Norbert Jung: Der Speyrer Weihbischof Andreas Seelmann (1732-1789) im Spannungsfeld von "nachgeholter" Aufklärung und "vorgezogener" Restauration (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte; Bd. 103), Trier: Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte 2002, XVII + 1036 S., ISBN 978-3-929135-37-4, EUR 93,00
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Die Aufklärung dominierte im Wesentlichen in den protestantischen Territorien und zeichnete sich vor allem durch säkularisierende Tendenzen aus. Gab es vor diesem Hintergrund eine genuin katholische Form der Aufklärung? Eine bejahende Antwort liefert Norbert Jung mit seiner Biografie des Speyerer Weihbischofs Andreas Seelmann, den er als frühen katholischen Aufklärer einstuft und der demzufolge zumindest regional bedeutenden Einfluss auf das katholische Geistesleben und deren Vertreter ausüben konnte.
Andreas Seelmann, dem die hier anzuzeigende Bamberger Dissertation gilt, ist in der Tat eine der interessantesten Persönlichkeiten, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts am Oberrhein wirkten. Obwohl in bescheidenen Verhältnissen als Sohn eines Tagelöhners im oberfränkischen Dorf Ebensfeld aufgewachsen, gelangte er zum Studium und stieg in wenigen Jahren zu einem hohen kirchlichen Würdenträger auf: Mit 26 Jahren war er Hofmeister am Hof des Fürstbischofs von Bamberg, wenige Jahre später Stiftsherr in Bamberg, ehe er mit 36 Jahren, 1768, vom damaligen Speyerer Fürstbischof von Hutten als Regens und Professor für Kirchenrecht an das Priesterseminar in Bruchsal abgeworben wurde. 1771 wurde er zum Speyerer Weihbischof und bischöflichen Vikar ernannt und gelangte damit in das Amt, das er bis zu seinem Lebensende innehatte.
Als Regens und später als Weihbischof konnte er sich schon bald eines großen wissenschaftlichen Renommees erfreuen, das er vor allem seiner Einführung der Prinzipien der Aufklärung in die Priesterausbildung verdankte. Diese Haltung brachte ihn jedoch zusehends in Gegensatz zum konservativen Kreis Bruchsaler Exjesuiten, der sich ab Mitte der 1770er-Jahre erfolgreich um den Speyerer Fürstbischof Damian August von Limburg-Styrum scharen und diesen maßgeblich beeinflussen konnte. Der aus diesen unterschiedlichen Geisteshaltungen resultierende Streit trug maßgeblich dazu bei, dass das Verhältnis zwischen Seelmann und Limburg-Styrum zunehmend konfliktreicher wurde, wozu auch eine wachsende persönliche Abneigung beitrug. Der Weih- und der Fürstbischof erregten mit ihren Auseinandersetzungen großes Aufsehen und beschäftigten zuweilen nicht nur diverse theologische Fakultäten, sondern auch den Nuntius in Köln oder den Papst in Rom. Gegenstand war unter anderem das schwierige kirchenrechtliche und letztlich machtpolitische Verhältnis zwischen Fürstbischof und Domkapitel, zu dessen Fürsprecher sich Seelmann aufschwang, aber auch unterschiedliche theologische Meinungen. Einen Höhepunkt markierte dabei der so genannte Isenbiehlsche Streit, in dessen Verlauf sich Seelmann durch eine eigene bibelexegetische Position nicht nur in Gegensatz zu seinem Fürstbischof, sondern auch zu vielen anderen Vertretern der Reichskirche brachte.
Es sind gerade diese Konflikte, die Norbert Jung akribisch nachzeichnet. Kenntnisreich baut er die theologischen wie kirchenrechtlichen Gegensätze zwischen dem Weihbischof und seinem Vorgesetzten auf. Dabei versucht er die Biografie, die Geisteshaltung wie auch die Wirkungsgeschichte Seelmanns in extenso nachzuzeichnen: Seinen rund 700 Seiten umfassenden Ausführungen zu Seelmann lässt er einen etwa 200 Seiten langen Quellenanhang folgen. Der wahrhaft monumentale Umfang des Buches steht ganz im Gegensatz zu der mehrfach erhobenen Klage Jungs über die karge Quellenlage zu Seelmann. Die von ihm in der Einleitung angekündigte "Spurensuche" zum Werdegang des Weihbischofs war demzufolge äußerst ertragreich. Dies hängt jedoch auch damit zusammen, dass sich Jung allzu sehr von seiner Liebe zum Detail hinreißen lässt. Die Folge sind langatmige, schwer zu durchschauende Analysen, die von äußerst umfangreichen Zitaten ummantelt werden. So sucht er mangels direkter Quellen in ausführlichen Exkursen zu den Schülern wie auch den jesuitischen Gegnern Seelmanns Aussagen zu dessen Geisteshaltung und Wirkungsgeschichte zu treffen. Dieser Weg der indirekten Rekonstruktion ist zweifellos sehr schwierig, doch wäre es durchaus wünschenswert gewesen, wenn Jung hier an mancher Stelle etwas gestrafft hätte. Demgegenüber kommen sozialgeschichtliche Aspekte etwas zu kurz. Vor allem die gesellschaftlich herausragende Position Seelmanns während seiner Speyerer Zeit oder aber seine kirchenseelsorgerische Bedeutung als Weihbischof hätten einen breiteren Raum verdient.
Trotz allem überwiegt der positive Eindruck; der Fleiß wie auch die Quellenkenntnis Jungs sind beeindruckend. Für die weitere Erforschung der Kirchengeschichte am Oberrhein im Zeitalter der Aufklärung wird das vorliegende Werk von grundlegender Bedeutung sein. Aus kirchen- wie vor allem aus landesgeschichtlicher Sicht bleibt nur zu wünschen, dass der große Widerpart Seelmanns, der Speyerer Fürstbischof Damian August von Limburg-Styrum, bald ebenfalls Gegenstand einer modernen biografischen Analyse und das allgemein von ihm gezeichnete Bild als streitsüchtigen, antirevolutionären und stockkonservativen Kirchenfürsten hinterfragt wird.
Harald Stockert