Michael Kaiser / Stefan Kroll (Hgg.): Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 4), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004, 351 S., ISBN 978-3-8258-6030-1, EUR 25,90
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Die Herausgeber und die meisten Beiträger stellen diesen Band in den Zusammenhang der Konfessionalisierungsdebatte und beklagen, dass ausgerechnet die Rolle des Militärs, als Instrument wie als Gegenstand staatsbildenden Handelns von gleichermaßen zentraler Bedeutung, bisher zu wenig berücksichtigt worden sei. Wenn dennoch im Titel von "Religiosität" statt von "Konfession" die Rede ist, soll dies eine Erweiterung der Perspektive auch auf Deutungsangebote jenseits konfessionskirchlicher Orthodoxien erlauben. Das meint vor allem magische Praktiken, häufiger werden aber selbst patriotische Motive zur Sprache gebracht, und an diesen Punkten erweitert sich der Horizont im Grunde auf die ganze Palette von Legitimationsmustern militärischen Handelns. Das hängt auch damit zusammen, dass zwölf der sechzehn Beiträge ihre Themen nach 1648 aufsuchen (und einer im späten Mittelalter). Die Herausgeber begründen diesen überraschenden Schwerpunkt unabhängig von der Frage nach dem konfessionellen Charakter des 18. Jahrhunderts pragmatisch mit dem Argument, dass erst die Permanenz der Heeresorganisationen die potenziellen Voraussetzungen für eine konsequente Konfessionalisierungspolitik innerhalb der Armeen geschaffen habe. Damit bleibt selbst der Dreißigjährige Krieg weitgehend unberücksichtigt, trotz der bekannten Thesen über unterschiedliche konfessionelle Milieus in den Armeen dieser Zeit. Und während schon die Möglichkeit einer strikten Konfessionalisierung vor 1648 bezweifelt wird, geraten im Blick auf das 18. Jahrhundert bereits vermehrt säkulare Aspekte in den Blick. In Hinsicht auf das Thema Religiosität dominieren daher ambivalente und mitunter negative Befunde.
Der Zugang zu den religiösen Einstellungen der Soldaten selbst erweist sich ohnehin als schwierig. Ausschließlich widmen sich ihnen Werner Meyer mit einer Übersicht über magische Praktiken Schweizer Krieger im Spätmittelalter und Michael Kaiser mit einer Zusammenstellung verschiedener Deutungsangebote zum Umgang der Soldaten mit dem Tod, verdeutlicht an Sterbesituationen von Heerführern aus dem Dreißigjährigen Krieg. Er folgt damit seiner am Rande der Einleitung gelegten Fährte in Richtung auf das Konzept einer "lebensweltlich zugeschnittenen", von konfessioneller Engführung gelösten "Soldatenreligion". Indirekt werden die Einstellungen der Soldaten auch bei Jürgen Luh zum Thema. Entgegen der These, dass die Kriege gegen die Türken auf christlicher Seite durch eine besondere, religiös motivierte Grausamkeit geführt worden seien, führt er die hohen Opferzahlen der gängigen Beispiele auf Ausnahmesituationen zurück, deren blutiger Verlauf sich daher nicht von den unter Christen üblichen Kriegspraktiken abgehoben habe.
Stefan Kroll sichtet Motivationsangebote für kursächsische Soldaten vom Siebenjährigen Krieg bis zur Revolutionsära und verbindet diese Perspektive mit Beispielen tatsächlichen Verhaltens. Auf diskursiver Ebene konstatiert er eher patriotische als konfessionelle Argumente. Verbundenheit mit dem Landesherrn scheint für die Soldaten eine Rolle gespielt zu haben, die aber insgesamt eher pragmatisch und jedenfalls nicht konfessionell motiviert agierten. Krolls Beitrag schlägt die Brücke zu weiteren Aufsätzen, die sich auf der diskursiven Ebene bewegen. Kriegsbegleitende Publizistik untersuchen Maren Lorenz für die nordischen Kriege und Antje Fuchs für das Kurfürstentum Hannover im Siebenjährigen Krieg. Auch nach Lorenz überwogen rechtliche und teilweise schon patriotische Argumente gegenüber religiösen Perspektiven, wohl befördert durch konfessionell unklare Fronten. Die diplomatische Revolution des 18. Jahrhunderts verlieh einer konfessionellen Lesart wieder mehr Gewicht, wie Fuchs an den Zielen preußischer Propaganda vorführt (dazu auch Kroll). In beiden Beiträgen wird aber auch deutlich, dass religiöse Argumente bei gebildeten Schichten noch weniger verfingen als bei Handwerkern und Bauern. Die Wirkung konfessioneller Argumente schöpfte zudem nicht zuletzt aus Ängsten vor einem neuen Dreißigjährigen Krieg.
Zivilen Zeugnissen geht Daniel Hohrath nach, der Tagebücher von Theologen auswertet, die im 18. Jahrhundert Belagerungen erlebt haben. Er beobachtet Stress und Erschütterung, aber auch Faszination ob der pyrotechnischen Schauspiele. Und er bekräftigt Hinweise von Lorenz und Fuchs, dass Theologen den Krieg auch im 18. Jahrhundert noch ganz selbstverständlich als Sündenstrafe auffassten.
Matthias Rogg rekapituliert die sehr unterschiedlichen Rollen, in denen Bildquellen des 16. Jahrhunderts die Darstellung von Söldnern mit religiösen Werten und Praktiken oder konfessioneller Propaganda in Verbindung brachten. Anhand der internen Meinungsbildung der römischen Kurie über ein Eingreifen in die französischen Religionskriege 1569 verdeutlicht Cornel Zwierlein, dass der konfessionelle Eifer bereits deutlich hinter Argumente der Staatsraison zurücktrat, nach außen hin aber als handlungsleitendes Motiv kommuniziert wurde. Dass die Söldner sich nicht so katholisch verhalten haben, diskutiert der Autor schon als Scheitern der Konfessionalisierung in einem wesentlichen Sektor der Staatsbildung.
Die Dimension militärischer Verhaltensnormierung verbindet diesen Aufsatz mit dem Rest der Beiträge, die sich in unterschiedlicher Form mit obrigkeitlichen Steuerungsmaßnahmen auseinander setzen. Einigkeit herrscht an mehreren Stellen darüber, dass die Rekrutierung im Krieg keine konfessionellen Rücksichten zuließ. Umso bemerkenswerter und im Vergleich vielleicht zu gering geschätzt erscheint daher die andere Hälfte der Befunde von Michael Reiff im Blick auf die kurbayerische Armee im 17. und 18. Jahrhundert. Die Verwendung protestantischer Soldaten bevorzugt im Ausland, gezielte Entlassungen und die Prämierung von Konversionen beförderten demnach gerade zwischen den Kriegen, gerade im Rahmen der stehenden Armee die Möglichkeiten zur konfessionellen Homogenisierung. Hier wie auch andernorts (Wilson für Württemberg, Nowosadtko für Münster) wird zudem deutlich, dass die verstärkte Anwerbung von Inländern dieser Homogenität durchaus entgegen kam. Bemerkenswert ist auch die Praxis, verbliebenen protestantischen Soldaten zur Religionsausübung die Ausreise in ein Nachbarland zu gestatten (ähnlich Nowosadtko für Münster).
Peter Wilson schildert facettenreich die Rolle des Militärs für die Politik und umgekehrt während der immer noch überwiegend konfessionell codierten Geschichte Württembergs im 18. Jahrhundert. Seine Anmerkungen zur Rolle der Kreistruppen werden vertieft von Max Plassmann, der sich ganz auf deren bikonfessionelle Struktur konzentriert. Dabei unterscheidet er zwischen der konfessionell durchaus nicht einheitlichen Zusammensetzung der einzelnen Verbände und ihrer reichsrechtlich eindeutigen Zuordnung zu einem der konfessionellen Corpora. Darauf bauten die typischen Techniken der Konfliktvermeidung auf, durch Kompetenzbeschränkungen, Parität oder auch dilatorische Vertagung. Bemerkenswert ist, dass konfessionelle Konflikte weniger innerhalb der Truppen, sondern eher zwischen Militär und Obrigkeiten im Stationierungsraum entstanden (ähnlich auch bei Reiff).
Eine quasi bewusste Enthomogenisierung behandelt Michael Hochedlinger, der die Einführung der Militärdienstpflicht für Juden in der Habsburgermonarchie Ende des 18. Jahrhunderts nachzeichnet. Deutlich werden dabei massive Widerstände, die weit über die Probleme im Umgang mit den christlichen Konfessionen hinausgingen. Die Politik Josephs II. orientierte sich andererseits typischerweise nicht an Toleranzidealen, sondern an Nützlichkeit.
Eine spezifische, institutionelle Facette obrigkeitlicher Regulierung soldatischer Religiosität stellte das Feldpredigerwesen dar, dessen Untersuchung eine eigene Gruppe von Beiträgen gewidmet ist (dazu auch eine längere Passage bei Wilson, knappe Hinweise bei Kroll). Benjamin Marschke rekonstruiert im Horizont der Absolutismusdebatte minuziös die Separierung, Zentralisierung und Bürokratisierung der preußischen Militärseelsorge unter Friedrich Wilhelm I. Er konstatiert dabei einen maßgeblichen Einfluss der Hallenser Pietisten, aber auch den Fortbestand von Missständen und Vermeidungspraktiken. Hannelore Lehmann verfolgt die Spuren eines spiritualistischen Konventikels in Potsdam und seiner Konflikte mit der militärischen Obrigkeit, aber auch die Reintegration seiner Anhänger. Als Gegenbeispiel zu Preußen führt Jutta Nowosadtko vor, wie im Fürstbistum Münster die kirchliche Betreuung der Militärbevölkerung in die zivilen Kirchengemeinden integriert und selbst die einzige Militärgemeinde auf der Zitadelle in Münster dem Generalvikariat unterstellt blieb. Wenigstens im Frieden entzog sich die Seelsorge demnach einer disziplinierenden Instrumentalisierung, die ansonsten zu den am häufigsten beobachteten Phänomenen dieses Bandes gehört (Wilson, Plassmann, Marschke, Lehmann, Kroll, Zwierlein) und auch in der Rolle von zivilen Pfarrern als Multiplikatoren obrigkeitlicher Deutungen zum Ausdruck kam (Lorenz, Fuchs, Hohrath).
Die Beiträge des Bandes tasten das Thema Religiosität also auf sehr unterschiedlichen, mehr oder weniger gebahnten Wegen ab, und entsprechend vielseitig nimmt es Gestalt an. Immerhin zeichnet sich ein Netz vergleichbarer Befunde ab, das zwar noch keine ganz klare Kontur abzeichnet, aber einige generalisierbare Einsichten stützt, die in dieser Dichte bisher noch nicht zusammengeführt worden sind. Einer der vielversprechendsten Wegweiser, der künftigen Forschungen damit gesetzt wird, zielt auf das Problem, ob und inwieweit eigentlich im Umfeld des Militärs von einer spezifisch modellierten Religiosität gesprochen werden kann und welche Instanzen dabei maßgeblich wirkten.
Michael Sikora