Koenraad Brosens: Flemish Tapestry in European and American collections. Studies in Honour of Guy Delmarcel (= Studies in Western Tapestry; 1), Turnhout: Brepols 2003, 231 S., 149 Abb., ISBN 978-2-503-52174-9, EUR 78,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Guy Delmarcel zählt wohl unbestritten zu den Koryphäen unter den Tapisseriewissenschaftlern. Seine Forschungen insbesondere zu den flämischen Tapisserien mündeten seit den 1970er-Jahren in zahlreiche Publikationen, von denen einige zu Standardwerken avancierten wie etwa La tapisserie flamande du XVe au XVIIIe siècle, 1999 in drei Sprachen erschienen. Sein Verdienst besteht ohne Zweifel darin, das textile Medium nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für ein allgemeines Publikum aufbereitet zu haben. Das Ausscheiden Delmarcels als Professor für Kunstgeschichte an der Katholischen Universität Leuven im Jahr 2002 war Anlass, seine Verdienste mit einer Festschrift zu ehren, als deren Herausgeber Koenraad Brosens verantwortlich zeichnet. Das Vorwort dieser Aufsatzsammlung beinhaltet einen kurzen Lebenslauf Delmarcels, dessen Dissertation bereits Tapisserien beziehungsweise einer speziellen Tapisserienserie gewidmet war: Los Honores (Patrimonio Nacional, Madrid). Der Lebenslauf konfrontiert den Leser nicht nur mit dem beruflichen Werdegang Delmarcels, er schildert zudem die Begegnungen mit Kollegen, die Delmarcel auf seinem beruflichen Weg begleiteten. Zahlreiche von ihnen haben einen Beitrag zur Festschrift verfasst. In der Vielfalt der Aufsatzthemen spiegeln sich die umfassenden Interessensgebiete Delmarcels ebenso wie die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zum Forschungsgebiet Tapisserie.
Pascal-François Bertrand (Universität Paul) beispielsweise widmet sich in seinem Aufsatz nur indirekt dem textilen Medium. Er beschäftigt sich mit Zeichnungen von Roger de Gaignières (1642-1715), die Tapisserien des 15. bis 17. Jahrhunderts abbilden. Diese grafischen Werke waren um 1700 über nicht weniger als 90 private französische Sammlungen verbreitet.
Erwähnenswert ist auch der Beitrag von Thomas P. Campbell (Metropolitan Museum of Art, New York) zu den Tapisserien mit der Darstellung der Geschichte Abrahams, die sich in Hampton Court Palace befinden. Er erleichtert dem Leser den Einstieg in seinen Aufsatz mittels eines Summarys und nimmt anschließend die Aufbereitung dieser in Brüssel gewirkten Tapisserienserien anhand verschiedener Fragestellungen vor. Mittels Archivalien rekonstruiert er die Geschichte der Serie soweit als möglich und diskutiert überzeugend ihre Datierung in die frühen 1540er-Jahre. Der Vergleich mit in Wien und Madrid erhaltenen Abrahamserien liefert den Nachweis, dass es sich bei der Hampton Court Serie wahrscheinlich um die editio princeps einer Reihe demselben Thema gewidmeter Tapisserienserien handelt. Campbell greift zudem die bereits zu früherem Zeitpunkt geführte Diskussion um den Entwurfszeichner der Serie erneut auf. Stilistische Vergleiche führen ihn zu der Annahme, dass das grundlegende Konzept der Serie in Teilen von Barent van Orley stammt, Design und Kartons aber im Atelier des Pieter Coecke van Aelst vervollständigt wurden. Ein überzeugender Forschungsbeitrag, der ein neues Licht auf dieses bekannte Tapisserienthema aus dem Alten Testament wirft.
Ian Buchanan (Universität Auckland) widmet seinen kurzen Beitrag drei Tapisserienserien, die König Erik XIV. von Schweden 1560/61 in Antwerpen als repräsentative Ausstattungsstücke für seine Krönung in Uppsala am 25. Juli 1561 ankaufen ließ. Buchanan konzentriert sich weniger auf die Inhalte der Serien, er leistet vielmehr einen Beitrag zur Analyse der marktwirtschaftlichen Komponente des Mediums Tapisserie. So ließ Erik die Tapisserien beispielweise auf Kosten und Risiko der Händler nach Schweden transportieren. Zudem behielt er sich ein Rückgaberecht vor.
Rotraud Bauer (Wien) beschränkt sich wie Campbell auf die Bearbeitung einer einzelnen Tapisserienserie, der Sechs Weltzeitalter aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien. Erst vor kurzem hat sie die Entstehungsgeschichte der Serie erstmals explizit beleuchtet (Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums, 4, 2002). Jetzt erweitert sie die Erforschung der Serie um die Klärung des ikonographischen Programms. Nicht nur die Bildfelder, sondern auch die Bordürenmotive werden erstmals en detail von ihr aufgelöst. Bauer demonstriert mit ihrem Aufsatz, wie fruchtbar die interdisziplinäre Zusammenarbeit (in diesem Fall etwa mit Bibelwissenschaftlern) sein kann.
Wendy Hefford (Victoria and Albert Museum, London) findet im Gegensatz zu ihren Kollegen einen anders gearteten Zugang zum Thema Tapisserie. Sie rekonstruiert den Entwurf und die Datierung einer verschollenen Brüssler Serie mit Darstellung der Reitkunst anhand heute noch erhaltener dem selben Thema gewidmeter Tapisserienserien. Die Kenntnis von der Existenz dieser Tapisserienserie, die ehemals Charles I., König von England, gehörten, entnimmt Hefford diversen Archivalien. Sie erkennt sie zudem, wie vor ihr bereits Duverger, in einer für Kardinal Mazarin 1653 in London angekauften Serie wieder. Als besonders hilfreich erweist sich bei der Datierung einzelner Wandbehänge Heffords umfangreiches Wissen aus dem Kostümbereich.
Hillie Smit (Universität Leiden) entnimmt das Thema ihres Aufsatzes den Recherchearbeiten zum eben erschienenen Bestandskatalog der europäischen Tapisserien des Rijksmuseums in Amsterdam. Sie gewinnt neue Erkenntnisse zu einer Reihe von vier Tapisserien des 18. Jahrhunderts mit Szenen aus dem Landleben nach Teniers.
Dass insbesondere der Austausch und die Kommunikation zwischen Textilwissenschaftlern und -restauratoren besonders fruchtbar ist und zu neuen Forschungsergebnissen führen kann, belegt der in Zusammenarbeit von Birgitt Borkopp-Restle und André Brutillot (beide Bayerisches Nationalmuseum, München) entstandene Aufsatz. Gegenstand ihrer Untersuchung sind zwei Tapisserien, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Ergänzung zur berühmten Geschichte des Apostels Paulus (Brüssel, circa 1535-40) gewirkt wurden. Archivalien und technische Details der beiden Tapisserien wie Zeichnung und Farbe der Schraffuren sowie die vier unterschiedlichen Arten von Kettfaden-Knoten lassen erstmals Rückschlüsse auf ihren Entstehungsort zu. Die These, dass die beiden ergänzenden Stücke wahrscheinlich in München hergestellt wurden, wird plausibel dargestellt.
Auch bekannte Namen wie Lucia Meoni, Nello Forti Grazzini, Maria Hennel-Bernasikowa, Ingrid De Meûter, Concha Herrero Carretero, Christa C. Mayer Thurman und Koenraad Brosens fehlen nicht unter den Autoren.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es sich um überzeugende Beiträge handelt, die im Detail neue Erkenntnisse zu einzelnen Wandbehängen liefern und einen Einblick in das vielseitige Forschungsgebiet der Tapisserie gewähren. Zu bemängeln ist allerdings der Umstand, dass nur wenige der fünfzehn Autoren ihren Aufsatz mit einem Summary beginnen, der bei einer derart vielseitigen und in fünf Sprachen verfassten Aufsatzsammlung eine Möglichkeit für den Leser wäre, sich schneller in das jeweilige Thema und die Fragestellung einzufinden. Bisweilen lässt auch die Qualität des Bildmaterials zu wünschen übrig.
Die Festschrift für Guy Delmarcel ist der erste Band der neuen Reihe Studies in Western Tapestry. Der zweite Band dieser von Guy Delmarcel und Koenraad Brosens herausgegebenen Serie ist bereits in Arbeit.
Katja Schmitz-von Ledebur