Thomas Zeller: Straße, Bahn, Panorama. Verkehrswege und Landschaften in Deutschland von 1930-1990 (= Deutsches Museum. Beiträge zur Historischen Verkehrsforschung; Bd. 3), Frankfurt/M.: Campus 2002, 451 S., ISBN 978-3-593-36609-8, EUR 45,00
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Zumindest im deutschsprachigen Raum hat die Umweltgeschichte längst die Vorstellung einer vom Menschen unberührten Natur überwunden. Auch scheinbar natürliche Landschaften sind durch den Einfluss des Menschen geprägt, und die menschliche Umwelt insgesamt ist weithin durch technische Eingriffe mitbestimmt, mit Artefakten gefüllt. Damit ist Umweltgeschichte in einer Industrienation wie Deutschland nicht überzeugend ohne Verbindung zur Technikgeschichte zu betreiben. Zudem ist Landschaft keine rein materielle Gegebenheit. Die menschliche Wahrnehmung der Umwelt ist ebenso kulturell geprägt wie das gesamte Umwelthandeln. So ist Umweltgeschichte in weiterem Sinne eingebettet in eine Kultur- oder Gesellschaftsgeschichte.
Es ist die Stärke von Thomas Zeller, dass er Umweltgeschichte in diesem weiten Sinne betreibt. Er betrachtet den menschlichen Umgang mit Landschaft sowie die Vorstellungen und Erlebnisse von Landschaft bei den Entscheidungen über neue Verkehrswege in Deutschland (unter Ausschluss der DDR) seit 1930. Der genaue Blick auf die historischen Akteure ergibt ein reiches Bild der Auseinandersetzungen über Landschaftsgestaltung, den Wandel der Landschaft und veränderte Wahrnehmungen.
Die historische Untersuchung setzt ein mit dem Beginn des Autobahnbaus in Deutschland unter dem Nationalsozialismus. Man könnte erwarten, dass gerade bei diesem häufig behandelten Thema nichts Neues zu finden wäre, aber weit gefehlt. Gerade dieses Kapitel ist ein Höhepunkt des Buches. Zeller lässt sich nicht von der Nazi-Propaganda zum Glauben an eine einheitliche Gestaltung der Autobahnen verleiten, sondern untersucht den ganzen Bereich detailliert und quellennah. Viele Faktoren kamen bei der Gestaltung der neuen Verkehrswege zusammen. Schon die Pläne für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Weimarer Republik hatten alle den Bau von Autobahnen vorgesehen, und das neue Regime konnte daran anschließen. Zudem hatte gerade Hitler einen wachen Sinn für die propagandistische Wirkung der Autobahnen als Symbol modernster Technik. Die Autobahnen sollten demonstrieren, dass im Gegensatz zur Weimarer Republik ein unter dem Führer geeintes Deutschland ein großes technisches Vorhaben schnell verwirklichen und das Land in das Zeitalter der Massenmobilität katapultieren werde.
Der Nationalsozialismus präsentierte die Autobahnen als Symbol für eine neue deutsche Technik. Sie sollte den höchsten technischen Standards gerecht werden, aber zugleich ästhetisch ansprechend und naturverträglich sein. Die Autobahnen würden sich der Propaganda zufolge in die Landschaft einschmiegen, sich dem Terrain durch Schwingungen anpassen und durch bodenständige Pflanzungen mit der Umgebung verbunden werden. Raststätten sollten in regionalem Stil gebaut sein, die Straßen den Volksgenossen die deutsche Heimat erschließen. Ingenieure schätzten dieses Ideal, weil nun der "Kulturwert der Technik" Anerkennung fand, und Natur- und Heimatschützer sahen ihre Belange ernst genommen. Endlich würde Technik nicht mehr auf Kosten der Natur und einer schönen Umwelt verwirklicht.
Die Realität war ungleich komplexer. Natur- und Heimatschützer hatten kaum Einfluss auf die Planung, weil die so genannten Landschaftsanwälte, welche für die Ingenieure das Gewissen für Belange von Schönheit und Natur sein sollten, vom Beruf her Landschaftsarchitekten waren, die nicht bewahren, sondern gestalten wollten. Bei einem guten Drittel der neu gebauten Autobahnen hatten die Landschaftsanwälte keinen Einfluss auf die Linienführung, auch weil man wegen des hohen Bautempos auf Planungen der Weimarer Zeit zurückgriff. Ihr Einfluss blieb immer gefährdet, da sie nie über den Status von freien Mitarbeitern hinauskamen. Weniger als 0,1 Prozent der Baukosten fiel auf die Bepflanzung, ein deutliches Zeichen dafür, dass die Ingenieure die ästhetisch-natürliche Einbindung als Beiwerk betrachteten. So blieb die Vorstellung einer spezifisch deutschen Technik, wie Zeller überzeugend zeigt, weithin eine Ideologie oder integrative Vision, keine konkrete Utopie. Wie der Leiter des Autobahnbaus Fritz Todt in einer Auseinandersetzung mit dem einflussreichsten Landschaftsanwalt Alwin Seifert deutlich machte, hatten sich dessen Vorstellungen technischen Gesichtspunkten unterzuordnen. Zugleich ist aber auch zu beachten, dass Todt Fragen der Gestaltung nicht seinen Landschaftsarchitekten überließ. Er nahm hohe Steigungsgrade in Kauf, die gerade LKWs Probleme machten und im Winter die allgemeine Funktionstüchtigkeit empfindlich einschränkten, um eine schöne Aussicht zu erreichen, und er hatte eigene Vorstellungen einer schönen Bepflanzung. Während die Landschaftsarchitekten durch einen dichten bodenständigen Bewuchs die Autobahnen harmonisch in die Landschaft einbinden wollten, dachte Todt bei seinen ästhetischen Überlegungen vor allem an den Autofahrer, der einen schönen Blick haben sollte. So stießen zwei ästhetische Konzepte aufeinander, der Blick des Betrachters auf die Autobahn und der Blick der Fahrers von der Autobahn. Insgesamt bewahrheitet sich Albert Speers Beobachtung, dass Fragen der Schönheit im Nationalsozialismus einen überraschend hohen Stellenwert besaßen.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus ging der Autobahnbau selbstverständlich weiter, aber man suchte sich von den "Straßen des Führers" abzusetzen. Während die Kontinuität bei Ingenieuren kein Thema bildete, waren natur- und heimatschützerische Argumente desavouiert. Landschaftsarchitekten verloren ihren Einfluss, die Argumentation über die Gestaltung von Autobahnen präsentierte sich wissenschaftlich und utilitaristisch. Interessant ist jedoch, dass sich die tatsächliche Gestaltung viel weniger änderte als die Begründung. Die intuitive Anpassung ans Gelände wurde durch die Berechnung nach so genannten Klothoidentafeln ersetzt und der Landschaftsarchitekt durch Richtlinien zur Bepflanzung, aber die tatsächliche Erscheinung der Autobahnen war davon nicht grundsätzlich berührt.
Ohne ersichtlichen Grund bricht die Untersuchung der Geschichte der Autobahn um 1970 ab, obwohl doch gerade die folgenden Auseinandersetzungen über Individualverkehr und Straßen von hohem Interesse gewesen wären. Stattdessen wechselt Thomas Zeller ohne weitere Begründung im letzten Kapitel das Thema und beschäftigt sich mit der Bundesbahn. Die Entwicklung bis 1970 wird nur kurz skizziert, der Schwerpunkt liegt auf dem Bau neuer Trassen nach 1970, um die Gleisanlagen dem schnelleren ICE anzupassen. Wieder zeigt sich, dass die Wandlung der Landschaft durch komplexe Auseinandersetzungen bestimmt war: Die Bahn war abhängig von der finanziellen Unterstützung des Bundes, die Länder bemühten sich unabhängig von den Kosten für eine möglichst wenig störende Linienführung, da sie ja nicht zu zahlen hatten, und Anwohner wehrten sich gegen Landschaftszerstörung und Lärmbelästigung. Dieser Widerstand zusammen mit der Notwendigkeit von gerader Linienführung für hohe Geschwindigkeiten führte zu einem neuen Fahrerlebnis. Bei den Neubaustrecken ist durch Tunnel, Einschnitte und Schallschutz auf gut zwei Dritteln der Strecke keine Landschaft mehr zu sehen. Die Eisenbahn wird weithin unsichtbar, aber da der Aushub in alten Steinbrüchen und Tälern abgelagert wird, bleibt auch dies nicht ohne Folgen für die Landschaft.
Insgesamt ist es Thomas Zeller gelungen, ein überzeugendes Bild von Landschaftsveränderung durch den Bau neuer Verkehrswege zu zeichnen. Es wäre wohl sinnvoller gewesen, sich für den gesamten Untersuchungszeitraum auf die Autobahnen zu konzentrieren oder für den gesamten Zeitraum Autobahnen und Eisenbahnen zu vergleichen, aber dennoch ist das gut lesbare und theoretisch reflektierte Buch ein wichtiger Beitrag zur Umwelt- und Verkehrsgeschichte.
Thomas Rohkrämer