Stefan Kroll / Kersten Krüger (Hgg.): Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Frühen Neuzeit. Urbane Lebensräume und Historische Informationssysteme. Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums in Rostock vom 15. und 16. November 2004 (= Geschichte. Forschung und Wissenschaft; Bd. 12), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, 352 S., 1 CD-ROM, ISBN 978-3-8258-8778-0, EUR 24,90
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Hanno Brand (ed.): Trade, diplomacy and cultural exchange. Continuity and change in the North Sea area and the Baltic c. 1350 - 1750, Hilversum: Uitgeverij Verloren 2006
Linas Eriksonas / Leos Müller (eds.): Statehood Before and Beyond Ethnicity. Minor States in Northern and Eastern Europe, 1600-2000, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005
Der vorliegende Band ist Teil einer Serie von Veröffentlichungen des Forschungsverbunds: "Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Frühen Neuzeit. Demographie, Wirtschaft und Baukultur im 17 und 18. Jahrhundert", der von der Universität Rostock und der Hochschule Wismar getragen wird. Aus diesem Projekt sind bereits mehrfach internationale wissenschaftliche Tagungen hervor gegangen, die jeweils in gedruckter Form erschienen sind. [1] Weitere Publikationen sind angekündigt. [2]
Aufgrund des Seriencharakters verzichten die Herausgeber auf eine eigene Einleitung, da diese im ersten Band von 2003 vorliege. Die einzelnen Bände weisen darüber hinaus einen inhaltlichen Zusammenhang auf, den Ostseeraum und dessen Urbanität. Ein methodisches Programm liegt in der computergestützten Analyse serieller Quellen, das auf einer beigefügten CD anhand von Abbildungen sowie mit Hilfe historischer Informationssysteme dokumentiert wird. Dahingegen behandelt jeder einzelne Band eine Reihe von Themen, die nur bedingt unter einen Nenner zu bringen sind.
Der Band setzt ein mit einer kurzen Sektion zur Schifffahrt und Seehandel im Ostseeraum im 18. Jahrhundert. Søren Bitsch Christensen untersucht den Getreidehandel Dänemarks im 18. Jahrhundert; Katre Kaju untersucht den Pernauer Seehandel zwischen 1764 und 1782 anhand von Zolljournalen.
Die zweite Sektion gilt der bürgerlichen Architektur des 17. und 18. Jahrhunderts in den Hansestädten Lübeck, Stralsund und Wismar. Michael Scheftel bietet dabei einen architekturhistorischen Überblick für die Hansestadt Lübeck, der die Fortdauer mittelalterlicher Bautraditionen bis in das 18. Jahrhundert betont. Ursula Markfort sowie Frank Braun, Torsten Foy und Britta Schulz nutzen zu ihren jeweiligen Bestandaufnahmen für die Städte Stralsund und Wismar computergestützte Informationssysteme. Markfort betrachtet dabei den Bestand an Bauten des 17. und 18. Jahrhunderts aus Sicht einer Denkmalpflegerin. Ihre Bestandsaufnahme wird durch zahlreiche historische sowie einen rekonstruierten Stadtplan dokumentiert. Hier schließt auch der Beitrag zu Wismar an, der den Veränderungen im Stadtbild des 17. Jahrhunderts nachspürt. Der Aufsatz erklärt dabei im Wesentlichen Entwurf, Umsetzung wie Benutzung der auf der CD mitgelieferten Präsentation.
Dritter Schwerpunkt des Bandes ist die Auseinandersetzung mit der Pest im Ostseeraum zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Stefan Kroll stellt dabei hilfreiche Überlegungen zur Historiographie der Pest an, wobei sich der Begriff Pest bei näherer Betrachtung als eine unspezifische Bezeichnung verschiedener Seuchen erweist. Kroll setzt - anders als seine Co-Autoren - den Begriff daher stets in Anführungszeichen. Kroll analysiert die demographische Dimension, die seuchenpolizeilichen Bestimmungen sowie die religiösen und magischen Bewältigungsstrategien der von 1709-1711 im Ostseeraum grassierenden "Pest". Als Ergebnis hält er fest, dass die "Pest" auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht "besiegt" worden sei, zumal die Durchsetzung der uneinheitlichen Maßnahmen mangelhaft blieb. Selbst die Reaktion auf eine akute Bedrohung wurde in den Gemeinden stets neu "ausgehandelt" und dadurch behindert. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Karl-Erik Frandsen in seinem Beitrag zur Pest in Helsingør. Auch hier zeigte sich, dass die Erkenntnis von der Gefährlichkeit der Seuche nicht in adäquate politische Handlungen umgesetzt werden konnte, weil das primäre Interesse der Obrigkeit darin bestand, den Ausbruch der Krankheit zu leugnen.
Frandsen stützte sich bei seiner Analyse im Wesentlichen auf Kirchenbücher, wie auch die Aufsätze von Bodil Persson und Jörg Zapnik in ihren Detailstudien zu den Folgen der Pest in Schonen und Stralsund. Kirchenbücher bieten in aller Regel verlässliche Auskünfte zum Todesdatum und sind daher eine wichtige serielle Quelle für die detaillierte Analyse der Ausbreitung der Pest. Sie wird von Zapnik vor allem als Folge der durch den Nordischen Krieg erhöhten Mobilität von Soldaten untersucht. Zapnik präsentiert seine Ergebnisse in Form einer computergestützten Präsentation, die im Artikel ausführlich beschrieben wird. Hans-Uwe Lammel ergänzt diese Studien durch die historiographische Perspektive, indem er die Auseinandersetzung der Zeitgenossen, vor allem der Mediziner, mit der "Contagion" analysiert.
Die letzte Sektion bietet mit zwei Studien zur Sozialstruktur und Sozialtopographie pommerscher Städte noch einmal ein anderes Thema. Karsten Igel untersucht das spätmittelalterliche Greifswald, wobei er die Befunde aus Archäologie, Bau- und Kunstgeschichte einerseits sowie aus der Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und Memorialkultur andererseits zu verbinden sucht. Der abschließende Beitrag von Carina Hojenski untersucht mit Wolgast programmatisch eine kleine Stadt. Die vielen kleinen Städte Pommerns seien für die Vermittlung von Kultur, Politik und Handel in die umliegenden ländlichen Gebiete durchaus bedeutsam gewesen. Ihre Präsentation konzentriert sich auf die Jahre 1707/1708 und wird ebenfalls in Form eines mitgelieferten Historischen Informationssystems präsentiert.
Die Vielfalt der dargestellten Beiträge ist groß, wobei neben dem deutlichen Ostseebezug insbesondere die computergestützte Aufarbeitung serieller Quellen hervorzuheben ist. Der Band demonstriert damit eindringlich die Potenziale einer methodischen Herangehensweise, die selbst unter Historikern nicht die ihren Aussagemöglichkeiten entsprechende Anerkennung findet. Der Einsatz von Computern ist nicht nur in der Textverarbeitung sinnvoll und wirft allenfalls das Problem der Unübersichtlichkeit verfügbarer Programme mit kurzer Lebensdauer auf. Hier liegt der Vorteil noch immer beim gedruckten Wort. Das ist freilich kein prinzipieller Einwand gegen einen überzeugenden Tagungsband. Es wäre vielmehr zu wünschen, dass Archive und Bibliotheken sich stärker als bisher der zukunftssicheren Aufbewahrung und Verbreitung dieser Medien widmeten.
Anmerkungen:
[1] Frank Braun / Stefan Kroll (Hgg.): Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Frühen Neuzeit. Wirtschaft, Baukultur und Historische Informationssysteme. Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums in Wismar vom 4. und 5. September 2003, Berlin 2004; Kersten Krüger / Gyula Pápay / Stefan Kroll (Hgg.): Stadtgeschichte und Historische Informationssysteme. Der Ostseeraum im 17. und 18. Jahrhundert Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums in Rostock vom 21. und 22. März 2002, Münster 2003.
[2] Frank Braun / Stefan Kroll / Kersten Krüger (Hgg.): Stadt und Meer im Ostseeraum im 17. und 18. Jahrhundert. Seehandel, Sozialstruktur und Hausbau - dargestellt in historischen Informationssystemen. Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums in Stralsund vom 8. und 9. September 2005, angekündigt.
Heiko Droste