Brad S. Gregory: Salvation at stake. Christian Martyrdom in Early Modern Europe (= Harvard Historical Studies; 134), Cambridge, MA / London: Harvard University Press 1999, 528 S., ISBN 978-0-674-00704-8, GBP 13,95
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Brad Gregorys Studie hat eine Reihe von Preisen gewonnen. Stolz verzeichnet der Verlag auf dem Rückumschlag des Buches die verschiedenen Auszeichnungen, die von der American Catholic Historical Association, der Harvard University Press oder dem Commonwealth Club of California vergeben worden sind. Die bei Anthony Grafton und Theodore Rabb in Princeton entstandenen Dissertation scheint demnach nicht nur einen fachwissenschaftlichen Leserkreis anzuziehen, sondern ebenso eine breitere Öffentlichkeit.
Der Grund für dieses allgemeine Interesse liegt möglicherweise in der erschreckenden Aktualität des Typus des für seinen Glauben Sterbenden, der sich in den Abschiedsvideos palästinensischer Selbstmordattentäter ebenso wie in den Verlautbarungen der Al-Quaida als Märtyrer präsentiert. Trotzdem verweigert sich der Märtyrer der modernen Einfühlung, weil die Aufgabe des eigenen Lebens um eines religiösen Zweckes willen kaum in neuzeitliche Anthropologie und Gesellschaftswahrnehmung integrierbar ist. Brad Gregory versucht diesem latenten Unverständnis dem Märtyrer gegenüber auf spezifisch historische Art zu begegnen. Seine Darstellung der Märtyrerkultur in der Frühen Neuzeit beansprucht, die Kluft zwischen Moderne und Vormoderne zu überspringen, indem sie diese gut historistisch ganz aus sich selbst heraus präsentiert und ihre innere Logik und Kohärenz in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt. Damit liefert das Buch die erste Gesamtdarstellung frühneuzeitlicher Märtyrerkultur, die die Rezeption einer Fülle von höchst spezialisierter Detailforschung mit einer umfassenden Quellenkenntnis verbindet. Bei einem solchen Vorhaben steht - um das titelgebende Wortspiel aufzugreifen - einiges auf dem Spiel. Um so schmerzlicher ist es, dass der Verlag sich nicht dazu hat durchringen können, die Lektüre durch ein beigefügtes Verzeichnis der verwendeten Quellen und Literatur zu erleichtern, zumal Gregory im gewaltigen Anmerkungsapparat, der mehr als ein Drittel des Gesamtumfanges ausmacht, seine Quellen nach jeder Ersterwähnung nur noch über Kurztitel nachweist. So wird der beeindruckende Apparat im Grunde unbrauchbar.
Im Gegensatz zu frühchristlichen Märtyrern wird die frühneuzeitliche Märtyrerkultur nicht durch Auseinandersetzungen mit nicht-christlichen Religionen bestimmt, sondern situiert sich im Feld des in Konfessionen ausdifferenzierten Christentums selbst. Martyrium ist demnach stets auch blutig unterzeichnete Hermeneutik der wahren christlichen Lehre. Der Rekurs auf die Ebene des Dogmatischen als Leitdifferenz legt den Vergleich zwischen den verschiedenen Konfessionen hinsichtlich ihrer Märtyrerkonzeption nahe. Augustins Lehre, dass nicht das Leid, sondern die Sache, für die gelitten wurde, den Märtyrer zum Märtyrer mache, liefert die Folie für diese Systematisierung. In drei zentralen Kapiteln untersucht Gregory so die martyrologischen Modelle des Protestantismus sowohl lutherischer wie reformierter Prägung, des Täufertums und des römischen Katholizismus. In allen drei von ihm identifizierten Großgruppen gestalten sich diese als Verschriftlichung von Erfahrung zum Zwecke der Memorialisierung. Das Leid der eigenen Märtyrer, das in Berichten und Kompendien über ihren Lebens- und Leidensweg festgehalten und im polemischen Kontext reaktualisiert werden konnte, erfüllte Funktionen der inklusiven Identitätssicherung der eigenen Konfession und der exklusiven Denunziation des konfessionellen Gegners als Verfolger. Zugleich waren Märtyrer auf spektakuläre Weise in der Lage, dogmatische Inhalte "beyond publications and pulpits into the domain of dramatic public action" (145) zu tragen und bildeten damit die Avantgarde im Kampf um die Seelen der Bevölkerung.
Innerhalb dieser strukturellen Äquivalenz gestaltete sich die Märtyrerkultur jedoch nach je konfessionsspezifischen Parametern, wie Gregory überzeugend herausarbeitet. So bildete im lutherischen wie im reformierten Protestantismus das Martyrium als Modell einer Zeugenschaft für die Glaubenswahrheit ein zentrales Element der Konfessionskultur. Das deutliche Bekenntnis des protestantischen Glaubens unter Ausschluss aller nikodemistischen Opportunismen stand im Zentrum der protestantischen Martyrologie. Gregory analysiert dieses Motiv vor allem am Beispiel der vier großen Märtyrer-Kompendien der 1550er Jahre von Ludwig Rabus, Jean Crespin, Adriaen van Haemstede und John Foxe. Er zeichnet die konfessionsübergreifende persönliche Vernetzung dieser Autoren ebenso wie die verschiedenen Rezeptionsstrukturen ihrer Werke untereinander nach und kann deutlich machen, dass gerade die Martyrologien einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung distinkter protestantischer Identitäten leisteten. Es verwirrt hingegen ein wenig, dass Gregory nicht systematisch zwischen lutherischen und calvinistischen Martyrologien unterscheidet. Vor dem Hintergrund der (nicht nur) europäischen Diskussion um Konfessionalisierungsprozesse auch auf der Ebene der Identitätsbildung zwischen beiden protestantischen Konfessionen kommt die gemeinsame Präsentation von Luthertum und Calvinismus einer impliziten These gleich. Dass aber gerade Martyrologien keinen expliziten Beitrag zu Abgrenzungsprozessen innerhalb des Protestantismus geleistet hätten, erscheint kaum plausibel. In jedem Fall wäre eine Differenzierung auch hinsichtlich verschiedener Textstrategien wünschenswert gewesen.
Die frühe Unterdrückung des radikalen Flügels der Reformation führte dagegen schon in den 1520er und 1530er Jahren zu einer starken Präsenz martyrologischer Thematik im Täufertum. Vor allem anhand der verzweigten Geschichte der niederländischen Täufer weist Gregory die identitätsbegründende Rolle von Märtyrern nach. Gerade in der beständigen Bedrohungssituation während des 16. Jahrhunderts entwickelten die Täufer eine martyrologische Erinnerungskultur, die die Verfolgung zum Kernelement der eigenen Identität erhob: "It was never far from the essence of being Christian" (249). Als die reale Verfolgung der Täufer im Verlauf des 17. Jahrhunderts allmählich nachließ, transformierte sich die Märtyrerkultur hin zur Memoria der vergangenen Radikalität und Ermahnung zu steter Umkehr.
Für den Katholizismus diagnostiziert Gregory eine verspätete Rezeption des Identitätsmodells "Märtyrer". Erst im Kontext der Gegenreformation wurde der Märtyrer in das Konzept der ecclesia militans integriert, blieb aber zugleich als neuartige Form des Heiligen anschlussfähig an traditionelle Formen katholischer Glaubenspraxis. Dabei war es weniger entscheidend, ob Märtyrer tatsächlich offiziell als Heilige kanonisiert wurden. Dies wurden sie kaum. Vielmehr identifiziert Gregory vielfältige Parallelen zwischen Märtyrerverehrung und asketischen Praktiken, die neben oder jenseits der offiziellen kirchlichen Hierarchien verliefen.
So überzeugend er die verschiedenen Modelle in den Details und Abgrenzungen analysiert, so problematisch erscheint aber ihre Situierung im Gesamtkonzept des Buches. Programmatisch distanziert sich Gregory von jeder Form der theoretischen Fokussierung seiner Ergebnisse, die über die Darlegung der verschiedenen Konzepte hinausgeht. Die "poverty of theory" (99) zeige sich vor allem in ihrem durchweg reduktionistischen Charakter, der stets versuche, den Reichtum der frühneuzeitlichen Erfahrung in das Prokrustes-Bett des "modern or postmodern belief" und einer "post-Enlightenment, materialist, and atheistic metaphysic" (350) zu pressen. Seine Schreckbilder sind dabei vor allem psychoanalytische und doch recht vulgär-durkheimianische Theoreme, die in der Tat reduktionistisch sein mögen, aber doch kaum hinreichende Belege für die generelle Mangelhaftigkeit theoretischer Abstraktion bilden.
Vielmehr erweist sich der Mangel an theoretischer Modellierung in Gregorys Text selbst immer dann als fatal, wenn er versucht, allgemeinere Aussagen über frühneuzeitliche Märtyrerkultur zu treffen. Zu Beginn des Buches entwirft er das Panorama einer Konvergenz zwischen dem Willen zu sterben und dem Willen zu töten, der die gesamte Märtyrerkultur strukturiere. Auf beiden Seiten verbleibt er beinahe gänzlich auf der Ebene der Geistes- und Theologiegeschichte. Detailliert führt er eine Fülle von Martyrium einerseits und Verfolgung andererseits rechtfertigenden Bibelstellen an, die sowohl von den dogmatischen Autoritäten auf allen konfessionellen Seiten als auch von den Märtyrern selbst rezipiert worden seien. Diese erscheinen so beinahe als - um Patrick Collinsons Puritaner-Definition abzuwandeln - "hotter sort of Christians". Hieraus leitet er eine tiefe dogmatische Grundierung des Konfliktes zwischen Obrigkeiten und Märtyrern ab, die aber alle alternativen Erklärungsmöglichkeiten ausschließt. Dass zum Beispiel gerade in Frankreich Märtyrerkultur als Infragestellung der Sakralität des Königtums eine eminent politische Funktion erfüllte, wie David El Kenz gezeigt hat [1], bleibt einem solchen Ansatz vollkommen fremd. Ein Grund hierfür liegt darin, dass Gregory seine Quellen stets genau beim Wort nimmt und als genaue Spiegelungen zeitgenössischer Erfahrungen betrachtet. Er unterschlägt dabei gänzlich Texttraditionen oder Gattungsprobleme, die den Blick auf Homogenisierungs- und Authentifizierungsstrategien der Texte selbst lenken könnten.[2] Erst diese machen ja die von ihm diagnostizierte Identitätsstiftung durch Märtyrer und Martyrologien textstrategisch möglich. Ebenso entgeht Gregory die stets präsente theatralische Struktur nicht nur der Martyrien selbst, sondern auch der martyrologischen Texte, auf die zum Beispiel John Ray Knott hingewiesen hat.[3]
Insgesamt drängt sich dem Leser der Eindruck einer - vielleicht selbst gewählten - Naivität auf. Wenn Gregory als "purpose of history" "evocation and presentation of the world of past people" (15) definiert und eine Geschichte der Christen der Frühen Neuzeit projektiert, "in which they would have recognized themselves" (11), dann erscheint der dezente Hinweis auf die Standortgebundenheit und Konstruktivität von Geschichtsschreibung so nahe liegend, dass man sich beinahe fragt, ob man die scharfsinnige Widerlegung dieser Einwände nicht doch überlesen hat. Das Ergebnis dieser evocation wirkt aber schließlich doch recht schmal: "Put simply, martyrs were willing to die for their religious views because they believed them to be true, because revealed by God." (105). O sancta simplicitas.
Anmerkungen:
[1] David El Kenz: Les bûchers du roi. La culture protestante des martyrs (1523-1572), Paris 1997.
[2] Zum Beispiel mit Blick auf Jean Crespin: David Watson: Jean Crespin and the Writing of History in the French Reformation, in: Bruce Gordon (Hg.), Protestant History and Identity in Sixteenth-Century Europe, Vol. 2: The Later Reformation, Aldershot 1996, S. 39-58, bes. S. 52-55.
[3] John Ray Knott: Discourses of martyrdom in English Literature 1563-1694, Cambridge 1993.
Jan-Friedrich Missfelder