Werner Schade (Bearb.): Lucas Cranach. Glaube, Mythologie und Moderne. Katalog zur Ausstellung im Bucerius Kunst Forum, Hamburg, Ostfildern: Hatje Cantz 2003, 192 S., 200 Farb-, 50 s/w-Abb., ISBN 978-3-7757-1334-4, EUR 39,80
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In den vergangenen zehn Jahren beschäftigten sich eine Reihe von Ausstellungen und Publikationen mit Lucas Cranach und seiner Werkstatt. Insbesondere der 450. Todestag von Lucas Cranach d. Ä. (verstorben am 16. Oktober 1553) wurde zum Anlass genommen, neue Forschungen vorzustellen, beispielsweise auf einer Internationalen Tagung in Wittenberg (September 2003) oder in vorliegender Ausstellungsdokumentation.
Der Untertitel "Glaube, Mythologie und Moderne" sucht unterschiedliche thematische Komplexe zu verbinden und eine Einheitlichkeit herzustellen, was dennoch nicht ganz geglückt ist. Zum einen dient das Buch als Ausstellungskatalog, zum anderen sind Beiträge eines begleitenden Symposiums abgedruckt, die jedoch offenbar nicht zur Drucklegung überarbeitet wurden und daher in mancher Hinsicht eher essayistische Züge aufweisen.
Leitlinie bei der Auswahl der ausgestellten Objekte war der Versuch, die Diskrepanz aufzuzeigen zwischen jahrzehntelanger kritischer bis abwertender Haltung seitens der Kunstgeschichte gegenüber Cranach und besonders seiner seriellen Arbeitsweise sowie Faszination und Rezeption seitens zahlreicher Künstler des 20. Jahrhunderts. Daher umfasst der Katalog mit seinen 101 Nummern nicht nur 85 Werke von Cranach d. Ä. (nur zwei Bildnisse von Cranach d. J. sind aufgenommen), überwiegend Gemälde, aber auch Zeichnungen, Kupferstiche und Holzschnitte, sondern auch Grafik und einige Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Pablo Picasso, Alberto Giacometti und Paul Wunderlich.
Rätselhaft bleibt die Reihenfolge der im Katalog gruppierten Objekte: Weder ist eine chronologische Sortierung noch eine Gruppierung nach Porträt, sakraler Szene, mythologischer Darstellung durchgehalten. Beides war offenbar beabsichtigt, wird aber immer wieder durchbrochen. Besonders merkwürdig erscheint dies angesichts der Tatsache, dass der umfangreiche Tafel-Teil dieses Manko stellenweise auszugleichen sucht, indem thematisch verwandte Szenen blickfreundlich neben- oder hintereinander wiedergegeben sind, was aber häufig dazu führt, dass die Katalog-Reihenfolge nicht eingehalten wird (so steht beispielsweise Seite 44 die Abbildung zu Kat. Nr. 30, Seite 45 zu Nr. 7).
Der Katalogteil selbst ist nicht bebildert. Dennoch ist fast jedes Objekt in hervorragender Qualität und überwiegend in Farbe abgebildet im Tafel-Teil, der mehr als ein Drittel des Buchumfanges einnimmt. Auch die Aufsätze sind ausreichend illustriert, teils zwar nur in Briefmarkengröße, aber in gut lesbarer Qualität und in Doppelung der Katalog-Abbildungen, wo dies inhaltlich vonnöten schien.
Für die Ausstellung in Hamburg konnten hervorragende Werke geliehen werden. Einen größeren Komplex lieferte das Kopenhagener Statens Museum for Kunst, das 2002 eine eigene Cranach-Ausstellung organisiert hatte. Darüber hinaus sind erfreulicherweise zahlreiche Werke aus Privatsammlungen vertreten, die somit einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (z.B. Kat. Nr. 8: Bildnis einer Dame, um 1513; Kat. Nr. 38: Salome mit dem Haupt des Johannes, 1525-1530; Kat. Nr. 41: Christus und die Ehebrecherin, 1537, Galerie Fischer, Luzern). Insofern stellen Katalog und Abbildungen eine Bereicherung dar, die das immer noch gültige Werkverzeichnis von Friedländer und Rosenberg bestens ergänzen.
Der Aufsatzteil hingegen hinterlässt weitgehend ein Gefühl der Unbefriedigtheit, denn wirklich neue Erkenntnisse sucht man vergebens. Heinz Spielmanns Einführung "Cranach als Parameter" (6-11) erläutert das Konzept von Ausstellung und Buch und beschreibt einige Cranach-Deutungen moderner Künstler. Werner Schades im Detail kenntnisreiche Beobachtungen zu "Bildhaftigkeit bei Cranach" (12-21) können ihren miszellenartigen Charakter nicht leugnen und streifen Format und Ansicht bei Porträts, die Signatur und den Figurenmaßstab.
Vier der sechs Aufsätze behandeln Cranachs mythologische Darstellungen. Hanne Kolind Poulsens Beitrag "Fläche, Blick und Erinnerung. Cranachs' Venus und Cupido als Honigdieb' im Licht der Bildtheologie Luthers" (130-143) führt Charakteristika des sogenannten Cranach'schen Wittenberg-Stils auf Luthers Bildverständnis zurück. Cranach habe nach 1520 in besonders ausgeprägter Form einen von Flächigkeit und Antirealismus der Figuren bestimmten Stil entwickelt, um den von Luther geforderten Zeichencharakter des Bildes zu betonen. Dennoch sprachen viele Bilder Cranachs auch Katholiken an, da den Motiven - wie etwa "Venus und Cupido als Honigdieb" - je nach Zusammenhang unterschiedliche Bedeutungsebenen innewohnten. Gerade das lutherische Bildverständnis ermöglichte es, "das 'gleiche' Bild für verschiedenen Arten des Gebrauchs zu malen" (139), da die Bedeutung nicht an mehr an das Objekt 'Bild' gebunden war, sondern im Intellekt des Betrachters konstruiert wurde.
Jörg Robert ("Die Wahrheit hinter dem Schleier. Lucas Cranachs heidnische Götter und die humanistische Mythenallegorese", 102-115) stellt anhand von Paris-Urteil- und Venus-Cupido-Darstellungen die Frage nach Cranachs Kenntnis humanistischer Texte. Parallelen sieht er insbesondere zu der scherzhaft-erotischen "jokoseriösen" Literatur des deutschen vorreformatorischen Humanismus. Sowohl in den Schriften des Konrad Celtis als auch in den Cranach'schen Bildern herrschen eine Ambivalenz zwischen Erotisierung und Moralisierung, wobei Cranach emblematische Strukturen schafft, indem er Bild und Text zu einer Einheit verbindet.
Dieter Koepplin verdeutlicht "Ein Cranach-Prinzip" (144-165), nämlich die systematische Übernahme und Transformation profaner Bildformen und Themen aus den angewandten und grafischen Künsten in die Tafelmalerei. Dieser Prozess der Nobilitierung betraf sowohl altbekannte Bildtypen als auch moderne, bis dato kaum dargestellte Historien. Einige Motive (Simsons Kampf mit dem Löwen, Melancholia, Urteil des Paris, der von einer Frau gerittene Aristoteles, und andere) sind zu zwar informativen, aber rein deskriptiven Bildreihen zusammengestellt.
Auch Susan Foister widmet sich der Cranach'schen Serienproduktion und der Arbeitsweise seiner Werkstatt. Interessanterweise deutet sie die (von Koepplin positiv als Aufwertung gesehene) Übernahme vorgeprägter mythologischer Themen als Mangel an Originalität in der Wahl von Bildthemen. Ihr Beitrag "Cranachs Mythologien. Quellen und Originalität" (116-128) versteht sich (überholter Weise?) als Rehabilitationsversuch: Entscheidend sei Cranachs Fähigkeit, "immer neue Kompositionsformen für längst etablierte Themen zu finden" (128), die auch seinen Erfolg als Maler für ein höfisches Publikum begründe.
Es drängt sich der Eindruck auf, als sei eine gute Ausstellung nachträglich mit begleitenden Vorträgen zu einem opulenten Buch ergänzt worden. Es wurde versucht, die Aufgabe einer Ausstellung, eine sinnvolle Objektauswahl zusammenzustellen und zu zeigen, mit der Aufgabe eines wissenschaftlichen Symposiums zu koppeln, die Forschung voranzutreiben. Das eine ist geglückt, das andere nicht.
Cordula Bischoff