Laurence Vial-Bergon: Charles François d'Iberville, Résident de France à Genève, Correspondance (1688-1690). Tome I: Décembre 1688 - Décembre 1689. Tome II: Janvier 1690 - Décembre 1690 (= Publications de l'Association Suisse pour l'Histoire du refuge huguenot; Vol. 7), Genève: Droz 2003, CXLVI + 1284 S., ISBN 978-2-600-00855-6, EUR 116,90
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Manuela Böhm / Jens Häseler / Robert Violet (Hgg.): Hugenotten zwischen Migration und Integration. Neue Forschungen zum Refuge in Berlin und Brandenburg, Berlin: Metropol 2005
Tim Harris / Stephen Taylor (eds.): The Final Crisis of the Stuart Monarchy. The Revolutions of 1688-91 in their British, Atlantic and European Contexts, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2013
Eberhard Gresch: Die Hugenotten. Geschichte, Glaube und Wirkung, 2. Aufl., Leipzig: Evangelisches Verlagshaus 2006
Frankreichs Interesse an Genf war im späten 17. Jahrhundert nicht neu. Trotz des konfessionellen Gegensatzes zwischen der calvinistischen Stadtrepublik und dem katholischen Königreich hatte sich Frankreich bereits im 16. Jahrhundert als Schutzmacht Genfs gegen die Ansprüche des Herzogs von Savoyen etabliert. Durch den Frieden von Nimwegen und den dauerhaften Erwerb der Franche-Comté scheint Genf noch einmal verstärkt in den Blickpunkt der Pariser Außenpolitik gelangt zu sein, jedenfalls entsandte die französische Regierung ab 1679 einen permanenten Residenten in die kleine Republik. Als erster Resident war zunächst Laurent de Chauvigny in Genf, doch wurde er bereits 1680 von Roland Dupré abgelöst. Von Dezember 1688 bis 1698 übernahm Charles François de la Bonde d'Iberville die Residentenstelle.
Die Korrespondenzen der französischen Residenten in der Stadt sind von großem Wert für verschiedenste Forschungsansätze. Einerseits betreffen sie die klassische Diplomatiegeschichte. Andererseits waren die Residenten neben ihrer rein diplomatischen Tätigkeit stets auch bemüht, so viele Informationen wie möglich zu sammeln und ihrer Regierung zukommen zu lassen. So verwundert es nicht, dass in ihren Berichten eine Vielzahl von Themen zur Sprache kommt, die von den inneren Verhältnissen der Stadtrepublik, ihren Beziehungen zu den unmittelbaren Nachbarn, namentlich den Kantonen Bern und Zürich, wie auch ihren weiter gehenden diplomatischen Beziehungen, etwa nach England, reichen.
Laurence Vial-Bergon hat nun die Aufgabe übernommen, nach der bereits fast hundert Jahre alten Edition der Korrespondenzen Roland Duprés [1] eine modernen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Edition der Briefe des dritten Residenten in der Stadtrepublik zu erarbeiten. Die unter der Betreuung von Maria-Cristina Pitassi am Institut d'Histoire de la Réformation entstandene Edition wurde zugleich als Dissertation an der Universität Genf eingereicht. Die Arbeit wird zwar von der Schweizerischen Gesellschaft für Hugenottengeschichte veröffentlicht, beschränkt sich jedoch nicht allein auf das für die Erforschung des Refuge relevante Material. Dies wäre auch schwer möglich gewesen, waren die verschiedenen Tätigkeitsfelder des Diplomaten doch untereinander eng verflochten.
Die Verfasserin betont in ihrer Einleitung den Reichtum und die Themenvielfalt der Briefe d'Ibervilles, die die seines Vorgängers noch überträfen (XIVff, XXV). Entsprechend dieser Vielfalt ist die sehr ausführliche Einleitung aufgebaut. Vial-Bergon stellt zunächst die Quelle vor und wendet sich dann kenntnisreich der Ausgangslage Genfs, der Entwicklung der diplomatischen Beziehungen der Stadt zu den Schweizer Kantonen, England und vor allem Frankreich zu. Letztere werden naturgemäß am ausführlichsten behandelt, wobei die Einleitung bisweilen die Form einer eigenständigen Studie annimmt, die aus einem Quellenfundus schöpft, der immer wieder weit über die in die Edition aufgenommenen Stücke hinausführt. Unter dem Stichwort "principes" werden die Instruktionen sowohl für Dupré als auch für d'Iberville behandelt. Ausführlich geht die Autorin dann auf das Ringen um die Niederlassung eines ständigen englischen Gesandten (der pikanterweise ein französischer Réfugié war) in der Stadt ein, um schließlich auch auf die Réfugiés zu sprechen zu kommen, die seit der Aufhebung des Edikts von Nantes im Oktober 1685 massenhaft in die Stadt Calvins strömten. In beiden Fällen stellt sie fest, dass die Sympathien der öffentlichen Meinung in der Stadt gegen Frankreich gerichtet waren und den protestantischen Glaubensgenossen galten, dass sich jedoch eine aufgrund der fragilen und stets gefährdeten Lage der Stadtrepublik auf politischen Pragmatismus bedachte französische Partei im Rat durchsetzen konnte. Die Réfugiés konnten größtenteils in der Stadt keine dauerhafte Bleibe finden; der englische Resident wurde nicht offiziell anerkannt und zog sich schließlich aus der Stadt zurück. Unter dem Stichwort "moyens" werden schließlich die französische "résidence" und der Resident selbst behandelt.
Von besonderem Interesse dürften die Berichte des Residenten für die Hugenottenforschung sein. Immer wieder kommt d'Iberville in seinen Briefen auf dieses Thema zu sprechen. So beklagt er etwa deren militärisches Engagement für Wilhelm III. von Oranien (zum Beispiel 88 ff., 95, 126, 771, 789 ff.). Zugleich weist er aber auch auf seine Erfolge hin, Réfugiés zur Konversion und Heimkehr zu bewegen (zum Beispiel 3 ff., 242 f.), wobei die Einschätzung überrascht, viele der Hugenotten seien gar nicht um ihrer Religion willen aus Frankreich geflohen, sondern aus einer "inquietude naturelle" und in der Hoffnung auf eigene Vorteile im Ausland (19). Im Gegensatz zur bis dahin geübten Praxis machte Ludwig XIV. allerdings in einem persönlichen Schreiben an d'Iberville vom 20. Januar 1689 deutlich, dass er eine weitere Förderung der Rückkehr von Réfugiés nicht für zweckmäßig halte (26).
Das Quellenmaterial stammt aus Archiven in Bern, Genf, Lausanne, Neuchâtel und Paris. Trotz einiger Verluste ist die Korrespondenz d'Ibervilles insgesamt sehr gut erhalten. Zwischen November 1688 und Januar 1698 liegen immerhin 1381 Briefe vor. An erster Stelle steht dabei die Korrespondenz mit den Staatssekretären, insbesondere mit Colbert de Croissy. Auch mit Kriegsminister Louvois und dessen Nachfolger Barbezieux pflegte d'Iberville einen intensiven Briefwechsel. Dagegen liegen nur zwei Briefe Ludwigs XIV. an d'Iberville vor und keiner vom Residenten an den König. Hinzu kommen die Korrespondenzen mit dem französischen Botschafter bei den Schweizer Kantonen sowie mit den Intendanten im Dauphiné und in Besançon (X ff.).
Sinnvollerweise konzentriert sich die Edition ausschließlich auf die diplomatische Korrespondenz und lässt private Briefe unberücksichtigt. Aufgrund des enormen Umfangs verständlich ist die Selbstbeschränkung der Autorin auf die Korrespondenzen zwischen Dezember 1688 und Dezember 1690. In dieser Zeit, so Vial-Bergon, seien alle wichtigen Themen angesprochen worden, die militärischen Operationen der Kriegsparteien und die diplomatische Offensive Wilhelms III. in der Schweiz seien hier bereits entfaltet worden. Zudem seien Ende 1690 bis Anfang 1691 die englischen Bemühungen um Genf endgültig gescheitert (XXVII). Dies ist jedoch ein schwacher Trost für denjenigen, der nach Quellen für die spätere Zeit sucht. Nicht in die Edition aufgenommen wurde zudem die Instruktion für d'Iberville, die bereits ediert vorliegt. [2]
Die Briefe sind strikt chronologisch angeordnet. Jeder Quelle, die im Übrigen stets im vollen Wortlaut wiedergegeben ist, ist ein exakter archivalischer Nachweis vorangestellt. Die einzelnen Stücke sind durch Anmerkungen und einen quellenkritischen Apparat erschlossen. Lediglich Kopfregesten wären noch wünschenswert gewesen, um den Leser schneller über den Inhalt einzelner Briefe zu informieren. Abgeschlossen wird das Werk durch ein Personen-, Orts- und Sachregister, das vielleicht besser nach dem Vorbild der Acta Pacis Westphalicae oder den Reichstagsakten zu einem einzigen Register zusammengezogen worden wäre. Bei der von Vial-Bergon verwendeten Form findet sich "Angleterre" im Ortsregister nur mit dem Hinweis "passim", taucht dafür aber sowohl im Personen- als auch im Sachregister erneut auf, hier mit verschiedenen Unterbegriffen.
Insgesamt hat Laurence Vial-Bergon ein Quellenkorpus zugänglich gemacht, das bislang noch wenig Beachtung gefunden hat, obwohl es für das langjährige und zähe diplomatische wie militärische Ringen der europäischen Mächte im Pfälzischen Erbfolgekrieg ebenso bedeutsam und interessant ist wie für die spezielleren Fragen zur Geschichte Genfs und des hugenottischen Refuge. So ist zu hoffen, dass die Edition einmal eine Fortsetzung finden wird. Bis dahin mag das vorliegende Werk der Hoffnung der Autorin gemäß zur Erschließung "de nouvelles pistes de recherches" beitragen (XVI).
Anmerkungen:
[1] Frédéric Barbey (Bearb.): Correspondance de Roland Dupré, second Résident de France à Genève: 1680-1688 (= Mémoires et documents. Société d'Histoire et d'Archéologie de Genève; Bd. 29), Genf 1906.
[2] George Livet (Bearb.): Recueil des instructions données aux ambassadeurs et ministres de France des traités de Westphalie jusqu'à la Révolution française, Bd. 30,2, Paris 1983, 524-527.
Ulrich Niggemann