Heinz Duchhardt: 1648 - Das Jahr der Schlagzeilen. Europa zwischen Krise und Aufbruch, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, 204 S., ISBN 978-3-412-50120-4, EUR 24,99
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Siegrid Westphal: Der Westfälische Frieden (= C.H. Beck Wissen; 2851), München: C.H.Beck 2015, 127 S., 3 Karten, ISBN 978-3-406-68302-2, EUR 8,95
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Bertrand Haan: Une Paix pour l'éternité. La Négociation du traité du Cateau-Cambrésis, Genève: Droz 2010
Axel Gotthard: Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung, Stuttgart: UTB 2016
Claire Martin (éd.): Mémoires de Benjamin Aubery du Maurier, ambassadeur protestant de Louis XIII (1566-1636), Genève: Droz 2010
Christopher Spehr / Siegrid Westphal / Kathrin Paasch (Hgg.): Reformatio et memoria. Protestantische Erinnerungsräume und Erinnerungsstrategien in der Frühen Neuzeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020
Heinz Duchhardt / Martin Espenhorst (Hgg.): Utrecht - Rastatt - Baden 1712-1714. Ein europäisches Friedenswerk am Ende des Zeitalters Ludwigs XIV., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013
Heinz Duchhardt: Der Aachener Kongress 1818. Ein europäisches Gipfeltreffen im Vormärz, München / Zürich: Piper Verlag 2018
Der Westfälische Frieden erfreut sich seit dem 350-jährigen Jubiläum von 1998 größter Aufmerksamkeit nicht nur der Frühneuzeitforschung. Er ist als vermeintlicher Beginn des europäischen Staatensystems auch zum Interessengebiet von Historikern späterer Epochen und Politologen geworden. Bei der Erforschung des Westfälischen Friedens geht es längst nicht mehr nur darum, Forschungslücken zu schließen. Die rund vierjährigen Verhandlungen, die lange Vor- und Nachgeschichte des Friedens sind vielmehr ideal für methodische und thematische Innovationen. Entsprechend schwierig ist es, den Überblick zu behalten, die Rolle des Westfälischen Friedens in der Geschichte zu definieren und angesichts der Forschungsfülle auch nicht überzubetonen. Die beiden 2015 erschienenen Bände von Heinz Duchhardt und Siegrid Westphal tragen zu einer solchen Positionsbestimmung auf unterschiedliche Weise bei: Westphal bietet einen Überblick über den Westfälischen Frieden einschließlich seiner Vor- und Nachgeschichte, Duchhardt unternimmt einen Querschnitt durch das Jahr 1648 in der europäischen Geschichte.
Es ist ambitioniert, den Westfälischen Frieden auf 108 Seiten zu präsentieren, wie sie für Westphals Darstellung nach Abzug von Zeitleiste, Auswahlbibliografie und Personenregister bleiben. Die von 1630 bis 1659 reichende Zeitleiste zeigt bereits, dass eine Geschichte des Westfälischen Friedens mehr umfasst als die reinen Verhandlungsjahre in Münster und Osnabrück. Westphal beginnt nicht von ungefähr mit dem Hinweis, dass Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Frieden keine Themen sind, die sich einfach erklären ließen, und dass diese Ereignisse zudem mit weiteren Kriegen verflochten waren. Doch das schlanke Konzept der Reihe Wissen im Verlag C.H. Beck zielt nicht auf die komplexe Durchdringung von Themen, sondern auf konzise Wissensvermittlung, die neben den genannten Hilfsmitteln noch drei anschauliche Karten auf den Innenseiten der Buchbände umfasst. Man kann von einer in dieser Reihe erscheinenden Geschichte des Westfälischen Friedens a priori nicht erwarten, dass sie Fritz Dickmanns mehrfach neu aufgelegte monumentale Studie von 1959 ersetzt, die bei allem Forschungsfortschritt weiterhin das Standardwerk zum Thema bleibt. Doch Westphal setzt mit ihrer Darstellung einen neuen Akzent, indem sie die Geschichte des Westfälischen Friedens konsequent nicht vom Krieg, sondern vom Frieden her schreibt, von der Friedensnorm und der Friedensfähigkeit der Frühen Neuzeit, die in jüngster Zeit in der Forschung immer wieder als Gegenpol zur Bellizität der Epoche herausgestellt werden. Insbesondere das Heilige Römische Reich hatte seit dem Ewigen Landfrieden von 1495 eine Tradition der Befriedung, und auch die anderen Mächte in Europa waren grundsätzlich friedenswillig und verhandlungsbereit.
Westphal kann eine beeindruckende Linie der Friedensversuche von der Böhmischen Revolte 1618, der sogleich ein kursächsischer Vermittlungsversuch folgte, bis zum Westfälischen Frieden ziehen. Der prägnanteste Ausdruck der Friedensbereitschaft mitten im Dreißigjährigen Krieg war zweifellos der Prager Friede 1635, der vieles vom Westfälischen Frieden vorwegnahm, aber den Krieg nicht beenden konnte. Als wesentliche Gründe für den trotz ständiger Friedensbereitschaft andauernden Krieg nennt Westphal die Übertragung der pfälzischen Kurwürde vom böhmischen Gegenkönig Friedrich V. auf Maximilian von Bayern, durch die ein konfessioneller Grundkonflikt geschaffen wurde, den erst die Schaffung einer 8. Kurwürde 1648 wieder auflöste, darüber hinaus das Eingreifen immer neuer Akteure, die sich von der habsburgischen Politik bedroht fühlten, und als prägnantes Beispiel dieses habsburgischen Handelns das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. von 1629, das nicht nur die Protestanten in Alarmbereitschaft versetzte, sondern alle, die ein autoritäres Kaisertum ablehnten. Dass der Kongress in seiner endgültigen Form in Münster und Osnabrück zustande kam, war dann ein deutliches Zeichen, dass nun die entscheidenden Verhandlungen begannen. Die Vorgeschichte des Kongresses nimmt bei Westphal nicht von ungefähr rund ein Drittel der Gesamtdarstellung ein. Mit den gemeinsamen Verhandlungen von Habsburgs Kriegsgegnern Frankreich, Schweden und den Generalstaaten und der Zulassung auch ihrer reichsständischen Verbündeten bzw. 1645 dann der kaiserlichen Einladung an alle Reichsstände waren bereits entscheidende Weichen für den Friedensschluss gestellt. Trotzdem wurden es mit vier Jahren die längsten kontinuierlichen Friedensverhandlungen der Neuzeit. In ihrem Zuge konnten aber letztlich nicht einmal alle Konflikte beigelegt werden, denn der 1635 ausgebrochene französisch-spanische Krieg, der zu einem Teil des Dreißigjährigen Krieges geworden war, ging weiter.
Mit dem Kongress brachen 109 Gesandtschaften mit mehr oder minder großem Gefolge - die größte die des französischen Prinzipalgesandten mit rund 600 Personen - über die beiden kleinen Städte Münster und Osnabrück herein, die bis dahin ohne eine reichspolitische Infrastruktur waren. Strukturen mussten geschaffen, der Alltag in diesem Ausnahmezustand bewältigt werden. Es trafen Menschen unterschiedlicher Nationalität und Mentalität auf engem Raum aufeinander. Viele von ihnen hatten selbst als politische Akteure den Krieg mit geprägt und waren also tatsächlich Teil einer Kriegspartei. Hinzu kamen zeremonielle Ansprüche, die oft die konträren politischen Ansprüche bereits symbolisierten. Dabei ging der Krieg weiter. All das sind Aspekte, die Westphal ebenfalls einbezieht, sodass für die reine Darstellung der Verhandlungen und der Vertragsinhalte schließlich knapp die Hälfte des Buches bleibt. Es schließt ab mit einem Blick auf jene Geschichte des Westfälischen Friedens, die 1648 erst begann: seine Umsetzung durch den Nürnberger Exekutionstag, seine Überführung in Reichsrecht und schließlich in die Verfassungswirklichkeit und Politik der kommenden anderthalb Jahrhunderte sowie seine Memorialkultur, die im Laufe der Zeit zwischen verschiedenen Extremen schwankte.
Angesichts der Fülle an Themen, Sachverhalten und eben auch Forschung, die mit dem Westfälischen Frieden verbunden sind, gerät Westphals Darstellung mitunter zum historischen Parforceritt. Ob derjenige, der tatsächlich thematisches Neuland betritt und sich mit dem Band erstes Wissen darüber verschaffen will, dabei immer folgen kann, sei dahin gestellt. Ein komplexes Thema knapp zu präsentieren und dabei noch eigene Akzente zu setzen, ist zweifellos eine Herausforderung. Vieles kann so zwangsläufig nur oberflächlich angesprochen werden. Die Konzeption, den Frieden in den Vordergrund zu rücken, blendet dabei den Krieg über nüchterne militärische Fakten hinaus weitgehend aus, was die Friedensgeschichte mitunter zu glatt erscheinen lässt. Immerhin waren die Parteien nicht nur friedens- und verhandlungsbereit, sondern auch gewaltbereit. Die Friedensunsicherheit endete nicht mit dem Friedensschluss, und die Kriegserinnerung wurde zu einem wichtigen Garanten des Westfälischen Friedens.
Auch insofern bildet Duchhardts Ansatz, auf das Jahr 1648 in ganz Europa zu blicken, einen spannenden Kontrast zur Darstellung des Westfälischen Friedens. Ihm geht es dabei um mehr als eine Geschichte Europas in diesem Jahr, nämlich auch um die Frage, wie dieses Jahr zeitgenössisch in Europa wahrgenommen wurde. Ein Ereignis wie der Westfälische Frieden war, das streicht auch Westphal heraus, nicht nur ein politisches Ereignis, sondern zugleich ein Medienereignis. Die Medien konstituierten einen europäischen Kommunikationsraum, allen voran die periodische Presse, die kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg entstanden war und während des Krieges zur festen Größe wurde. Wie Duchhardt deutlich macht, war der Westfälische Friede zwar ein zentrales, aber selbst im Spiegel der deutschen Presse nicht das einzige Ereignis, das die Menschen beschäftigte. Der in der historischen Distanz epochale Friede relativiert sich aus der Perspektive der Zeitgenossen, die weiter in Turbulenzen verwickelt blieben. Die Forschung hat längst herausgearbeitet, dass in Westfalen Frieden nicht nur geschlossen wurde, sondern auch gescheitert ist, denn der Krieg zwischen den großen Kontrahenten Frankreich und Spanien ging weiter. Duchhardts Rundumschau macht aber in beeindruckender Weise deutlich, dass auch darüber hinaus der Westfälische Frieden nichts an der grundsätzlichen Kriegsintensität und Krisenhaftigkeit der Epoche änderte. Die Kleine Eiszeit war der Hintergrund einer globalen Erschütterung. 1648 war nicht zuletzt ein Jahr der Unwetter und Naturkatastrophen, auch wenn es innerhalb der globalen Klimakatastrophe keinen besonderen Höhepunkt darstellte. Im Europa jener Zeit lässt sich ein allgemeines Unsicherheitsgefühlt feststellen, das durchaus nicht unbegründet war. 1648 war nicht nur ein Jahr von Krieg und Frieden, sondern auch ein Jahr der Aufstände und Revolutionen: Spanien, das durch einen Friedensschluss mit den Generalstaaten in Münster entlastet worden war, führte an anderer Front weiter Krieg, kämpfte aber auch weiter gegen die bestehenden Revolten in Portugal und Katalonien und sah sich einer neuen in Neapel gegenüber. Frankreich, dessen Frieden mit dem Kaiser nur ein halber Sieg war, wurde mit der Fronde in einen jahrelangen Bürgerkrieg geworfen. In England tobte ein solcher bereits und sollte der Monarchie dort zeitweilig ein Ende bereiten. In Polen-Litauen brach der Chmielnicki-Aufstand aus, in dessen Verlauf es zu gewaltigen antijüdischen Pogromen kam. Das waren nur einige der Krisenherde, die Europa bewegten.
Selbst dort, wo der Westfälische Friede seine Wirkung entfaltete, blieb aber oft die Verelendung durch den Krieg präsent oder schuf der Frieden auch schlicht beklemmend endgültige Zustände wie in Böhmen, das seit dem Aufstand von 1618 zu einem anderen Land geworden war. Aus der Distanz erkennt man aber im Jahr 1648 zugleich allenthalben den Aufbruch in Kunst und Kultur in eine neue Epoche. Auch die Generationen wechselten. Nach dem Tod Christians IV. von Dänemark 1648 lebte von denen, die das Heilige Römische Reich und Europa in den Krieg geführt hatten, nur noch Maximilian von Bayern.
Duchhardts Buch ist eine für Kenner der Materie wie für historische Laien gleichermaßen geeignete, unterhaltsam geschriebene Tour d'Horizon durch das Jahr des Westfälischen Friedens, das eben so viel mehr als nur das Jahr des Westfälischen Friedens war.
Für einen Einstieg in die Forschung sind die beiden Bücher wenig geeignet, da sie keine Anmerkungen haben und lediglich kursorische Literaturhinweise präsentieren. Doch es sind kenntnisreiche Überblicksdarstellungen, die als solche empfehlenswert sind und den Mut zu großen Linien haben, die in der kleinräumigen Erforschung der Details auch den Fachhistorikern mitunter aus dem Blick geraten.
Anuschka Tischer