Astrid Wehser: Anna Wilhelmine von Anhalt und ihr Schloß in Mosigkau. Idee und Gestaltung eines Gesamtkunstwerks (= Kieler Kunsthistorische Studien. Neue Folge; Bd. 2), Kiel: Verlag Ludwig 2002, 335 S., 54 Abb., ISBN 978-3-933598-45-5, EUR 24,90
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Das zunehmende Interesse an Fragestellungen zu Leben und Wirkungsmöglichkeiten frühneuzeitlicher Fürstinnen lenkt erfreulicherweise nicht nur in der historischen, sondern verstärkt auch in der kunsthistorischen Forschung die Aufmerksamkeit auf höfische Frauen als Sammlerinnen von Kunstwerken, Auftraggeberinnen von Gebäuden und Gärten und Gestalterinnen von Innenräumen. Untersuchungen zu den bereits seit längerem im Blickpunkt stehenden internationalen Königinnen und Regentinnen wie Christina von Schweden, Anna von Österreich, Maria von Medici oder Katharina die Große wurden in jüngster Zeit erweitert um Arbeiten zu Fürstinnen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die sowohl in ihrer Biografie als auch in ihrem Kunstverständnis neu bewertet werden. Beispielhaft genannt seien Königin Sophie Charlotte in Brandenburg oder Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Nach wie vor wird allerdings von der Prämisse ausgegangen, dass diese Frauen entweder auf Grund ihrer herausragenden Stellung oder auf Grund einer individuellen Neigung künstlerisch-geschmacksbildend wirkten. Das Verdikt der "Ausnahmeerscheinung" behindert jedoch die Erkenntnis, dass künstlerische (einschließlich architektonischer) Kompetenz zum gesellschaftlich sanktionierten Aufgabenbereich frühneuzeitlicher Fürstinnen zählte. Unabhängig von ihrem jeweiligen Status innerhalb der Adelshierarchie und von finanziellen Ressourcen, trat nahezu jede Fürstin als Gestalterin ihrer höfischen Umwelt auf.
Daher kann jede Untersuchung, die sich dem Wirken einer einzelnen Frau widmet, dazu beitragen, das Wissen um die kollektive weibliche Kunstpatronage zu ergänzen. Genau dies bewirkt Astrid Wehser mit ihrer Dissertation zu Anna Wilhelmine von Anhalt (1715-1780) als Bauherrin von Schloss Mosigkau. Die zeitlebens unverheiratet gebliebene Fürstin, achtes von zehn Kindern des Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau und dessen bürgerlicher Frau Anna Luise Föhse, erhielt 1742 das Gut Mosigkau von ihrem Vater zum Geschenk. Die spätestens seit 1751 einsetzenden Planungen zum Bau einer maison de plaisance wurden 1752-57 realisiert. Ab 1757 verbrachte die Fürstin ihre Sommeraufenthalte dort (den Winter über bewohnte sie das so genannte "Kleine Schloss" in Dessau). In ihrem Todesjahr bestimmte sie die Einrichtung eines "Hochadligen Fräuleinstifts" in Mosigkau, das bis 1945 bestand, und seither ist das Schloss als Museum zugänglich. Das Erdgeschoss ist bis heute in seiner Inneneinrichtung nahezu unverändert erhalten geblieben. Sowohl die Bauherrin als auch das Bauwerk blieben bislang in der (Kunst-) Geschichtsschreibung "weitgehend unbeachtet" (14). Wurde die Prinzessin erwähnt, so "ist der Tonfall durchweg unfreundlich" (28), da, wie Wehser zu Recht bemerkt, "diese Frau in vielem nicht den Weiblichkeitsvorstellungen der im 19. oder frühen 20. Jahrhundert geborenen Autoren (entsprach)" (28). Das Ziel der Dissertation war es daher, zum einen das soziale und kulturelle Umfeld der Prinzessin und ihren Anteil an der Bauplanung zu bestimmen, zum anderen eine möglichst lückenlose Genese der Entstehung von Bau, Innenausstattung und Garten darzustellen, und zum dritten den archivalisch nicht benennbaren Architekten stilistisch einzugrenzen.
Wehser zeichnet das Bild einer Adligen, die eine sorgfältige standesgemäße Erziehung erhielt und deren Interesse für Kunst und Architektur insbesondere durch weibliche Verwandte gefördert wurde. Großen Einfluss übte offenbar ihre Tante aus, Maria Eleonora von Radziwil, Herzogin von Olyka (1672-1756), eine Tochter von Henriette Catharina von Oranien-Nassau, der Erbauerin von Schloss Oranienbaum. Nach dem Tod der Tante erwarb Anna Wilhelmine einen Großteil ihrer Gemäldesammlung (aus oranischer Erbschaft), für die sie eine Galerie in Mosigkau errichtete. Darüber hinaus trat sie als Sammlerin von Porzellan und von exotischen Pflanzen auf. Ihr Geschick in Finanzdingen führte dazu, dass sie regelmäßig die Abrechnungen ihres Bruders Fürst Moritz kontrollierte und während dessen 1759 erlittener schwerer Kriegsverletzung die Aufsicht über seine Güter und sein Personal übernahm. Wehsers Einschätzung, dass sie "als jüngere Schwester des Regenten und später als betagte Verwandte des Erbprinzen ohne politische Bedeutung oder Funktion" (41) gewesen sei, widerspricht allerdings ihrer Feststellung, wonach sie von 1751 bis 1767, bis zur Eheschließung des Erbprinzen, als einzige Frau und "höchste Repräsentantin" (33) am Dessauer Hof auftrat. Die Rolle der Ersten Dame bei Hofe war durchaus nicht unbedeutend, und Wehser selbst führt eine Bauplanänderung von 1751 darauf zurück, dass Anna Wilhelmine, die durch den Tod des Regentenpaares neben ihrem unverheirateten Bruder Dietrich zur "Regentin" am Dessauer Hof aufstieg, statt einer kleinen maison de plaisance nun ein repräsentatives Sommerschloss mit einem Audienzgemach benötigte.
Der Hauptteil der Arbeit widmet sich der sehr sorgfältig aus Plänen, Akten, Inventaren, Briefen und anderen Quellen rekonstruierten Planungsgeschichte des corps de logis, der Nebengebäude, der Innenausstattung und der Gartenanlagen von Mosigkau. Grundriss und Raumfolge des Hauptgebäudes sind insofern bemerkenswert, als dass sie für einen reinen Frauenhaushalt geplant wurden (die Herren logierten in den Pavillonbauten). Das Appartement im Ostflügel der bel étage, das üblicherweise dem Ehemann zugestanden hätte, wurde hier von der Ersten Hofdame bewohnt, das darunter liegende im Erdgeschoss von der Oberhofmeisterin. Die Ausstattung orientierte sich an den brandenburgischen Schlössern Potsdam, Sanssouci und Monbijou, die der Auftraggeberin gut bekannt waren. Auch einzelne Raumtypen (chinoises Kabinett, Kabinett mit Schönheitengalerie) waren vorgeprägt in den Lusthäusern brandenburgischer Fürstinnen. Schloss Mosigkau stellt somit ein spätes Beispiel einer architektonischen Gestaltung dar, die geprägt war von einem über mehrere Generationen reichenden weiblichen Bezugssystem. Mangels Dokumenten kann sein Architekt nur über stilistische Vergleiche eingegrenzt werden. Den immer wieder genannten obersten Baudirektor Preußens, Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, verwirft Wehser nach gründlicher Analyse. Am ehesten kommt für sie ein Architekt aus der sächsischen Schule in der Nachfolge Knöffels in Betracht, etwa Friedrich August Krubsacius oder Christian Friedrich Damm.
In einem eigenen Kapitel wird die Entstehung des Gartens 1754-57 und seine Erweiterung um 1775 behandelt. Durch erhaltene Pläne und Quittungen der durch Gärtner ausgeführten Arbeiten ist eine verlässliche Rekonstruktion möglich. Anna Wilhelmine ließ einen französischen, an Dézallier d'Argenville orientierten Garten anlegen, der aber Modifikationen nach ihrem persönlichen Geschmack erfuhr. Oberstes Prinzip war die Verbindung von Schönheit und Nützlichkeit, was sich in der Integration von Spalierobst und Nutzgarten niederschlug. In der späteren Neugestaltung eines Teils des Gartens sind erste Vorstufen zur Errichtung eines englischen Landschaftsgartens erkennbar, so ein "englischer Berg", eine "englische Parthie", ein Heckentheater und ein chinesischer Pavillon. Wehser hebt hervor, dass zwei bereits 1757 aufgestellte Gartenskulpturen zentrale Begriffe der Aufklärung verkörperten. Der Bildhauer Johann Christian Trothe schuf auf Wunsch der Prinzessin Statuen des "Verstandes" (ikonographisch zurückgehend auf Cesare Ripas Verbildlichung des "Intelleto") und der heute verlorenen "Wohlthat".
Mit der vorliegenden Arbeit bietet Astrid Wehser eine gründlich recherchierte monografische Untersuchung zu einem Bau einer Fürstin und liefert somit wieder ein Mosaiksteinchen an Erkenntniszuwachs zur Bautätigkeit von Fürstinnen allgemein. Die Autorin stellt die Leistung der Bauherrin als treibende und organisierende Kraft heraus, die über ein dichtes Informationsnetz verfügte. Anregungen oder Übernahmen aus aktuellen Projekten wurden mit individuellen Lösungen verknüpft, um ein dem protestantischen Ethos gemäßes Refugium zu schaffen, das gleichermaßen von Zurückhaltung wie von standesgemäßer Repräsentation geprägt war. In vielerlei Hinsicht entsprach Anna Wilhelmine dem Prototyp der frühneuzeitlichen Fürstin: "Sie war als engagierte Bauherrin in der Mitte des 18. Jahrhunderts jedoch keine Einzelerscheinung, ihr Interesse für Architektur und Gartengestaltung war nicht ungewöhnlich." (240).
Anmerkung:
Eine erweiterte Fassung dieser Rezension ist unter dem Titel "Fürstinnen und ihre Schlösser im Dessau-Wörlitzer Gartenreich" in den kritischen berichten 32, 2004, Heft 1, 71-76 erschienen.
Cordula Bischoff