Klaus Malettke / Ullrich Hanke (Hgg.): Zur Perzeption des Deutschen Reiches im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Théodore Godefroy: Description de l'Alemagne (= Forschungen zur Geschichte der Neuzeit. Marburger Beiträge; Bd. 4), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2002, 279 S., ISBN 978-3-8258-5714-1, EUR 25,90
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Die Frage nach der gegenseitigen Wahrnehmung und der Kenntnis der politischen und verfassungsrechtlichen Verhältnisse der anderen Seite, nach der gegenseitigen Perzeption und Rezeption, ist in der aktuellen Historiografie der deutsch-französischen Beziehungen des 17. Jahrhunderts ein wichtiges Thema. Klaus Malettkes eigenen und den von ihm angeregten Forschungen verdanken wir in besonderem Maße Publikationen zu diesen Beziehungen und zum Hintergrund der Entscheidungsfindung unter dem Aspekt der gegenseitigen Perzeption und Rezeption. Gemeinsam mit Ullrich Hanke präsentiert Malettke nun mit der Edition von Théodore Godefroys "Description de l'Alemagne" einen interessanten Primärtext zur "Perzeption des Deutschen Reiches im Frankreich des 17. Jahrhunderts".
Hinter den großen Namen der französischen Politik wie dem Kardinal Richelieu, dessen Denken und Handeln von Historikern immer wieder in den Blick genommen wird, standen hoch qualifizierte Berater, deren Namen und Wirken teilweise kaum bekannt und erforscht sind. Einer davon ist der 1580 in Genf geborene Godefroy, Spross einer aus Frankreich emigrierten Gelehrtenfamilie, der sich wiederum in Frankreich niederließ, zum Katholizismus konvertierte und als Berater der französischen Delegation beim Westfälischen Frieden 1649 in Münster starb. Seit 1613 war Godefroy Hofhistoriograf, und insbesondere für die Regierung Richelieus verfasste er zahlreiche Gutachten. In diese Kategorie fällt die "Description de l'Alemagne", ein in seinen Grundzügen zwischen 1624 und 1632 entstandenes Memorandum in 53 Kapiteln. Der Titel ist etwas irreführend, da sich Kapitel mit geografischer und verfassungsrechtlich-politischer Beschreibung neben genealogisch-dynastischen finden, einschließlich sechs rein als Stammbäume konzipierter Kapitel. Kapitel 3 stellt kaiserlich-spanische Heerführer des Dreißigjährigen Krieges (unter anderem Tilly, Wallenstein) vor. Ausländische Dynastien und Fürsten, die zugleich Reichsstände waren, finden zum Teil ausführlich Berücksichtigung bis hin zu einer ausgedehnten Beschreibung der afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Besitzungen des Königs von Spanien (152). Gebiete, die nur von ihrer Kultur her als deutsch bezeichnet werden können wie Preußen und Livland - Godefroy notiert jeweils die lehensrechtlichen Beziehungen zu Polen - sind abgehandelt, ebenso nicht-deutsche Reichsglieder wie der Herzog von Savoyen. Vor dem Hintergrund des Mantuanischen Erbfolgekrieges ist bemerkenswert, dass Mantua keine Erwähnung findet. Rätselhaft ist, warum sich Kapitel über die Könige von Schweden und Polen und ihre Besitzungen in dem Memorandum finden. Im Anschluss an die "Description" sind 39 Überlieferungsvarianten (179-279) ediert, die zum Teil weitere interessante Aspekte - darunter die Verbreitung der deutschen Sprache in Europa sowie den Gebrauch anderer Sprachen im Reich (266) - beleuchten.
Godefroys "Description" ist ein historisch reizvoller Text. Wir erfahren aus ihm nicht nur, welches Wissen über das Reich und Deutschland der Regierung Richelieus und später der französischen Delegation in Münster abrufbar zur Verfügung stand, sondern auch, wie die rechtlich-politischen Gegebenheiten interpretiert wurden, denn Godefroy bemühte sich um eine Übertragung der deutschen Rechtsinstitute in das französische Verständnis. So bezeichnet er die Reichstage als "Assemblées des Estats generaux" (102), das Reichskammergericht als "le principal Parlement d'Alemagne" (105), die Reichskreise als "Prouinces" (107). Godefroy benennt einige der Autoren, die er benutzt hat (unter anderem 112, 114, 117), und Malettke kann eine beachtliche Liste der Godefroy bekannten Autoren zusammenstellen (XLVI). Unerforscht ist allerdings, in welchem Maße Godefroys Wissen wirklich rezipiert und in der französischen Politik wirksam wurde. Eine fragmentarische Kopie der "Description" findet sich in der französischen Korrespondenz während des Westfälischen Friedenskongresses. [1] Dass Godefroy Lothringen unter die Reichslehen zählte (66), stand aber im Widerspruch zur offiziellen französischen Linie und war selbst im Reich umstritten. Komplizierte rechtliche Verhältnisse, die gerade ein Hauptproblem der Historiografie der französischen Reichspolitik darstellen, schlüsselt Godefroy nicht detailliert auf.
Die Editoren konnten 24 Fassungen der "Description" ermitteln, von denen sie elf - ohne nähere Begründung - zur Edition und Kommentierung herangezogen haben. Artikel Malettkes zur Biografie Théodore Godefroys und zur Darstellung des Reiches in der "Description", die um einige neuere Literatur hätten ergänzt werden können, leiten die Edition ein. Das Memorandum wurde oftmals - zum Teil noch nach Godefroys Tod - überarbeitet, abgeschrieben und mit Randbemerkungen versehen, und es gibt keinen endgültigen, klar datierbaren Stand. Dem edierten Text liegt deshalb der Stand eines von Godefroy 1632 in achtjähriger Arbeit erstellten Memorandums zu Grunde, aber viele Varianten führen zeitlich darüber, auch über den Tod des Autors, hinaus. Gerade auch angesichts der nicht unproblematischen Genese und Überlieferung des Textes ist die sorgfältige Kollationierung und umfassende textkritische Kommentierung hervorzuheben, die es überhaupt erst ermöglichen, den Inhalt des Memorandums angemessen einzuordnen, und es damit benutzbar machen. Dies ist umso beachtlicher, als die Edition nicht im Rahmen eines größeren Projekts oder Editionsunternehmens entstand. Auf ein Register wurde aus Kostengründen (LIII) verzichtet. Wünschenswert wäre auch eine ausführlichere Sachkommentierung gewesen. Gerade die zahlreichen geografischen Namen in einem immerhin zunächst für deutsche Leser edierten anspruchsvollen französischen Text müssen nun von jedem Benutzer individuell ermittelt werden, und vielen Lesern wird nicht unmittelbar präsent sein, dass es sich zum Beispiel bei "Tibisque" (122) um die Tisza (deutsch Theiß), bei "Derpte" (128) um Tartu (deutsch Dorpat), oder bei "Liba" (131) um Liepaja (deutsch Libau) handelt. Kalkuliert man allerdings, welchen Zeitaufwand für die beiden Bearbeiter bereits der sorgfältige Variantenapparat und die Ermittlung der zahlreichen Personen bedeutet haben muss, kann man das Fehlen von Register und weiterer Kommentierung zwar bedauern, ihnen aber nicht anlasten, zumal der Text weitgehend frei von offensichtlichen Fehlern ist. Bedauerlich ist deshalb, dass zwei sich an exponierter Stelle finden: So lautet der Titel von Godefroys Memorandum auf dem Buchdeckel "Description de l'Alemagne", darüber hinaus, beginnend bei der Titelseite, aber durchgängig "Description d'Alemagne". Die Überschrift zu Kapitel 37 lautet im Kapitel wie im Inhaltsverzeichnis "Des dix Cercles ou Proince d'Alemagne", obwohl eine betreffende Sachanmerkung (108) korrekt zitiert "Cercles ou Prouinces d'Alemagne".
Der Text setzt nicht nur eine gewisse Vertrautheit mit der behandelten Materie, sondern auch mit historischem Französisch voraus. Die Edition orientiert sich an den von Johannes Schultze 1966 aufgestellten Richtlinien für die Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte (LIII), die ausdrücklich nicht für längere nicht-deutsche Texte gedacht war und durch einen Arbeitskreis der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen bald überarbeitet und um ausführliche Empfehlungen zur Edition auch französischer Texte ergänzt wurde. [2] So lässt die Edition verschiedene formale Fragen offen - zum Beispiel: Wurden Akzente ergänzt und wenn ja nach welchen Kriterien? Hat ein s/c-Ausgleich statt gefunden? -, während vor allem der Verzicht auf einen u/v-Ausgleich dem ungeübten Leser einiges abverlangt und vielleicht verhindert, dass der Text die breite Aufmerksamkeit findet, die er verdient. Dies wäre umso bedauerlicher, als Malettke und Hanke hier eine bedeutsame Quelle sorgfältig und kenntnisreich ediert haben, die hoffentlich weitere Forschungen zur Tätigkeit Godefroys und anderer Berater anregt.
Anmerkungen:
[1] Acta Pacis Westphalicae, hg. durch Konrad Repgen, Serie II (Die französischen Korrespondenzen), Bd. 4, bearb. von Clivia Kelch-Rade und Anuschka Tischer, Münster 1999, S.882.
[2] Jahrbuch der historischen Forschung 1980, Stuttgart 1981, S. 85-96; http://www.ahf-muenchen.de/Arbeitskreise/empfehlungen.shtml.
Anuschka Tischer