Arne Karsten: Künstler und Kardinäle. Vom Mäzenatentum römischer Kardinalnepoten im 17. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, VI + 258 S., 54 Abb., ISBN 978-3-412-11302-5, EUR 39,90
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Die Arbeit Arne Karstens erfüllt geradezu idealtypisch die jüngst auf einer Trierer Tagung von Hagen Schulze formulierte Anforderung an die Dissertation der Zukunft: ein Umfang von 250 Seiten, klar argumentiert und mit Verve und Esprit geschrieben, kurzum: lesbar und anregend, und dies nicht ausschließlich für ein Fachpublikum. Die Tatsache, dass es gelungen ist, dies an einem Thema vorzuführen, das sich über einen Mangel an historischer und kunsthistorischer Detailforschung nicht beklagen kann, ist dabei besonders hervorzuheben. Der Autor, von Hause aus Kunsthistoriker, zeigt überdies eine souveräne Kenntnis der historischen Forschung und zieht deren Ergebnisse gekonnt zur Beantwortung seiner Fragen heran. Karsten untersucht die sozialen und historischen Bedingungen des Mäzenatentums der römischen Kardinalnepoten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, das Rom zur wichtigsten Kunstmetropole Europas machte, in der exquisite Antikensammlungen zusammengetragen wurden und barocke Meisterwerke in Architektur und Malerei entstanden. Die Auftraggeber waren in erster Linie die päpstlichen Nepoten, die als "alter ego" ihres geistlichen Onkels, der als "padre comune" über den Parteien zu stehen hatte, die weltlichen Repräsentationsaufgaben übernahmen. Warum, fragt sich der Autor, investierten diese Nepoten solch enorme Summen in Kunstwerke, darüber hinaus noch in einer Zeit permanenter wirtschaftlicher Krise? Die Antworten der Kunsthistoriker, die sich in erster Linie auf kunsttheoretische und ästhetische Motivationen beschränken, auf wirkliche idealistische Kunstneigung also, befriedigen ihn nicht und erscheinen ihm eher anachronistisch aus dem Connaisseur-Ideal des 19. Jahrhunderts abgeleitet.
Karsten setzt diesen Erklärungsversuchen die spezifische soziale Konstellation Roms im 17. Jahrhundert entgegen. Die päpstliche Wahlmonarchie katapultierte in regelmäßigen Abständen neue Herrscherfamilien an die Spitze von Kirchenstaat und Weltkirche, die als bürgerliche Parvenüs besonders darauf angewiesen waren, ihre ihnen neu zugefallene gesellschaftliche Stellung und die damit verbundenen Herrschaftsansprüche zu legitimieren und zu überhöhen. Dies galt in besonderer Weise für die Nepoten, deren Herrschaftsfunktion häufig fiktiv blieb (durchaus nicht immer, wie Karsten am Beispiel Ludovisis zeigt) und die zugleich als repräsentativer Arm der neuen Herrscherfamilie die gesellschaftliche Stellung derselben für die Zukunft für die Zeit nach dem Ableben des Papstes abzusichern hatten. Die Zeit, die den Nepoten zur Verfügung stand, war daher meist begrenzt und kurz, je älter der Pontifex, desto kürzer, und in dieser Zeit musste der wirtschaftliche und soziale Aufstieg der Familie bewerkstelligt werden. Aus traditionslosen Aufsteigern mussten Mitglieder der europäischen Adelsgesellschaft mit entsprechendem Symbolkapital werden, eine Operation, zu der sich Kunstpatronage besonders eignete - und mit deren Hilfe sich dieses Anliegen auch vergleichsweise preisgünstig bewerkstelligen ließ.
Dieser soziale Antrieb der Kunstpatronage war, so Karsten, auch für die Themenauswahl verantwortlich. Die Bevorzugung antiker Mythologie sei in der Bereitstellung eines reichen Reservoirs suggestiver und rhetorischer Themen begründet, die einerseits Tradition stifteten und andererseits die Neuheit der formulierten Ansprüche verschleierten und legitimierend überhöhten. So entstand eine regelrechte "Nepotenikonographie", zum Beispiel die des Herkules oder des Aeneas, die auch schon im 16. Jahrhundert in der päpstlichen Kunstpatronage "ausgeschlachtet" worden war. Diese Sujets ließen sich entschuldigend und demütig in einen Nepotendiskurs vom Dienst am Papst und am "bene comune" einbauen, und sie verschleierten so die wahre Rolle der Nepoten, die in erster Linie in der Bereicherung der Gesamtfamilie begründet lag.
Das durch die Wahlmonarchie generierte Strukturprinzip dauernden Wechsels an der Spitze von Staat und Gesellschaft war wiederum ursächlich für das sich dauernde Absetzen vom Vorgängerpontifikat verantwortlich. Auch hierfür eigneten sich künstlerische Mittel hervorragend, und hierin liegt wohl auch der Grund dafür, dass sich die Nepoten immer auch als Entdecker neuer künstlerischer Talente zu profilieren hatten. Der Zwang zum Neuen eröffnete Künstlern überaus große Chancen, im Windschatten plötzlich aufgestiegener Gönner selbst zum "Shooting Star" der Kunstszene zu werden, freilich war dies auch mit der Gefahr verbunden, zum Pontifikatsende aus eben diesen Gründen wieder in der Versenkung zu verschwinden. Bolognesen versus Florentiner versus Sienesen et cetera, dieses spezifisch römische, dauernde ästhetische Wechselbad war weniger den kunsttheoretischen Vorlieben der Mäzene geschuldet als deren Landsmannschaft oder, wichtiger noch, deren Zwang zur Profilierung.
Wenn Karsten diese sozio-historische Konstellation besonders herausstellt und herausarbeitet, so auch, weil er damit offensichtlich gegen eine in der Kunstgeschichte immer noch vorherrschende rein kunst- und theorieimmanente Argumentation anschreibt. Wie sehr diese teilweise an den Tatsachen vorbeigeht, ja die geradezu rustikale Ignoranz ihrer Auftraggeber, der Nepoten, verkennt, zeigt er an vielen Stellen, nicht zuletzt am Beispiel Scipione Borgheses, dem ersten der behandelten Musternepoten, der zudem mit der Villa Borghese den Trend für folgende Nepotengenerationen setzte. Von nun an gehörte die Stadtvilla, in der Diplomaten, Gäste und Faktionsangehörige in bukolischer Umgebung und doch nah am Stadtzentrum - und damit der Macht - standesgemäß empfangen und bewirtet werden konnten, zum absoluten Muss der Kunstpolitik der Papstnepoten.
Die einzelnen Kapitel der Arbeit orientieren sich an der chronologischen Aufeinanderfolge der Nepoten (Borghese, Ludovisi, Barberini, Pamphili, Chigi), wobei Karsten die Kernfragen der jeweiligen Pontifikate, besonders die politischen Konstellationen und personellen Rivalitäten, sensibel herausarbeitet. Seine stark auf die Psychologie der Einzelakteure abhebenden Vignetten bauen in erster Linie auf der genauen Lektüre zeitgenössischer Schilderungen des römischen Hofes auf (vornehmlich Avvisi, aber auch Briefkorpora), aus denen er gerne lange Zitate zur Untermauerung seiner Thesen anführt. Die Argumentation ist dennoch straff und für jeden Nepoten auf einige besonders charakteristische Auftragswerke begrenzt, in denen sich Person und Zeit kristallisieren (zum Beispiel das Paradebett Kardinal Chigis als Zeichen zunehmender Privatisierung). Hierdurch sucht er die zum Teil abgehobenen ästhetisierenden Interpretationen der Kunsthistoriker auf den Boden der sozialen und personalen Tatsachen zurückzuholen, doch es haftet ihnen auch ein fast als neo-historistisch zu bezeichnender Gustus an der Schilderung der "historischen Persönlichkeit" an.
So richtig und notwendig die historische Kontextualisierung ist, so fällt jedoch auf, dass ein Kontext - der religiöse Diskurs des nachtridentinischen Katholizismus - kaum thematisiert wird. Nun gaben die Nepoten sicherlich keineswegs nur religiöse Kunst in Auftrag, doch dürften selbst die ignorantesten und frivolsten unter ihnen hiervon kaum unberührt geblieben sein. Diese Spannung bleibt letztlich unaufgelöst. Auch die Charakterisierung der Nepotenkunst als spezifisch "rhetorisch" und antikisierend, da letztlich reinen Legitimationsdiskursen unterworfen, überzeugt gerade im Vergleich mit der Kunstpatronage anderer Herrscher nicht völlig. Mit ganz ähnlichen Adjektiven hat zum Beispiel Gérard Sabatier in seinem monumentalen Werk zu Versailles die Kunstpatronage Ludwigs XIV. beschrieben. [1] Inwiefern sich die im Auftrag der Nepoten angefertigten Kunstwerke von jenen anderer weltlicher Auftraggeber unterschieden, diskutiert Karsten nicht. Dies tut der äußerst lesenswerten und grundlegenden Studie jedoch keinen Abbruch, vielmehr ist sie dazu angetan, vergleichende und weiterführende Diskussionen zum frühneuzeitlichen Mäzenatentum zu befruchten.
Anmerkung:
[1] Gérard Sabatier: Versailles ou la figure du roi, Paris 1999.
Nicole Reinhardt