James J. Sheehan: Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, München: C.H.Beck 2002, 368 S., ISBN 978-3-406-49511-3, EUR 34,90
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Die angelsächsischen Forscher sind seit langem bekannt für eine Disziplin, die im kontinentaleuropäischen, zumal im deutschen Raum gerne verschmäht wird, die gediegene "Einführung". Eine solche hat James J. Sheehan, Professor der Geschichte in Stanford, mit seinem Band "Museums in the German Art World. From the End of the Old Regime to the Rise of Modernism" verfasst, die im Jahre 2000 bei Oxford University Press herauskam. Sie liegt jetzt in einer deutschen Übersetzung vor. Eine gute Übertragung (man hört kein "Englisch" im Hintergrund des deutschen Textes klappern), klar strukturiert und flüssig geschrieben - das fällt zunächst auf, wenn man den Band im Gegensatz zu manchen schwerfällig präsentierten Forschungsergebnissen tatsächlich in kürzester Zeit durchliest.
Derjenige Leser aber, der die eine oder andere Studie zum deutschen Museumswesen des 19. Jahrhunderts von Volker Plagemann (1967) bis zu Thomas W. Gaehtgens (1992) zur Kenntnis genommen hat, kann auf die Lektüre eher verzichten. Denn Sheehan, der, um dieses Buch zu schreiben, Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg war, bringt nicht allein wenig Neues und das Alte nicht unbedingt originell, sondern verzichtet auch gerne einmal auf wesentliche Aspekte, die in dem locker gefügten Text durchaus noch Platz gefunden hätten.
Der Autor erzählt die Geschichte des Museums als Aufstieg und Niedergang seiner Ideen. Von Sulzers Theorem, nach dem die Geschmacksbildung Nationalangelegenheit sei, über die kantische Auffassung der Kunst als interesselosem Wohlgefallen bis hin zur historistischen Sichtweise eines entwicklungsgeschichtlich organisierten Museums, das symmetrische Hängeordnungen oder bedeutungsperspektivische Arrangements der fürstlichen Präsentationen ablöste. Mit Nietzsches Hammer lässt Sheehan dann das Museum dieser Ära zertrümmern und führt das ein, was hier ungeschickterweise nach amerikanischem Sprachgebrauch als "Modernismus" übersetzt wird, womit aber die Epoche der "Moderne" gemeint ist.
In einem großen Rundumschlag wird Geistesgeschichte zwanglos mit Mentalitäts-, politischer und Architekturgeschichte verknüpft. Die Ideen, die im jeweils ersten Abschnitt jedes Kapitels ausgebreitet werden, werden im zweiten Abschnitt auf die Arbeit der Museumspraktiker projiziert und durchdringen schließlich die Beschreibungen der ausgeführten Bauten, die den letzten Abschnitt jedes Kapitels einnehmen. Durch klare, griffige Formulierungen, im Text gesetzte Akzente, gelingt es Sheehan vorbildlich, die Aufmerksamkeit des Lesers über weite Wegstrecken wach zu halten. Dabei werden die Beschreibungen dadurch anschaulich, dass sich Sheehan des Kunstgriffes eines virtuellen Rundganges bedient, mit dem er die wichtigsten Punkte aus der Betrachterperspektive nachzeichnet und bündelt. Manchmal allerdings, etwa bei der Erläuterung des Ausstattungsprogramms der Münchner Glyptothek, gerät selbst ihm eine solche Beschreibung zur bloßen Aufzählung, bei der die Spannungskurve deutlich abfällt.
Das abschließende Kapitel, in dem die historistische Museumslandschaft mit der hereinbrechenden Moderne konfrontiert wird, weist besonders viele inhaltlichen Schwächen auf. Komplexität wird zwar durchaus überschaubar, wenn man ein Knäuel entwirrt und ausgewählte Fäden einzeln nacherzählt. Hier hinterlässt das Weglassen aber beim Leser eher den Eindruck eines Vakuums. Künstlerinstitutionen wie die Sezessionen, die sich an zahllosen Orten bildeten und - parallel zu den Anti-Salons der Franzosen - zu wichtigen Angelpunkten des modernen Kunstbetriebes wurden, hat Sheehan nicht berücksichtigt. Dabei hätte man gerade an einem Bau wie der Wiener Sezession (im vorangehenden Kapitel wird schließlich auch Sempers Kunsthistorisches Museum gewürdigt) den Übergang vom Ideenmuseum zum "white cube" verdeutlichen können. Sheehan aber beschränkt sich in diesem Kapitel auf die Präsentationsmodelle Wilhelm von Bodes im Berliner Kaiser-Friedrich-Museum und das architektonisch vergleichbare Darmstädter Landesmuseum, um mit dem Hagener Folkwang-Museum zu enden.
Dass Sheehans Buch Kritik auf sich zieht, verdankt es sicher auch dem literarischen Stil der Darstellung, der zwischen wissenschaftlicher und populärer, zum Teil anekdotenhafter Form schwankt. Doch auch, wenn er, wie im Vorwort geschrieben steht, zwischen den "allgemeinen Überblicksdarstellungen und den Einzelfallstudien" einen "Mittelweg einschlagen" wollte, ohne dass ihm das zur Befriedigung des Rezensenten gelungen sein mag, eine erste Annäherung an das Thema, ideal für Studenten der Kunstgeschichte in ihren ersten Semestern, liegt hier durchaus vor. Damit steht der Band solide in der angelsächsischen Tradition des Überblickswerkes.
Christian Welzbacher