwiefern dieser Aufstieg des Bildhauers am königlichen Hof mit dem Entwurf einer klassischen Plastik zusammenhängt, wird leider nicht nachgegangen. Klidis stellt sehr detailliert zwei Hermenprojekte sowie die Statuen des Bosquet des Bains d'Apollon und das Skulpturenprogramm der Allée Royale vor - Projekte, an denen Girardon als Entwerfer und ausführender Bildhauer maßgeblich beteiligt war. Für die prominenten Skulpturengruppen von Pierre Puget am Eingang und von Girardon am Ende der Allee kann die Autorin einen doppelten Paragone aufzeigen. Zum einen wurden die sehr expressiven, eine individuelle Bildsprache bezeugenden Arbeiten Pugets mit den deutlich verhalteneren, wenngleich ebenfalls auf einen dramatischen Höhepunkt hin konzipierten Werke des Akademikers Girardon kontrastiert. Zum anderen exemplifizierten die von Letzterem geschaffenen Einzelfiguren und Gruppen der Allée Royale eine "neue Plastik" (129), die sich an dem in der akademischen Malerei vorgestellten Modell der expression des passions abarbeitete und so den Vergleich mit der Konkurrenzgattung suchte. In dem nun endlich erfolgenden und leider viel zu kurz gehaltenen Exkurs zur französischen Kunsttheorie diagnostiziert die Autorin eine kontinuierliche Vernachlässigung der Plastik in der akademischen Auseinandersetzung. Vor dem Hintergrund, so Klidis, stellten Girardons bildhauerische Arbeiten der 1680er-Jahre die ersten dar, die durch den Einbezug narrativer Gestaltungselemente und gesteigerter, vor allem über die Körperdarstellung geleisteter Expressivität auf eine Nobilitierung der Gattung abzielten.
Dies ist ein durchaus interessanter Befund. Seine Implikationen und Auswirkungen sowohl für den kunsttheoretischen Diskurs und den Begriff der Klassik als auch für die weitere Entwicklung der französischen Plastik und ihren Stellenwert innerhalb monarchischer Repräsentation werden leider nicht herausgearbeitet. Stattdessen widmet sich die Autorin in einem langen, abschließenden Kapitel der skulpturalen Ausstattung des Dôme des Invalides, für die Girardon von 1691 bis 1700, das heißt bis zum Jahr seiner Pensionierung, verantwortlich zeichnete. Der Künstler habe mit diesem einheitlichen, Innen- wie Außenraum gleichermaßen umfassenden Ausstattungsprogramm einen einzigartigen religiösen Stil geprägt, der ihn mit Le Brun, dem Entwerfer von Versailles in den 1660er und 1670er-Jahren, vergleichbar mache.
Nicht nur in diesem letzten Kapitel, aber vor allem da, gerät die Lektüre bisweilen zu einer argen Geduldsprobe. Die Beschreibung jedes einzelnen Ausstattungselements beziehungsweise aller Bausteine umfangreicher skulpturaler Programme nach dem immer gleichen Schema ist ermüdend. Man vermisst eine angemessene Gewichtung der Phänomene und eine strukturierende Akzentsetzung. Die den form- und stilanalytischen Betrachtungen in der Regel folgenden Ausführungen zu ikonographisch-ikonologischen und funktionalen Aspekten wirken merkwürdig unverbunden mit dem zuvor betriebenen Beschreibungsaufwand. Die zahlreichen und sicher zum Teil auch sehr guten Beobachtungen an den Kunstwerken selbst können auf Grund der durchweg schlechten Qualität der Schwarzweiß-Abbildungen, die aus dem gewählten, preiswerten Druckverfahren resultieren, nicht überprüft werden. Auch wird es dem Unkundigen schwer fallen, sich anhand eines einzigen, sehr kleinen Grundrissplans in der Parkanlage von Versailles zu orientieren und die diesbezüglichen Aussagen der Autorin nachzuvollziehen.
Artemis Klidis hat ein fakten- und detailreiches Buch zum Werk Girardons vorgelegt, das eine gute Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit diesem Künstler darstellen wird. Dessen Bedeutung für die französische Klassik lässt sich über die Lektüre erahnen, deutlich herausgearbeitet wurde sie nicht. Wenn somit nun viel Text zu François Girardon vorliegt, so scheint bei weitem noch nicht alles gesagt über diesen "Bildhauer in königlichen Diensten".
Sigrid Ruby