Christof Mauch / Thomas Zeller (eds.): The World beyond the Windshield. Roads and Landscapes in the United States and Europe. With a foreword by David E Nye, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, xv + 283 S., ISBN 978-3-515-09170-1, EUR 36,00
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Dorothee Brantz / Christof Mauch (Hgg.): Tierische Geschichte. Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010
Thomas Zeller: Straße, Bahn, Panorama. Verkehrswege und Landschaften in Deutschland von 1930-1990, Frankfurt/M.: Campus 2002
Marco Heurich / Christof Mauch (Hgg.): Urwald der Bayern. Geschichte, Politik und Natur im Nationalpark Bayerischer Wald, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020
Straßen sind Aushandlungsorte politischer und kultureller Werte und Ideen sowie des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie sind einerseits Stätten nationaler Geschichtsschreibung und Inszenierung, andererseits aber gemeinsamer Raum der industriellen Moderne. Das klingt nach Allgemeinplätzen und im eigentlichen Sinne sind Straßen auch genau das - allerdings erstaunlich unerkundete Allgemeinplätze. Die Historiker Christof Mauch und Thomas Zeller haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen und Nationalitäten zusammengebracht, die sich mit der Kulturgeschichte dieser räumlichen Schnittmenge zwischen Straßen und Landschaft auseinandersetzen.
Sechs der zehn Beispiele stammen aus den USA - mit gutem Grund. Keine andere Nation hat den Weg zu sich selbst über so weite Strecken mit dem Automobil zurückgelegt. Die Gleichsetzung von Autofahren und Freiheit, die Ikonografie von Highways in menschenleerer Umwelt, das Synonym von Modernität und Straße bestimmen nationale Erzählungen wie das internationale Amerikabild. Rudy Koshars Beitrag ist ein Plädoyer für eine komplexe Lesart des historischen Raums Straße. Er analysiert die Interaktionen, die sich zwischen den Akteuren und dem sozialen Ort Straße in den USA aber auch in Deutschland bis in die 1930er Jahre bildeten. Koshar liest Straßen als Systeme sozialer Kommunikation, die weniger von den Ingenieuren und Politikern, sondern vor allem durch die Teilhabe individueller Nutzer bestimmt wird. Hier wird demokratisches Verhalten ein- und ausgeübt.
Drei Aufsätze befassen sich mit Parkways, der spezifisch amerikanischen Form der auf das Landschafts- und Geschichtserleben konzentrierten Straßenplanung. Timothy Davis erzählt "Aufstieg und Niedergang" des Parkways, dessen Konzept in den 1920er Jahren als internationales Ideal für die Harmonisierung technischer und ästhetischer Ansprüche diente und als freundliches Gesicht der Moderne erfolgreich vermarktet wurde. Die breiten, kreuzungsarmen Parkways garantierten Fahrsicherheit, dienten der Erholung, der nationalen Selbstvergewisserung und dem entspannten Transit. Die politische Inszenierung an der Schnittstelle von Straße und Landschaft konkretisiert Anne Mitchell Whisnant entlang des Blue Ridge Parkway. Deren Planer konservierten eine nostalgische Siedlersituation, die touristischen Zwecken diente, aber wenig mit dem lokalen Selbstverständnis zu tun hatte. Suzanne Julin untersucht die Entstehung autogerechter Erlebnislandschaften in South Dakota zwischen 1919 und 1932. Auch hier ging es um die touristische Erschließung einer bizarren Felsenlandschaft, in deren Herzen eine gigantische Skulptur der Präsidentenköpfe als visueller und patriotischer Höhepunkt in wilder Natur entstand. Die Beiträge zeigen, wie die Parkways, ursprünglich Ikonen der Moderne, selbst zu historischen Stätten wurden - sie entsprachen bald nicht mehr den Anforderungen einer beschleunigten Gesellschaft, erfüllen aber weiterhin ihren Zweck als Orte nationaler Identitätsstiftung.
Die kommerzielle Begleitlandschaft von Mobilität ist schon seit der Ära der ersten Eisenbahnbauprojekte immer Thema öffentlicher Diskussion gewesen. Auch entlang der Schnellstraßen entstand ein spezifisches Panorama von überdimensionierten Reklamewänden, Schrotthändlern und zwielichtigem Kleingewerbe in vormaliger Peripherie. Carl A. Zimring setzt sich anhand des amerikanischen Highway Beautyfication Act von 1965 mit den widerstreitenden Interpretationen von Straßenansichten auseinander. Während die Gewerbetreibenden Straßen als Orte wirtschaftlicher Aktivität verstanden, lasen (Umwelt-)Politiker sie nun als Wege hinaus in die Natur, die nicht durch sichtbare Zeichen des Kommerzes kontaminiert werden sollten.
Zwei der insgesamt vier Beiträge zu europäischen Straßenprojekten legen den Fokus auf den deutschen Autobahnbau. Beide deutschen Staaten bemühten sich nach 1945, sich vom ideologischen Erbe der Reichsautobahn zu distanzieren. Zugleich ging es nicht nur darum, Transportwege (wieder-)aufzubauen, sondern auch die Überlegenheit des jeweiligen politischen Systems sichtbar zu machen. Thomas Zeller rückt in seinem Aufsatz u.a. die wandelnde Deutung der Autobahnen in der (Kultur-)Landschaft von der nationalsozialistischen Diktatur zur demokratischen Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik in den Blick. Er zeigt, wie die bereits im Nationalsozialismus vorhandenen Konflikte zwischen Landschaftsanwälten und Ingenieuren in der BRD zugunsten der Ingenieure und ihres (Gestaltungs-)Ansatzes der "Versachlichung" entschieden wurden. Axel Dossmann richtet mit seinem Beitrag zu Autobahnen in der DDR als einziger den Fokus auf ein sozialistisches Gesellschaftssystem. Er widmet sich sowohl ästhetischen Aspekten zwischen Rekonstruktion und sozialistischer Symbolik als auch den ökonomischen Schwierigkeiten, die den Autobahnbau trotz politischer Willensbekundung begrenzten. Einen deutlichen Kontrapunkt setzt der Beitrag Massimo Moraglios über die italienischen Autostrade: Die Landschaft als ästhetischer Bezugspunkt spielte beim Bau keinerlei Rolle. In Italien waren es private Investoren, zunächst subventioniert vom faschistischen Regime, die den Bau kostenpflichtiger Schnellstraßen initiierten. Die zahlenden Nutzer wollten den schnellsten Weg zum Ziel - die Gerade war das Ideal. Diese Bereitschaft, Vorgaben alter Kulturlandschaft zu ignorieren, führt Moraglio auf technische Rückständigkeit und Modernisierungshunger zurück. Der Beziehung von Straße und Landschaft in Großbritannien wendet sich Peter Merriman zu. Konzentrierten sich Gartenbauer und Planer zunächst auf die dekorative Bepflanzung, zogen sie bereits in den 1930er Jahren die Kritik von Landschaftsarchitekten und Heimatschützern auf sich, die ein Konzept forderten, das der Moderne wie den Traditionen englischer Landschaftsgestaltung Rechnung trug. Doch erst spät - nach Bau der M 1 in den 1950er Jahren und vielfältiger Kritik an ihrer Ausführung - gelang es, Landschaftsarchitektur strukturell Einfluss zu verschaffen.
Der abschließende Beitrag von Jeremy L. Korr widmet sich einem Sonderfall: Dem Capital Beltway, einer Ringstraße in Washington D.C. Wenngleich in die Planung kaum eingebunden, benennt er die Anwohner als bedeutende Akteure bei der mentalen Konstruktion des Straßenraums. So schließt sich der Themenkreis sozialer und mentaler Aneignungsprozesse, die Koshar eingangs skizzierte.
Der Band bietet vielfältige und spannende Lesarten der "Welt hinter der Windschutzscheibe". Die Zusammenschau eröffnet die Bandbreite der bei der Gestaltung und Aneignung der Straßen-Landschaften beteiligten Akteure. Sie zeigt Protagonisten aus Planung, Politik und Technik ebenso wie Nutzer, Anwohner und Verweigerer und deren aktive Rolle an der mentalen und sozialen Konstruktion gestalteter Umwelt. So erschließt sich der historische Raum Straße in neuer Breite. Zudem tritt der Symbolgehalt des Straßenbaus und der Landschaftsgestaltung als verbindendes Element nationaler Erzählungen zutage. Ideologische Anreicherung findet dabei in allen politischen Systemen statt und reicht, wie z.B. Dossmann konkretisiert, bis zu aktuellen Bauprojekten. Zu den erhellendsten Erkenntnismomenten dieses Sammelbandes gehören die Hinweise auf grenzüberschreitende Transfers. Es entsteht ein Panoptikum internationaler Inspiration und Nachahmung. So ließ sich die zentrale Figur des deutschen Autobahnbaus Todt vor Ort vom amerikanischen Parkwaysystem inspirieren, die italienischen Autostrade sorgten von Deutschland bis Finnland für Furore, britische Ingenieure bereisten "Hitlers Autobahnen", um sie gleichermaßen zu bewundern als auch als Ergebnis eines diktatorischen Regimes wahrzunehmen. Auch wenn unter anderem die Entwicklung in Frankreich, in den 1930er Jahren immerhin das motorisierteste Land Europas, fehlt, bildet sich doch ab, in welchem Ausmaß die Modernisierung der Straßennetze ein paneuropäisches und transatlantisches Projekt war.
Anna-Katharina Wöbse / Sabine Diemer