Alexa Geisthövel: Eigentümlichkeit und Macht. Deutscher Nationalismus 1830-1851. Der Fall Schleswig-Holstein (= Historische Mitteilungen. Beihefte; Bd. 50), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003, 256 S., 4 Tabellen, ISBN 978-3-515-08090-3, EUR 40,00
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Dass Nationen soziale Konstrukte sind, deren imaginierte Gemeinschaft immer wieder erst durch kollektive Praktiken hergestellt werden müssen, ist inzwischen ein Gemeinplatz in der neueren Nationalismusforschung. Was passiert, wenn man davon ausgeht, dass "Nation" eine situations- und akteursabhängig jeweils neu zu schaffende Entität ist und diesen Ansatz auf ein scheinbar so bekanntes Phänomen wie den Konflikt um die "schleswig-holsteinische Frage" im Umfeld der Revolution von 1848/49 anwendet, demonstriert eindrucksvoll Alexa Geisthövel in ihrer an der Berliner Humboldt-Universität entstandenen Dissertation "Eigentümlichkeit und Macht". Die Eskalation des deutsch-dänischen Konflikts, die nationale Mobilisierung durch die erste deutsche "Flottenbewegung" und die innenpolitische Krise, die der Waffenstillstand von Malmö auslöste, dürfen in keiner einschlägigen Gesamtdarstellung fehlen. Doch wie eine Region, in der Dänen und Deutsche bisher gemeinsam unter dem Dach der dänischen Krone gelebt hatten, zum Fokus eines antagonistischen Nationalisierungsprozesses und schließlich zum internationalen Krisenherd werden konnte, wurde außerhalb des landeshistorischen Kontextes bisher nicht hinreichend thematisiert.
Ihrem handlungstheoretischen Ansatz entsprechend fragt Geisthövel, wie auf den Schauplätzen Schleswig und Holstein eines der zentralen Themen des deutschen Nationalismus produziert wurde. Dazu nimmt sie zunächst die publizistische Debatte in den Herzogtümern seit 1830 in den Blick, um sich dann den Bedingungen zuzuwenden, welche die "diskursive Expansion nach Süden" ermöglichten und die "schleswig-holsteinische Frage" seit Mitte der 1840er-Jahre auf die Tagesordnung der deutschen Nationalbewegung setzten. Den Kern der Untersuchung bilden die Analyse zahlreicher Zeitschriften, Broschüren und Ständeversammlungs- beziehungsweise Parlamentsreden, ergänzt um die Aktionen der Versammlungsöffentlichkeit bei Festen, Kongressen und Spendenaufrufen sowie um die Herausarbeitung biografischer Netzwerke.
Auf diese Weise zeigt Alexa Geisthövel, wie ein Konflikt, der sich zunächst um verfassungspolitische Fragen drehte, sich seit der zweiten Hälfte der 1830er-Jahre allmählich in eine Auseinandersetzung zwischen den Nationen verwandelte. Am Anfang standen der Niedergang des dänischen Staates nach den napoleonischen Kriegen, das Verfassungsversprechen des Deutschen Bundes und die Auswirkungen der Julirevolution von 1830. Die liberale Forderung nach einer Repräsentativverfassung an den dänischen König war im Umfeld der Julirevolution nicht ungewöhnlich, entwickelte im Fall der beiden Herzogtümer jedoch insofern besondere Brisanz, als nur Holstein, nicht aber Schleswig dem Deutschen Bund angehörte.
Der liberale Entwurf für ein Verfassungswerk sah jedoch eine gemeinsame Repräsentation vor und machte die Zusammengehörigkeit der beiden Regionen damit zum Politikum. Dabei konnte er sich auf Vorarbeiten des nationalgesinnten Historikers Friedrich Christoph Dahlmann berufen, der als Geschichtsprofessor in Kiel gegenüber dänischen Ambitionen, Schleswig zwecks Abbau von Verwaltungskosten dem Königreich einzugliedern, den Ripener Vertrag von 1460 ausgegraben hatte. Das dort unter gänzlich anderen Umständen formulierte Diktum von der ewigen Zusammengehörigkeit der beiden Herzogtümer fungierte hinfort als Referenzpunkt für alle, die eine stärkere Selbstständigkeit gegenüber der dänischen Krone erstrebten. Den Mittelpunkt aller Debatten der 1830er-Jahre bildete jedoch der konstitutionelle Aspekt, ein Gegensatz zwischen Deutschen und Dänen wurde zunächst noch nicht etabliert.
Wie ein vereintes Schleswig-Holstein auszusehen hätte, blieb bis in die 1840er-Jahre umstritten. Nachdem 1831 zwei Ständevertretungen bewilligt worden waren, bildeten sich unterschiedliche Meinungsfraktionen heraus, unter denen jene, die sich von Dänemark abgrenzte und die Zugehörigkeit beider Herzogtümer zur deutschen Nation behauptete, zunächst noch keineswegs mehrheitsfähig war. Erst nach den enttäuschend verlaufenden Sitzungsperioden der Ständeversammlungen, einer pro-dänischen Gegenbewegung in Nordschleswig und danisierenden Tendenzen der Staatsorganisation gewann diese Sichtweise mehr und mehr Anhänger. Seit 1844 wich der Dissens über die Zukunft der beiden Herzogtümer einer gemeinsamen Bewegung, welche die "schleswig-holsteinische Frage" mit der Inkorporation in die deutsche Nation verband. Gleichzeitig wurde die nationale Ambivalenz der dänischsprachigen Nordschleswiger inakzeptabel, und gegenüber früheren differenzierten Standpunkten geriet nun "der Däne" schlechthin zum nationalen Feind.
Südlich der Eider setzte die Thematisierung des Konflikts in Schleswig-Holstein in der Presse erst ein, als dort die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund längst diskutiert wurde. Voraussetzung dafür waren nicht nur ein dichter gespanntes Kommunikationsnetz und die aktive Kontaktaufnahme vonseiten pro-deutscher Aktivisten aus dem Norden, sondern, so Geisthövels These, auch eine Veränderung in der Vorstellung von der außenpolitischen Bedeutung der noch zu schaffenden deutschen Nation seit den 1830er-Jahren. Die zunehmende Beschäftigung der Presse mit den Grenzen der deutschen Nation, mit wirtschaftsnationalen Fragestellungen und internationaler Machtentfaltung habe schon im Vormärz den Boden dafür bereitet, dass Schleswig-Holstein in die Debatte um den Platz der Deutschen in der Welt eingebunden werden konnte. Der Besitz der Nord- und Ostseehäfen als notwendige Vorbedingungen für maritime Weltmachtambitionen habe daher schließlich die "schleswig-holsteinische Frage" mit dem Problem der deutschen Einheit verschmelzen lassen.
Dass man sich an dieser Stelle mehr Belege insbesondere für die frühe Zeit der behaupteten Weltmachtambitionen gewünscht hätte, tut dieser insgesamt dicht und stringent argumentierenden Studie keinen Abbruch. Angesichts der komplexen Materie hätte ein anfänglicher Blick auf die Ereigniszusammenhänge Lesern ohne Spezialkenntnisse allerdings den Zugang erleichtert. Insgesamt regt die Arbeit dazu an, sich intensiver als bisher geschehen mit der Tradition - und den Brüchen - deutscher Großmachtsvorstellungen zu beschäftigen. [1] Auch die in der neueren Nationalismusforschung vertretene These, die Kriege zum Ausgangspunkt der Entwicklung nationaler Heterostereotype macht, wird mit Blick auf die Genese des deutsch-dänischen Konflikts nochmals zu überdenken sein. Hier war der Krieg nicht der Anfang, sondern das Ergebnis der Verfestigung nationaler Feindbilder während einer äußerlich friedlichen Epoche.
Daher ist es bedauerlich, dass die wechselseitige Eskalation des deutschen und des dänischen Nationalismus in der vorliegenden Arbeit ganz außer acht bleibt. Untersucht wird der deutsche Nationalismus in Schleswig und Holstein, nicht die Nationalisierung und Ethnisierung von Konflikten in einer Grenzregion. Dabei ist gerade die Analyse politischer Mentalitäten und ihrer wechselseitigen Konfrontation in gemischtnationalen Gebieten für die Nationalismusforschung besonders vielversprechend. [2] Bleibt zu hoffen, dass dieses Desiderat bald anderweitig eingelöst wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. hierzu auch Hans Fenske: Imperialistische Tendenzen in Deutschland vor 1866. Auswanderung, überseeische Bestrebungen, Weltmachtträume, in: Historisches Jahrbuch 97/98 (1978), 336-383; Susanne M. Zantop: Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland (1770-1870), Berlin 1999.
[2] Vgl. Christian Pletzing: Vom Völkerfrühling zum nationalen Konflikt. Deutscher und polnischer Nationalismus in Ost- und Westpreußen 1830-1871, Wiesbaden 2003.
Ute Planert