Jenny Wormald: Mary, Queen of Scots. Politics, Passion and a Kingdom Lost, Revised edition, London / New York: I.B.Tauris 2001, 208 S., ISBN 978-1-86064-588-4, GBP 10,95
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Die schottische Geschichte ist reich an tragischen Persönlichkeiten, Verlierern, die dennoch unsterblich wurden und einen Platz im kollektiven Gedächtnis erlangten. Maria Stuart oder - wie sie im angelsächsischen Bereich genannt wird - Mary Queen of Scots ist eine dieser mythenumwobenen und mythenstiftenden Gestalten. Kaum eine andere Frau des 16. Jahrhunderts vermag auch heute noch so zu faszinieren - ihre Schönheit, die zwielichtige Rolle, die Mary bei der Ermordung ihres zweiten Mannes spielte, die Kassettenbriefe, eine lange Gefangenschaft, gescheiterte Befreiungsversuche und ihre Hinrichtung trugen wesentlich zur Unsterblichkeit der Königin bei.
Doch Mythen warten darauf, dekonstruiert zu werden, und das Buch der britischen Historikerin Jenny Wormald, die als "university lecturer in History" an der University of Oxford und Tutor in Modern History am dortigen St. Hilda's College lehrt, verfolgt erklärtermaßen dieses Ziel. Das Vorwort des jetzt in zweiter, überarbeiteter Auflage vorliegenden Paperbacks, dessen erste Auflage 1988, unmittelbar nach dem 400. "Jubiläumsjahr" der Hinrichtung Marias erschienen war, verkündet unmissverständlich: "This is not a book about that legend [...] a book which portrays a monarch of little wit and no judgement [...] a rule whose life was marked by irresponsibility and failure on a scale unparalleled in her own day" (8). Ein Trompetenstoß, der aus John Knox' "First Blast of the Trumpet against the Monstruos Regiment of Women" stammen könnte! Eine derart eindeutig-vernichtende Wertung der politischen "Fähigkeiten" Marias lässt kaum Platz für Zwischentöne, für den Versuch eines Verständnisses. Man ahnt es: Im Hintergrund ist natürlich stets die staatskluge Elisabeth I. gegenwärtig, die ebenfalls tragische Gegenspielerin Marias, blieb sie doch gleichermaßen auf der Anklagebank der Geschichte als "Königsmörderin" sitzen.
Doch ist das Anliegen Wormalds durchaus berechtigt, die keine Biografie der Schottenkönigin im klassischen Sinne schreiben wollte - Antonia Frasers 1969 erschienene Biografie setzt auch heute noch Maßstäbe. Vielmehr konzentriert sich die Autorin auf das politische Geschehen im Schottland zur Zeit Maria Stuarts. So thematisiert Wormald nicht nur die eigentliche, sehr kurze Regierungszeit Marias, die von 1561 bis 1567 dauerte und deren Resümee bereits das Vorwort liefert; etwa ein Drittel der Monografie beschäftigt sich mit diesem Zeitraum. Wormalds besonderes Augenmerk liegt auf den Geschehnissen auf der politischen Bühne, auch und gerade im Fall der Absenz der Protagonistin. Ganz ohne Mitgefühl bleibt allerdings Wormald nicht - so charakterisiert sie die Maria des Jahres 1587 als "neither 'bad' nor 'mad', but simply very sad" (8).
Das grundsätzliche Problem kann Wormald allerdings nicht lösen: Will man sich Marias Person nähern, will man den Bann der literarischen, polemischen oder panegyrischen Spiegelungen brechen, so schweigen die meisten Quellen. Maria als Mensch bleibt weithin ein Schatten - wohl ein glänzender, aber doch nur ein Schatten. Das Unterfangen, eine Psychohistorie der Königin schreiben zu wollen, ist so von vorneherein zum Scheitern verdammt.
Das erste der insgesamt sieben Kapitel des Buches schildert skizzenartig den Wandel der Fokussierungen, die Maria während ihres Lebens und nach ihrem Tode erfuhr. Nachdem Marias Person auf Grund der politischen und konfessionellen Implikationen bereits zu ihren Lebzeiten europaweite Aufmerskamkeit genossen hatte, trat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Interesse am Schicksal der Frau Maria in den Vordergrund, das in der Gegenwart noch ungebrochen anhält. Die Maria-Legende dominiert so die historische Wahrheit - so sich diese noch eruieren lässt.
"The Queen's inheritance", das zweite Kapitel, beschreibt das Erbe Marias. Wormald greift hier weit aus und schildert auf knapp 20 Seiten die Entwicklung Schottlands von 1424 bis 1542. Im Gegensatz zu der Klischees, welche Schottland als zurückgebliebenes und von innerer Strukturlosigkeit geprägtes Land zeichnen, betont die Autorin die "amazing success story" (27), welche maßgeblich von den Stuart-Königen, die sich ihrer europäischen Bedeutung durchaus bewusst waren, getragen worden sei. Der Verweis auf das aus dem Mittelalter stammende Feudalsystem, das eine Bürokratie überflüssig machte, mag hier genügen. Freilich bewirkte die Reformation eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse, auf die Maria keine adäquate Antwort fand.
Zwei Kapitel widmen sich Marias Minderjährigkeit. "Mary's First Wooing" umfasst den Zeitraum von 1542 bis 1550, während "The Auld Alliance Rampant" die Zeit von 1548 bis 1560 untersucht. In den 1540er Jahren hatte Schottland unter mehreren englischen Invasionen zu leiden - die Spannungen zwischen beiden Inselkönigreichen resultierten vor allem daraus, dass die Pläne für eine schottisch-englische Heirat gescheitert waren. Zugleich erlebte der Protestantismus ein bemerkenswertes Wachstum. Das Jahr 1548 stellte insofern eine Zäsur dar, als zu diesem Zeitpunkt Maria nach Frankreich absegelte, nachdem ein Vertrag geschlossen war, der die Hochzeit Marias mit dem französischen Dauphin Franz zum Inhalt hatte. Sechs Jahre später, 1554, übernahm Maria von Guise, die Mutter Marys, die Regentschaft - im Gegensatz zu ihrer Tochter schildert Wormald sie als Politikerin von europäischem Format, die es verstand, ihre Interessen effektiv zu vertreten: So heiratete Maria 1558 den französischen Thronfolger. Der plötzliche Tod der Regentin im Jahre 1560 bewirkte ein Machtvakuum, in dem sich der Protestantismus weiter entwickeln konnte, da Maria erst 1561 in Schottland eintraf, nachdem Versuche, eine zweite Ehe anzubahnen, gescheitert waren. Offensichtlich war die junge Witwe nur wenig an ihrem angestammten Königreich interessiert.
Die eigentliche Regierungszeit Marias wird ebenfalls in zwei Kapiteln vorgestellt. Das fünfte Kapitel thematisiert unter dem Titel "The Reluctant Ruler" die ersten fünf Jahre von 1560 bis 1565. Wormald konstatiert für diese Zeit eine bemerkenswerte Untätigkeit Marias, die keine Anstrengungen unternommen habe, die katholische Kirche zu stabilisieren: Sie spricht von einem "extraordinary lack of policy and ability to direct affairs" (123). Man könnte in diesem Zusammenhang allerdings auch fragen, ob Maria bewusst eine Politik der Toleranz praktizierte, was hier natürlich nicht zu klären ist. Die wohl bewegtesten Jahre im Leben Marias, den Zeitraum von 1563 bis 1567, die Rizzio-Affäre, die Ehen mit Henry Lord Darnley und James Earl of Boswell, behandelt das etwas reißerisch titulierte Kapitel "Of Marriages and Murders".
Mit der letzten Phase (1567-1587), der langen Gefangenschaft Marias und ihrer Hinrichtung, beschäftigt sich das siebte Kapitel "The Queen Without a realm". Wormald gelingt es, das Netz von Abhängigkeiten deutlich zu machen, in dem sich Maria befand - von ihrer eigenen politischen Unfähigkeit und den Männern, die sie umgaben, bis hin zur "Großwetterlage" der europäischen Politik. Überhaupt gehört es zu den großen Vorzügen des Bandes, dass die internationale Perspektive stets gewahrt bleibt. So richtet Wormald kontinuierlich den Blick auf die Ereignisse in England und Frankreich, die gewissermaßen den Hintergrund für die Geschehnisse in Schottland bilden und für das Verständnis des Schicksals Maria Stuarts unerlässlich sind.
In diesem Zusammenhang könnte man die Frage aufwerfen, welchen Handlungsspielraum Mary, Queen of Scots, tatsächlich besaß. Zugespitzt formuliert: Über welche politischen Optionen verfügte eine katholische Monarchin, die in einem allmählich zum Protestantismus wechselnden Land an ihrer Konfession festhalten wollte? Konnte sie überhaupt ernsthaft daran denken, gegenreformatorisch aktiv zu werden, oder war es nicht vielmehr ein Zeichen politischer Klugheit, sich angesichts beschränkter eigener Ressourcen flexibel an die jeweiligen Verhältnisse anzupassen? Doch ist Wormald sicherlich insofern zuzustimmen, als Mary offensichtlich tatsächlich wenig politisches Augenmaß besaß, wenn man ihr Verhalten in den kritischen Jahren von 1565 bis 1567 betrachtet. Marias Verstrickung in die Ermordung Henry Darnleys, ihres zweiten Mannes, hätte wohl weniger fatale Folgen gezeitigt, wenn sie sich in bezug auf James Bothwell, den dritten Gatten, zurückhaltender gegeben hätte. Auch die Flucht in das benachbarte England belegt ihren fehlenden Realitätssinn. Konnte Maria tatsächlich erwarten, dass Elisabeth aus monarchischer Solidarität heraus bereit sein würde, Hilfe bei der Rückkehr in ihre schottische Heimat zu leisten? Das Verdienst von Wormalds Buch liegt sicherlich nicht zuletzt darin, zum kritischen Nachfragen anzuregen. Das dicht geschriebene Werk reizt zu einer zweiten Lektüre, trotz - oder gerade wegen - des Maria-kritischen Untertons. Freilich schmerzt es immer, von lieb gewordenen Mythen Abschied nehmen zu müssen. Doch der Unsterblichkeit Marias wird dies nicht ernsthaft schaden.
Stefan W. Römmelt