Mark Häberlein / Johannes Burkhardt (Hgg.): Die Welser. Neue Forschungen zur Geschichte und Kultur des oberdeutschen Handelshauses (= Colloquia Augustana; Bd. 16), Berlin: Akademie Verlag 2002, 663 S., ISBN 978-3-05-003412-6, EUR 49,80
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Mit Recht gehen die Herausgeber davon aus, dass die Geschichte der Welser wesentlich schlechter erforscht ist als die ihrer berühmteren Konkurrenz, der Fugger. Der Grund dafür liegt wohl unter anderem darin, dass das Firmenarchiv der Welser spätestens 1614 mit dem Bankrott verloren ging. Trotz einer Reihe bekannter Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert weist die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte dieser berühmten Kaufmannsfamilie noch erhebliche Defizite auf. Die Frage ist, inwieweit der hier zu besprechende Sammelband diese Defizite wettmacht.
Unter den Autoren sind ausgewiesene Wirtschaftshistoriker zu finden, die wichtige Beiträge zur Geschichte der Welser beziehungsweise der oberdeutschen Handelshäuser insgesamt verfasst haben. Die ersten Aufsätze befassen sich mit der Frühgeschichte und dem Aufstieg der Welser. Peter Geffcken zeigt, dass der Aufstieg der Familie vom 13. bis zum frühen 16. Jahrhundert keineswegs kontinuierlich verlief. Erst durch die Verbindung mit der Familie Egen im frühen 15. Jahrhundert, durch die die Familie Kapital und Ansehen erwarb, und mit der Welser-Vöhlinschen Doppelheirat im späten 15. Jahrhundert gelang den Welsern der Aufstieg an die Spitze der vermögendsten Augsburger und der Schwäbischen Wirtschaft. Rolf Kiessling sieht in der Landesgeschichte und im Zusammenwachsen der Welser und der Vöhlin manche interessanten Parallelen. Dies gilt auch in Bezug auf die sozialen und kommerziellen Verflechtungen sowohl zwischen Städten und Hinterland als auch zwischen Metropole und Mittelstädten in Schwaben.
Der zweite Teil des Bandes widmet sich den Handels- und Finanzbeziehungen der Welser in der Blütezeit des Unternehmens. Hier trägt der jüngst verstorbene Wolfgang von Stromer mit einem Aufsatz zur Potenz der Nürnberger Wirtschaft bei. Er beleuchtet den Anteil des Nürnberger Zweiges der Welser besonders in den Bereichen der technologischen und organisatorischen Innovationen. Mark Häberlein widmet den ersten von zwei Beiträgen den Beziehungen, die die beiden größten Augsburger Handelshäuser, die Fugger und die Welser, untereinander hatten. Sie konnten durch Konkurrenz und Kooperation geprägt sein. Die Kontakte blieben dennoch sporadisch bis etwa 1520, als die Welser ihre geschäftlichen Schwerpunkte vom Warenhandel auf Finanzgeschäfte verlegten und sich zunehmend nach Spanien und der Neuen Welt orientierten. Dies könnte einer der Gründe für den Abstieg gewesen sein. Ekkehard Westermann beschäftigt sich mit dem Welser'schen Saigerhandel im Mansfelder Revier und verdeutlicht damit, wie sich die Geschäftsstrategien der Welser je nach führender Persönlichkeit und deren immer breiter konzipierten Handelshorizonten über die Zeit verändert haben. Reinhardt Hildebrandt liefert einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Niedergangs süddeutscher Handelshäuser. Probleme der gesellschaftlichen Organisation bei Erbteilungen, das Ausscheiden von Teilhabern, das Fehlen einer kontinuierlich fähigen Leitung und eine riskante fremdfinanzierte Geschäftsorientierung gehören zu den Faktoren, die zur Zersetzung und zum Zusammenbruch der Welser-Gesellschaft im Jahre 1614 geführt haben.
Die letzten drei Abschnitte des Sammelbandes befassen sich hauptsächlich mit der sozial- und kulturhistorischen Bedeutung der Welser. Die Leserinnen und Leser finden hier ein überraschend breites Feld und dementsprechend eine Breite von Aufsätzen nicht nur hinsichtlich der Themen, sondern auch der Qualität. Jörg Denzer und Michaela Schmölz-Häberlein nehmen das Venezuela-Unternehmen der Welser ins Visier. Denzer argumentiert, dass die Erschließung der Provinz Venezuela den Welsern eine Reihe wirtschaftlicher Optionen eröffnete, einschließlich des Abbaus von Bodenschätzen, der Ausbeutung von Perlenvorkommen, der Produktion von Agrargütern und der Teilnahme am Sklavenhandel, die die Firma anfangs ernsthaft in ihre Kalkulationen einbezog. Schicksalhaft gestaltete sich die Entscheidung nach etwa 1554, die meisten dieser Optionen fallen zu lassen und sich auf die Suche nach Gold und die Eroberung der Indianer-Reiche zu konzentrieren, die die Firma langsam in finanzielle Schwierigkeiten brachte. Nichtsdestoweniger ist die Teilnahme des Augsburger Handelshauses an der Entdeckung und Eroberung Südamerikas für spätere Generationen ein ebenso heikles wie faszinierendes Thema geblieben. Schmölz-Häberlein zeigt deutlich, wie das Venezuela-Unternehmen von deutschen Historikern und Publizisten für aktuelle politische Zwecke und persönliche Ziele immer wieder instrumentalisiert worden ist.
Allem überseeischen Engagement zum Trotz blieben die Welser Mitglieder des städtischen Patriziats in Augsburg. Dieser Umstand verweist auf vielfältige Beziehungen zu ihrer Heimatstadt, von denen leider nur zwei Aspekte in diesem Band aufgegriffen worden sind. Carl Hoffmann geht in einer Analyse der Delinquenz und Strafverfolgung der patrizischen und kaufmännischen Elite der Frage nach, ob es im 16. Jahrhundert schichtenspezifische Sanktionsinstanzen und -mechanismen gab und findet, trotz mancher Rangvorteile, keine eindeutigen Hinweise dafür. In seinem zweiten Beitrag untersucht Mark Häberlein den Wandel von Leitbildern und Lebensstilen der Welser und anderer ranggleicher Familien zwischen 1548 und 1618. Er interpretiert den Rückzug dieser Familien aus dem Handel als "Reinvestition von Handelskapital in andere Formen ökonomischen und kulturellen Kapitals". Mit dieser Interpretation läuft er Gefahr, sowohl die Vielfalt der Kapitalinvestionen der Welser vor dem Wandel als auch die Missgeschicke der Familie während des Wandels zu unterschätzen.
In den letzten Beiträgen werden das durchgehend starke kulturelle Engagement und diesbezügliche Investitionen der Welser betont. Annette Kranz beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit einer Gruppe von Porträts einiger Angehörigen und Verwandter der Welser, die von Christoph Amberger gemalt wurden. Sie sieht darin eine selbstdarstellerische Entwicklung "vom genealogisch motivierten Familiendokument zum repräsentativen Kunstwerk". Eine eigene Studie widmet Helmut Zäh der Ehe von Konrad Peutinger und Margarete Welser und zeigt, dass der Humanist seine Frau als Partnerin ansah, sie letztlich aber sowohl seinen hausväterlichen als auch seinen gelehrten Tätigkeiten unterordnete. Elvira Glaser untersucht aus sprachgeschichtlicher Perspektive zwei Kochbücher, die einen Einblick in die kulinarischen Vorlieben der Welser'schen Haushaltung geben. Hans-Jörg Künast setzt seine langjährige Beschäftigung mit der Peutinger-Bibliothek durch eine Analyse der Büchersammlung der Brüder Anton, Markus und Paul Welser fort. Die etwa 1000 Bände umfassende Bibliothek, die unter den Mitgliedern des Augsburger Patriziats keine Seltenheit bildete, diente zwar nicht repräsentativen Zwecken, wie Künast aufgrund der schmucklosen Bände und deren Aufbewahrung zeigt, aber den Interessen der Benutzer. Wolfgang Kuhoff beschäftigt sich mit einem dieser Benutzer, dem bekannten Gelehrten Markus Welser, der als Erforscher der römischen Vergangenheit Augsburgs bekannt wurde. Inge Keil zeigt deutlich, dass die Interessen Markus Welsers über die Antike in die Naturwissenschaft hinausreichten. Er ist unter den Historikern kein Unbekannter, aber es ist das Verdienst Wolfgang E. J. Webers, dessen Bruder, den Bankrotteur Paul Welser, als einen Vertreter des neuen Staatsräsondenkens wieder entdeckt zu haben.
Die thematische Breite der Beiträge verweist unmissverständlich auf die Bedeutung dieser Patrizierfamilie für die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte Augsburgs und Schwabens. Positiv hervorzuheben ist, dass der Band durch diese einzelnen Beiträge wichtige Impulse für die weitere Beschäftigung mit diesem Thema gibt. Als Zwischenbilanz der bisherigen wissenschaftlichen Forschung bleiben die Ergebnisse jedoch enttäuschend. So spannend und überzeugend die einzelnen Beiträge sind, fehlt eine vergleichende Zusammenfassung. Handels- und Patriziereliten sind in der historischen Forschung der Frühen Neuzeit in Großbritannien, Frankreich, Holland und Italien längst bekannte Schwerpunkte. Man vermisst in dieser wichtigen Sammlung den Versuch, die Welser in einen europäischen Kontext zu setzen.
Thomas Max Safley