Uwe A. Oster: Der preußische Apoll. Prinz Louis Ferdinand von Preußen 1772-1806, Regensburg: Friedrich Pustet 2003, 304 S., 16 S. Bildteil, ISBN 978-3-7917-1828-6, EUR 24,90
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Dass Prinz Louis Ferdinand von Preußen (1772-1806) eine ungewöhnliche Erscheinung war, ist unbestritten. Dass er in unruhigen Zeiten lebte, in denen Zeitlichkeit und Veränderung eine bis dahin nicht gekannte Dynamisierung erfuhren, ebenso. In Louis Ferdinands vierunddreißig Lebensjahre fielen die letzten anderthalb Dekaden der Regierungszeit Friedrichs II., das Epochenjahr 1789, die Kriege gegen das revolutionäre und napoleonische Frankreich, das Ende des Alten Reiches und - prägend für den Prinzen - das sich abzeichnende Ende des alten Preußen. Er selbst fiel als preußischer General bei Saalfeld, einem Vorhutgefecht zu Jena und Auerstedt. Man kann Preußen gleichsam mit ihm zusammen untergehen sehen oder zumindest seinen Tod als Symbol für den Untergang interpretieren, wenn nicht gar als bewusste Auslöschung des eigenen Seins, um die Schmach der als unausweichlich empfundenen Niederlage nicht erleben zu müssen. Ähnlich wie die als "Preußenmadonna" betitelte Königin Luise ist Louis Ferdinand eine in hohem Maße symbolisch aufgeladene Figur. Uwe A. Oster hat nunmehr die Biografie einer außergewöhnlichen Persönlichkeit vorgelegt - allerdings hätte ihr etwas weniger Mythos besser angestanden.
Der Autor baut seine Biografie des Prinzen um einige schicksals- und handlungsbestimmende Leitmotive bzw. Aspekte herum auf: das Geld, die Frauen und die Musik, die Suche nach Ruhm und das ewige Ringen des Herausragenden mit einer mittelmäßigen Umwelt. Dabei tritt die Persönlichkeit Louis Ferdinands in einer eigentümlichen Statik hervor, ist festgelegt von frühester Kindheit an und kommt in ihrer recht überschaubaren Anzahl an Charakteristika ziemlich berechenbar daher. Wo immer Louis Ferdinand auf der Bildfläche erschien, was immer er tat, er existierte und handelte ausschließlich in Superlativen. Als dem attraktivsten, tapfersten und charmantesten verfielen ihm die schönsten Frauen "reihenweise" (7), am Klavier improvisierte er bis zum Exzess, trank und liebte mit Todesverachtung, um am Ende "natürlich [sic!] an der Spitze seiner Truppen" (7) zu fallen. Den Hang zur Geldverschwendung hatte er schon von Kindheit an und, ob nun in seiner Leutseligkeit gegenüber Standesniederen oder beim geplanten Kahlschlag eines der prinzlichen Forste, nie verhielt sich Louis Ferdinand so, wie man es "unter den Maßstäben der damaligen Zeit" (200) von ihm erwartete.
Als Sohn des jüngsten Bruders Friedrichs II. war Louis Ferdinand ein preußischer "Prinz von Geblüt" und damit in Strukturen eingebunden, die von den Interessen der regierenden Dynastie bestimmt waren. Ihm war ein Lebens- und Handlungsraum vorgegeben, an dessen enge und rigide gehandhabten Grenzen er zeit seines Lebens gestoßen ist. Aus einer weiter gefassten Perspektive betrachtet, fand er sich als Hocharistokrat in den Strukturen einer ständischen Gesellschaft wieder, die sich zum Ende des 18. Jahrhunderts überlebt hatte und die immer mehr infrage gestellt wurde. Es wäre lohnend gewesen, eben diese Strukturen eingehender zu betrachten und sie stärker zur Persönlichkeitsentwicklung Louis Ferdinands sowie zu seinen Entscheidungen und Handlungen in Beziehung zu setzen. Vieles von dem, was Oster den Befindlichkeiten, Vorlieben oder Schwächen der beteiligten Personen zuschreibt, entsprang nicht zuletzt strukturellen Zwängen und Bedingtheiten, die für Entscheidungsfindung und Handlung oftmals ursächlich waren. Besonders deutlich wird dies dann, wenn es um das Verhältnis des preußischen Königs (Friedrich Wilhelms II. beziehungsweise Friedrich Wilhelms III.) zu Louis Ferdinand beziehungsweise umgekehrt geht. Diese Sichtweise ist nicht zuletzt der vom Autor vorgenommenen Quellenauswahl geschuldet: Oster konzentriert sich im Wesentlichen auf zeitgenössische Berichte, edierte Briefe oder Memoirenliteratur, wie die Aufzeichnungen der Prinzessin Luise, Schwester Louis Ferdinands und späteren Fürstin Anton Radziwill. Indem Oster die Quellen häufig direkt sprechen lässt, sorgt er für Unmittelbarkeit und Intensität der Darstellung. Was man hingegen nicht selten vermisst, ist eine kritische Evaluierung der Quellenaussagen nach Topos und historischer Realität sowie den ergänzenden und korrigierenden Rückgriff auf andere Quellengattungen und die Sekundärliteratur. Eine genaue Aufarbeitung von Entstehung, Funktion und Wahrheitsgehalt des "Mythos Louis Ferdinand" wäre ein viel versprechender Ausgangspunkt gewesen, von der aus man die Person des Prinzen und seine Zeit genauer hätte erfassen können.
Doch zurück zum Verhältnis Monarch - Prinz von Geblüt. Dass unliebsame, ambitionierte und zur Opposition neigende Hohenzollernprinzen in die Provinz hinauskomplimentiert wurden, war nicht neu: Der Louis Ferdinand besonders zugeneigte Prinz Heinrich, sein Onkel und ein Bruder Friedrichs II., residierte nicht etwa in Berlin oder Potsdam, sondern vornehmlich im märkischen Rheinsberg. Louis Ferdinand selbst wurde als Regimentskommandeur in Magdeburg, Lemgo und schließlich Hoya stationiert, befand sich damit in der Regel fernab von Berlin, nach welchem er sich nur mit königlicher Erlaubnis begeben durfte. Seine Kritik am Sonderfrieden von Basel (1795) oder an der Neutralitätspolitik Friedrich Wilhelms III. gegenüber Napoleon wurde, wenn sie bis zum König vordrang, brüsk zurückgewiesen. Doch steckte hinter dieser lokalen und persönlichen Zurücksetzung mehr als nur zwischenmenschliche Unstimmigkeit und politische Meinungsdivergenz. Die Familienpolitik im königlichen Hause folgte im Wesentlichen dem einen Prinzip, wonach königlichen Prinzen ein nur geringer Aktionsradius eingeräumt wurde. Dadurch sollten sie aller Möglichkeiten beraubt werden, an der Souveränität des regierenden Dynastieoberhauptes zu rütteln. In ähnlicher Weise ist dem unnachsichtigen Durchgreifen Louis Ferdinands im Jahre 1797 gegenüber einigen Bürgern der Stadt Lemgo, die Deserteuren zu Hilfe gekommen waren, nicht allein mit Kategorien wie 'moralisch schlecht' oder 'politisch ungeschickt' beizukommen. Als Regimentskommandeur war er in die Pflicht genommen, für Disziplin und Gehorsam Sorge zu tragen, besonders mit Blick auf den drohenden Krieg und die Unruhe bei den Soldaten und der Bevölkerung. Zwar kann und darf die Berücksichtigung derartiger Handlungsbedingungen nicht einer Rechtfertigung im engeren Sinne Vorschub leisten; sie sollte aber zum besseren Verständnis des strikten Vorgehens Louis Ferdinands herangezogen werden. Und ähnlich verengt erscheint die Beobachterperspektive, wenn des Prinzen Freigebigkeit und Verschwendung, sein ungezwungenes Verhältnis zum Geld vornehmlich persönlicher Schwäche zugeschrieben werden. Auch Louis Ferdinands Jovialität gegenüber Standesniederen war wohl mehr als nur der Ausdruck eines guten oder im Grunde gar bürgerlichen Herzens. Hinter all dem steckte in nicht geringem Ausmaß die Disposition des Hocharistokraten zur Selbstinszenierung: Grenzen zu überschreiten, ob solche des gesellschaftlichen Standes oder solche des finanziellen Leistungsvermögens, gehörte demnach zum prinzlichen Habitus. Noch ganz dem althergebrachten Adelsethos verschrieben, galt es für Louis Ferdinand, eher durch Großzügigkeit denn durch Sparsamkeit aufzufallen, englischen Rassepferden den Vorzug vor niederdeutschen Kaltblütern zu geben.
Die eigentliche Tragik im Leben Louis Ferdinands hat Oster sehr gut dargestellt: Als einem preußischen Prinzen unter zwei schwachen Herrschern waren ihm die meisten Wege zur angemessenen Betätigung, Auszeichnung und Anerkennung verbaut. Andererseits war er nicht der Mann, sein Lebtag in gepflegter Langeweile dahinzubringen. Abwechselnd verlegte Louis Ferdinand seine Energien auf das Militär (ob in der Praxis oder der Theorie), auf das Abfassen einer politischen Denkschrift, auf die schöngeistige Unterhaltung in den Berliner Salons oder die Musik - ohne dass er die Disziplin und die Hartnäckigkeit, vielleicht auch die notwendige Fähigkeit besessen hätte, sich auf einem der Felder zur Leitfigur entwickeln oder wirklich Maßstäbe setzen zu können. Als Fazit der Lektüre kann festgehalten werden: Von Louis Ferdinand nichts Neues, aber ein gut und mit leichter Hand geschriebenes, lesenswertes, ja spannendes Buch. Bereits beim ersten Durchblättern - es fehlt der Anmerkungsapparat und damit der wissenschaftliche Nachweis - wird erkennbar, dass es Oster nicht um das Vorlegen einer weiterführenden wissenschaftlichen Forschungsliteratur gegangen ist, sondern um eine interessant geschriebene Biografie, eher für den Laien als den Fachmann gedacht. Dies ist ihm in jedem Fall gelungen. Eine historische Aufarbeitung des Prinzen Louis Ferdinand in seiner Zeit bleibt indes weiterhin ein Forschungsdesiderat.
Karoline Zielosko