Rezension über:

Valeska von Rosen: Mimesis und Selbstbezüglichkeit in Werken Tizians. Studien zum venezianischen Malereidiskurs (= zephir; 1), Emsdetten / Berlin: edition imorde 2001, 487 S., 92 s/w-Abb., ISBN 978-3-9805644-6-5, EUR 58,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Candida Syndikus
Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Candida Syndikus: Rezension von: Valeska von Rosen: Mimesis und Selbstbezüglichkeit in Werken Tizians. Studien zum venezianischen Malereidiskurs, Emsdetten / Berlin: edition imorde 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/09/3478.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Valeska von Rosen: Mimesis und Selbstbezüglichkeit in Werken Tizians

Textgröße: A A A

In ihrer Studie thematisiert Valeska von Rosen den auf Leon Battista Alberti zurückgehenden Malereidiskurs seit dem Cinquecento und seine Beziehung zum reifen und späten Werk Tizians. Es handelt sich dabei um eine im Jahre 1998 an der Freien Universität Berlin (bei Rudolf Preimesberger) eingereichte Dissertation. Theoretischer Ansatz und Sprache berufen sich ausdrücklich - dies verrät bereits der Obertitel des Buches - auf die zeitgenössische Literaturwissenschaft.

Im ersten Teil ihrer Arbeit setzt sich von Rosen mit der frühneuzeitlichen Rezeptionsgeschichte der Werke Tizians auseinander. Den Ausgangspunkt bildet die Tizian-Vita Vasaris, die mit ihrer berühmten Kritik am mangelnden 'Disegno' und an der Vorherrschaft der Farbe die Sicht auf die Malerei des Cadoriners in den folgenden Jahrhunderten maßgeblich beeinflusst hat. Die Auswirkungen der von Vasari negativ interpretierten, da vermeintlich auf Kosten des geistvollen Gehaltes der Bilder gehende Dominanz des 'Colore' verfolgt von Rosen akribisch bis in die jüngere Forschungsliteratur hinein. Darauf lässt von Rosen die venezianischen Antagonisten des Toskaners Vasari zu Wort kommen, und hier nicht allein Dolce, Ridolfi und Boschini. Ein wichtiges Diskussionsforum bildete der Kreis um Tizian, Aretino und Sansovino, wo man sich in gelehrten Tischgesprächen über die Möglichkeiten künstlerischer und literarischer Form auseinandersetzte. Valeska von Rosen verfolgt in diesem Zusammenhang - im Widerspruch zur landläufigen Auffassung der Forschung - eine Rehabilitierung Tizians als Künstler mit umfassenden Bildungshintergrund, der in der Lage war, sich mit den kunsttheoretischen Konzepten seiner Zeitgenossen auseinander zu setzen.

Im zweiten Teil der Arbeit geht es von Rosen darum, vor dem Hintergrund der in der Kunsttheorie der Zeit erörterten Wirkungsästhetik Tizians Bilder einer Analyse zu unterziehen. Ausgewählt wurden mit der 1867 verbrannten 'Pala di S. Pietro Martire' (1526-30; ehemals Venedig, SS. Giovanni e Paolo) und der für die Mailänder Confraternita di S. Corona geschaffene 'Dornenkrönung Christi' (Paris, Louvre) zwei Gemälde, in denen die 'Storia' - aus dem narrativen Kontext der Heiligenlegende beziehungsweise der Passion Christi herausgelöst - zum Bildgegenstand von Altarbildern geworden ist, wo sie die althergebrachte Form der 'Sacra Conversazione' ersetzt. Dieser Schritt, der sich freilich in der 'Himmelfahrt Mariens' der Frarikirche (1516-18) schon anbahnt, ist umso bemerkenswerter, als in den beiden genannten Gemälden das Thema der Gewalt im Mittelpunkt steht. In der affektgeladenen Erzählweise Tizians sucht von Rosen nach dezidierten Hinweisen auf die Wirkungsästhetik als dem thematischem Kontrapunkt der Gemälde.

Als problematisch erweist sich die Theorie der Autoreferentialität - vor allem in Kapitel III: Im Mittelpunkt steht der sichtbare Pinselstrich, aufgrund dessen "der produktive Akt der Bildentstehung selbst thematisiert" werde (300). Mit anderen Worten: Die bewusste Offenlegung des Arbeitsprozesses gerät zum eigentlichen Gegenstand der Malerei. Aus gutem Grund untersucht von Rosen das Phänomen der 'Pinselschläge' ('Colpi') zunächst an den beiden Bildnissen des Literaten und Tizian-Freundes Pietro Aretino in der New Yorker Frick-Collection und im Palazzo Pitti in Florenz, bietet sich doch gerade durch die bekannten schriftlichen Reaktionen des Portraitierten auf sein Portrait im Palazzo Pitti eine Analyse des sichtbaren Pinselduktus aus kunsttheoretischer Sicht an.

Der Ansatz erscheint insofern heikel, als hier nur Werke Tizians in den Blick genommen werden, die frühestens seit dem Beginn der Vierzigerjahre entstanden sind; die vorhergehende Entwicklung wird dagegen ausgespart. Nur andeutungsweise räumt von Rosen ein, die sichtbare Pinselführung sei bereits im Œuvre des ganz jungen Tizian zu finden (301). Tatsächlich lassen schon Werke wie die Fresken im Kapitelsaal der Paduaner Antoniusbruderschaft von 1511 (auch wenn wir hier von einem nicht unbeträchtlichen Substanzverlust der Maloberfläche auszugehen haben) oder die 'Assunta' der Frarikirche erkennen, dass Tizian bereits früh Motive zu Gunsten einer Verlebendigung und Intensivierung des Ausdrucks mit deutlich sichtbaren Pinselstrichen modellierte.

Im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung gelang es Tizian zunehmend, in der Differenzierung des Pinselduktus sämtliche Register des künstlerischen Ausdrucks zu ziehen. Dieses stets vom Bildgegenstand abhängige Variieren der Malfaktur innerhalb ein und desselben Gemäldes als "Phänomen des Stilpluralismus" (337) zu interpretieren, wie dies bei von Rosen anklingt, bedeutet jedoch eine Überforderung des Stilbegriffs. Von Rosen kommt in der Folge zu dem Schluss, Werke der 'ultima maniera', wie die späte 'Dornenkrönung' in der Münchner Alten Pinakothek, seien aufgrund ihrer Rezeptionsgeschichte als "Bildexperiment" (17) beziehungsweise "sichtbare Manifestation einer tiefgreifenden Bildskepsis" (450) zu verstehen. Dies bedeutet, dass man Tizian eine seinem Schaffen zugrunde liegende Philosophie unterstellt, die - ungeachtet einer primären Funktion als Portrait, Altar- oder Andachtsbild - in seinen Bildern mehr oder weniger im Vordergrund steht.

Das Hauptproblem dieser Studie liegt in dem Anspruch, die zunächst aus der Kunstliteratur abgeleiteten und darauf auf die Gemälde angewendeten Aspekte zu einer universalen Kunsttheorie Tizians zu komprimieren. Die ästhetische Qualität der Malerei, der Gehalt eines Gemäldes und seine Einbindung in einen historischen Kontext - diesbezüglich wäre etwa die Rolle der Bruderschaften bei der Entstehung des 'Petrus Martyr' und der Pariser 'Dornenkrönung' zu überdenken - treten dabei völlig in den Hintergrund. Vielmehr wird in dieser Sichtweise die Kunst zum Ausdrucksmittel einer spezifischen wahrnehmungspsychologischen Absicht.

Von Rosens Buch bildet den Auftakt der neuen, im Verlag Edition Imorde erscheinenden Reihe "zephir", die bislang drei Dissertationen zur italienischen Kunstgeschichte umfasst und mit Band 3 ("Haut, Fleisch und Farbe: Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians" von Daniela Bohde [2002]) wieder zum Thema Tizian zurückkehrt. Leider hätte das Buch von Valeska von Rosen eine professionellere Präsentation des Bildmaterials verdient. Die den Text begleitenden Schwarzweißabbildungen sind oft unscharf, zu dunkel, mitunter viel zu klein und einige sogar seitenverkehrt. Der Text ist daher an den Abbildungen kaum nachzuvollziehen, was die Lektüre der Bildanalysen und der Erörterungen zum sichtbaren Pinselstrich erschwert.

Dennoch: Auch wenn die Grundthese nicht ganz zu überzeugen vermag, liest man von Rosens Buch mit großem Gewinn.

Candida Syndikus