Anne Dillon: The Construction of Martyrdom in the English Catholic Community, 1535-1603 (= St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot: Ashgate 2002, XXVIII + 474 S., 69 s/w-Abb., ISBN 978-0-7546-0305-4, EUR 59,50
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Der Märtyrer ist eine enorm ambivalente Figur. Durch sein Sterben gewinnt nicht nur er selbst ewiges Leben. Vielmehr können auch die Lebenden durch Identifikation und Erinnerungsarbeit an dieser Erlösung schon auf Erden teilhaben. Weil Martyrologien über Leben und Bekenntnis jener Gläubigen berichten, die für ihre religiöse Standfestigkeit mit diesem Leben bezahlen mussten, fungieren sie zugleich auch als 'mémoires d'outre tombe' einer Gemeinschaft, die sich über dasselbe Bekenntnis identifiziert. Es ist ein Gemeinplatz der langsam aufblühenden Forschung zur frühneuzeitlichen Märtyrerkultur, dass die historische Narration der erlittenen Martyrien eine memoriale Funktion zur Selbstvergewisserung der eigenen Identität qua religiöser Verfolgung hat. [1]
Die Forschung richtete ihr Hauptaugenmerk dabei vor allem auf die großen kanonischen Texte. Die Arbeiten von Jean-François Gilmont zu Jean Crespins "Histoire des Martyrs" haben Pioniercharakter für den französischen Raum [2], Robin Bruce Barnes behandelt den lutherischen Diskurs, namentlich Ludwig Rabus [3], und die Forschung zu John Foxe ist inzwischen vornehmlich unter der Feder von David Loades und Thomas Freeman in das Stadium der Editionsphilologie übergegangen. [4] Für Frankreich sind über Gilmont hinaus vor allem die Arbeiten von David El Kenz wegweisend, da sie die politische Brisanz der Märtyrerkultur hervorheben. [5] Gleichwohl ist allen gemeinsam, dass sie sich ausschließlich mit den Martyrologien des Protestantismus beschäftigen. Dies geschieht durchaus nicht zu Unrecht, bildeten doch die protestantischen Märtyrer die weit überwiegende Mehrzahl der Opfer der konfessionellen Intoleranz. Blutzeugen der römisch-katholischen Konfession hat es dagegen europaweit in größerem Ausmaß nur unter den so genannten 'recusants' in England gegeben, wo die Verfolgung des Katholizismus seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nur durch das Intermezzo der Herrschaft von 'Bloody' Mary Tudor unterbrochen wurde. Ihre Geschichte ist dabei nicht in einer zeitgenössischen Narration greifbar, die Crespin oder Foxe vergleichbar wäre. Daher hat sie bisher auch noch nicht in ähnlicher Weise die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden.
Anne Dillons auf einer Vielzahl kleinerer Traktate und Flugschriften basierendes Buch widmet sich dieser bislang unterbelichteten Seite der europäischen Märtyrerkultur. Ihre Generalthese deckt sich dabei mit den Ergebnissen der Forschung zu protestantischen Märtyrern auf dem Kontinent. Die Dokumentation ihres Lebens, Leidens und Sterbens diente den überlebenden Glaubensbrüdern als Exempel eines standhaften Glaubens in Dogmatik und Lebenspraxis. Das Martyrium bot immerhin die Möglichkeit zur ultimativen 'imitatio Christi'. Die Märtyrer standen im Zentrum einer auf Memoria gegründeten Selbstidentifikation mit der verfolgten wahren Kirche, die selbst immer wieder neu durch Martyrien hervorgebracht wurde: "It was a self-reflecting and regenerating symbol that maintained the recusancy which created it" (370). Anne Dillon akzentuiert die Bedeutung der Martyrologien für die Kohäsion der englischen Rekusantengemeinden, die sozial und kulturell auf die Priester als Vermittler des Heils fixiert waren: "The martyr stories urged recusancy, privileged the priesthood, taught the Catholic faith and vested the hope for the survival of Catholicism in a laity which cherished its priests" (112). So weit, so konsensfähig. Die Geschichte der englischen katholischen Martyrologien scheint sich nahtlos in das Bild der von struktureller Äquivalenz zwischen den Konfessionen geprägten Geschichte der Konfessionalisierung und ihrer identitätskonstruierenden Ausdrucksformen einzufügen.
Was das Buch jedoch darüber hinaus interessant macht, sind die Abweichungen vom Idealtyp, die sich aus der besonderen kommunikativen Situation ergeben, in die die katholischen Märtyrerberichte eingebettet waren. Dillon beschreibt diesen kommunikativen Kontext auf drei verschiedenen Ebenen. Zum einen ordnet sie die untersuchten Texte in die zeitgenössische Diskussion über den Status der Hingerichteten als Märtyrer für oder gegen die konfessionelle Wahrheit ein. Diese "pseudomartyr-debate" eröffnete ganze intertextuelle Horizonte, vor denen um die Rechtmäßigkeit des Martyriums und seiner medialen Repräsentation gestritten wurde. Dillon rekonstruiert hier eine Debatte unter Abwesenden, zu deren Hauptprotagonisten unter anderen der später selbst zum Märtyrer gewordene Thomas More und der protestantische Martyrologe John Bale zählten. Hier entstand der spezifische Typus des katholischen Märtyrers aus der Abgrenzung zum protestantischen Gegenmodell. Während dieses - bei Bale wie bei Foxe und Crespin - quer zu allen sozialen und Bildungsschichten in der schlichten Treue zum reformatorischen Glauben fundiert war, legte die katholische Seite mehr Wert auf das durch theologische und sonstige Bildung verbürgte Bekenntnis. Wer seinen Glauben nicht theologisch verteidigen konnte, geriet in den Ruch des Pseudo-Märtyrers, sodass eine eigene Technik der Repräsentation erforderlich wurde: "The Catholic martyr, irrespective of his background, was therefore always presented as a scholar [...]" (93). Die Martyrologie trug auf diese Weise der sozialen Zusammensetzung der Hingerichteten - oftmals Priester - Rechnung und leistete zugleich einen Beitrag zur Debatte um die ideologische Signifikanz des Martyriums selbst.
Auf einer zweiten Ebene macht Dillon den internationalen Kontext deutlich, in dem die fraglichen Texte entstanden. In den Martyrologien verknüpften sich heimische Erfahrungen der Verfolgung mit den Anforderungen und Bedingungen des Exils vornehmlich in Rom oder in Frankreich mit dem Zentrum des englischen Priesterseminars in Rheims. Die fraglichen Texte richteten sich daher gleichermaßen an englische Katholiken wie an ihre Glaubensbrüder auf dem Kontinent. Schließlich untersucht die Autorin die in Text und Bild verbreiteten Martyrologien im Hinblick auf ihre medialen Spezifika. Gerade hier wird eine Konvergenz der beiden ersten Analyseebenen sichtbar. Anne Dillon folgt der Karriere des Grafikers Richard Verstegan, der als gebürtiger Engländer nach Stationen in den Niederlanden schließlich in Frankreich tätig war. Seine Arbeiten, die das Schicksal der englischen Katholiken ins Bild setzten, zielten direkt auf ein vornehmlich französisches radikal-katholisches Publikum. Insbesondere die Kriege der Ligue in den 1580er-Jahren waren ideologisch unterfüttert mit englischer Martyrologie, um den relativen Mangel an eigenen Märtyrern wettzumachen. [6] Die englischen Katholiken dienten dabei, so Dillons These, der symbolischen Kohäsion der katholischen Kirche als ganzer: "[A] landscape of international Catholicism began to emerge to face the threat of international Calvinism" (167). Vielleicht ist diese Sicht ein wenig überzogen. Denn dass Internationalität geradezu die Essenz des Katholizismus ausmachte, bezieht Dillon nicht in ihre Analyse ein. Trotzdem erscheint die etwas abgeschwächte These plausibel, dass die englischen Märtyrer hier eine neue Art der symbolischen Vernetzung gewährleisteten. Dillon kann überdies unter anderem durch einen Vergleich der Ikonografie der Bartholomäusnacht mit Verstegans Arbeiten deutlich machen, dass die Praxis der Repräsentation auf vielfältigen Text- und Bildtraditionen beruhte. Diese konnten aber zugleich zu eigenen propagandistischen Zwecken umbesetzt und umgeschrieben werden. Dies gilt für die Hermeneutik von Vorgaben der Kirchenväter ebenso wie für die gezielte Umdeutung der Ikonografie von zeitgenössischer Kriminaljustiz.
Insgesamt wird erkennbar, dass sich Katholiken ebenso wie Protestanten eines differenzierten Bild- und Textrepertoires der Märtyrerkultur zu bedienen wussten. Beide standen in einem steten Streit um die Besetzung des ideologischen Feldes "Martyrium", in dem gegebene Muster und narrative Strategien flexibel den Erfordernissen der eigenen Partei angepasst wurden. Anne Dillons Studie unternimmt dabei - ohne dies deutlich zu sagen - auf sehr gelehrte, dabei sich nur selten in den Details verlierende Art einige erste Schritte hin zu einer Kommunikationsgeschichte des konfessionellen Zeitalters, die sich nicht in bloßer Mediengeschichte erschöpft. Die Kultur des Martyriums eignet sich ganz besonders für ein solches Unternehmen, da sie wie kaum etwas anderes Körper und Medien miteinander verknüpft. Ohne mediale Aufbereitung - sei es in den "famous last words" der Hingerichteten, die als ungebeugte Konfessionen in den Martyrologien an prominenter Stelle aktualisiert wurden, sei es in den Lebensbeschreibungen der Opfer, die als Exempla für gottgefälliges Leben die soziale Kohäsion der Gemeinden des Zielpublikums garantierten - ist der Körper des Märtyrers nur Opfer, kein Zeichen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. als erste Synthese: Brad S. Gregory: Salvation at Stake. Christian Martyrdom in Early Modern Europe, Cambridge, Mass. 1999 sowie jüngst: Peter Burschel: Sterben und Unsterblichkeit. Die frühneuzeitliche Kultur des Martyriums, München 2004.
[2] Jean-François Gilmont: Jean Crespin, un éditeur réformé du XVIe siècle, Genève 1981.
[3] Robin Bruce Barnes: Prophecy and Gnosis. Apocalypticism in the Wake of the Lutheran Reformation, Stanford 1988.
[4] Vgl. u.a.: David Loades: John Foxe and the English Reformation, Aldershot 1997; Thomas Freeman: Texts, Lies and Microfilm. Reading and Misreading Foxe's "Book of Martyrs", in: Sixteenth Century Journal 30 (1999), 23-46; ders.: Fate, Faction and Fiction in Foxe's Book of Martyrs, in: Historical Journal 25 (2000), 87-97.
[5] David El Kenz: Les bûchers du roi. La culture protestante des martyrs (1523-1572), Seyssel 1997.
[6] Vgl. zu Ansätzen einer Martyrologie der Ligue: David El Kenz: Les usages subversives du martyre dans la France des troubles de religion: de la parole à la geste, in: Martyrs et martyrologes. Textes réunis par Frank Lestringant et Pierre-François Moreau, Lille 2003, 33-51, bes. 43-51.
Jan-Friedrich Missfelder