Dieter Daniels: Kunst als Sendung - Von der Telegrafie zum Internet, München: C.H.Beck 2002, 320 S., 26 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-49509-0, EUR 28,00
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Kunst habe, so lässt sich dem 2002 publizierten Buch "Mythos Medienkunst" von Hans Ulrich Reck entnehmen, "die zentrale Stelle einer Lenkung der visuellen Kultur verloren." [1] Wenn dieser Befund denn stimmt, so geht Dieter Daniels, Professor für Kunstgeschichte und Medientheorie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, hinter diesen status quo zurück. Er nimmt in seinem Buch "Kunst als Sendung" die Interferenzen zwischen Bildenden Künsten und elektronischen Medien von der Französischen Revolution bis zum Aufkommen elektronischer Massenmedien in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts in den Blick. Es ist dies ein ausgesprochen dankenswertes Unterfangen, waren Forschung und Diskussion zur Wechselwirkung von Kunst und Medien bislang doch vor allem von der Annahme eines technologischen Determinismus geprägt - eine Perspektive, die dringend einer Präzisierung, wenn nicht der Revision bedurfte.
Gewissermaßen im Sinne einer Medienarchäologie bezieht Daniels in einem ersten Teil ausgewählte Meilensteine der Mediengeschichte chronologisch auf Positionen der Bildenden Kunst, um deren "wechselseitige Bedingtheit und strukturelle Verwandtschaft" (9) zu erhellen. Dabei knüpft der Autor die Fäden, die er mit der zeitgleichen Erfindung der elektrischen Telegrafie (Morse) und Daguerreotypie (Daguerre) aufnimmt, zu einem medienevolutionären Strang. Dieser windet sich über die Erfindungen des Telefons (Bell), des Phonographen (Edison), des Broadcastings (de Forest) und des Fernsehens (Nipkow und Robdia) bis zur lizenzfreien Einführung des World Wide Web im Jahr 1993.
Verwoben wird dieser Strang mit einem zweiten. In ihm werden zentrale Paradigmen der Klassischen Moderne unter dem Leitbegriff der Sendung gebündelt. Schnell wird deutlich, dass Daniels unter "Kunst als Sendung" zweierlei versteht: Kunst als bekenntnishafte Mission und Kunst als medientechnische Emission. Die künstlerisch-avantgardistische Antizipation von Simultaneität, Vernetzung und Fortschritt bei Apollinaire, Delaunay, Cendrars, Kupka, Duchamp, Marinetti und anderen ahne, so Daniels, etwas von dem voraus, was sich dann außerhalb der Künste als Massenmedien realisiere. Medieninnovationen erführen ihre erste Verdichtung in Kunstwerken und ästhetischen Utopien.
Der anschließende zweite Teil des Buches widmet sich hingegen den Interferenzen aus einer eher theoretischen Perspektive. Daniels fragt unter der Überschrift "Medien, Masse und Moderne" ebenso nach der Forschrittsgläubigkeit der Moderne und nach deren Modernitätskonzepten, wie nach den Wirkungen moderner Medien und nach den Rezeptionshaltungen des Medienamateurs und -flaneurs. So wie der Wahrnehmungsmodus des urbanen Flaneurs Benjaminscher Provenienz auf die Medienrezeption übergegangen sei, seien im 19. und 20. Jahrhundert die Amateure von den Künsten zu den Medien übergelaufen.
Vor diesem Hintergrund wendet sich Daniels erneut den avantgardistischen Vorformen der Medienkunst zu, um am Beispiel Russolos, Ruttmanns, Duchamps und anderer die doppelte Aufgabe künstlerischer Arbeit mit Medien herauszuarbeiten, nämlich: "Aus der kreativen Medienrezeption in der Tradition des Flaneurs eine Medienproduktion hervorgehen zu lassen, die als Kunstwerk zwar noch die Faszination des Amateurs für 'sein' Medium spüren lässt, sich darin aber nicht erschöpft." (225) Dem "Sich-nicht-Erschöpfen" sei gewissermaßen ein Scheitern von Medienkunst als Massenkunst eingeschrieben. So bilde - mit Adorno - die uneingelöste Utopie einer Synthese von Avantgarde und Massenmedien ein "Leitmotiv der Geschichte der Medienkunst und damit der von Medien und Moderne insgesamt" (235). In der künstlerischen Arbeit mit Medien sieht Daniels folglich einen "Freiraum, dessen utopische und antizipatorische Dimension ihre gesamtkulturelle Bedeutung ausmacht, gerade weil sie auf die uneingelösten Utopien der Medienentwicklung verweist" (12).
Seine in beiden Teilen des Buches gleichermaßen überzeugende Argumentation spannt der Autor geschickt zwischen zwei spiegelbildliche Thesen ein, die er das Buch einleitend skizziert und abschließend erneut aufgreift. Erstens: Wesentliche Elemente der Medien seien aus einer Substitution dessen hervorgegangen, was einmal zur Kunst gehört habe. So artikulierten sich die zur Kunst gehörenden Motive (Utopie, weltverändernde Kraft etc.) nunmehr in einer Technologie statt in einer Kunstform. In Daniels Argumentation zeigt sich eindrücklich, dass mediale Innovationen von der optischen Telegrafie des nachrevolutionären Frankreich bis eben zum World Wide Web wesentlich durch Bildende Kunst stimuliert wurden. Zweitens: Medienkunst sei zugleich Reservat und Refugium, in dem - bewahrend und substituierend - aufgehoben sei, was den Anstoß zur Entwicklung der elektronischen Massenmedien gegeben habe. So könne Medienkunst - oder um den Einwänden Hans Ulrich Recks genüge zu tun: Kunst mit Medien und Kunst durch Medien [2] - einen Blick auf die mögliche Zukunft von Medien eröffnen.
Anmerkungen:
[1] Hans Ulrich Reck: Mythos Medienkunst (Kunstwissenschaftliche Bibliothek; Bd. 20), Köln: Verlag der Buchhandlung Walter König 2002, 14.
[2] Ebenda, 10 und 21.
Lars Blunck