Rezension über:

Jens-Uwe Krause: Kriminalgeschichte der Antike, München: C.H.Beck 2004, 228 S., ISBN 978-3-406-52240-6, EUR 24,90
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Rezension von:
Dirk Rohmann
München
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Dirk Rohmann: Rezension von: Jens-Uwe Krause: Kriminalgeschichte der Antike, München: C.H.Beck 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/06/7427.html


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Jens-Uwe Krause: Kriminalgeschichte der Antike

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Jens-Uwe Krause legt mit seinem Buch "Kriminalgeschichte der Antike" einen bislang im deutschsprachigen Raum vorbildlosen Überblick zur Gewalt und Kriminalität in der griechisch-römischen Antike vor. Der Autor ist durch umfangreiche monografische Publikationen als Kenner der antiken Sozialgeschichte, zumal im römischen Bereich, ausgewiesen.

Das Buch richtet sich sowohl an ein Fachpublikum als auch an den interessierten Laien; es ist verständlich und in kurzen Sätzen geschrieben, die antike und moderne Terminologie ist ausnahmslos übersetzt oder erläutert.

Ähnlich wie in früheren Arbeiten greift Krause auf ein umfangreiches Quellencorpus zurück: Neben juristischen Quellen, die in früheren einschlägigen Beiträgen den hauptsächlichen Gegenstand bildeten, treten papyrologische Funde und literarische Texte, mit besonderer Berücksichtigung der christlichen Literatur der Spätantike. Ebenfalls in früheren Arbeiten des Autors findet sich der komparatistische Ansatz auch dieser Studie: Der Vergleich mit Kriminalitätsuntersuchungen zum Mittelalter und zur Frühen Neuzeit dient sowohl in den Einzeluntersuchungen als auch im Resümee als heuristisches Kriterium zur Einschätzung antiker Gewaltbereitschaft und Kriminalitätsstatistik.

Die Monografie gliedert sich in einen griechischen und einen römischen Teil, mit deutlichem Schwerpunkt auf letzterem (13-43 beziehungsweise 44-201). Der Teilabschnitt zur griechischen Kriminalgeschichte behandelt wiederum ausschließlich Athen und stützt sich dabei auf die neuere (englischsprachige) Forschungsliteratur zur Gewalt und Verbrechensbekämpfung. [1] Zur Illustration dienen in der Hauptsache die relevanten Textauszüge der attischen Gerichtsredner.

Teil eins diskutiert zunächst die Frage der Strafverfolgung, mit dem Ergebnis, dass an die Stelle einer signifikanten Polizeigewalt Selbst- und Nachbarschaftshilfe getreten sei; diese sei jedoch erstaunlich effektiv gewesen. Er wendet sich daraufhin einigen Grundlagen des Prozessrechts zu und weist auf dessen personalen Charakter, der seine Ursache im Rachebedürfnis hat, sowie auf die sozial unterschiedlichen Möglichkeiten von Klägern und Beklagten hin. Im Einzelnen behandelt werden Beleidigungen, Tötungsdelikte, Diebstahl und Sexualdelikte. Gewaltsam ausgetragene Konflikte seien weniger durch soziale Konflikte bedingt, als vielmehr von reichen Jugendlichen der Oberschicht provoziert worden.

Als Kriterium für die relativ niedrige Gewaltbereitschaft der athenischen Gesellschaft dienen der wohl nur wenig verbreitete Waffenbesitz sowie die Aufhebung der Blutfehde im weitgehend personalisierten Gerichtsverfahren.

Auch Teil zwei beginnt mit den Möglichkeiten polizeilicher Verfolgung im Römischen Reich, für die zumal in der Kaiserzeit im ländlichen Bereich die Armee, in letzter Instanz der Statthalter, im urbanen Bereich die städtischen Organe zuständig waren; jedoch blieb sie auch im staatlich verdichteten Imperium vielfach privater Initiative überlassen. Es folgt eine chronologische Darstellung der Rechtsorgane und Strafsanktionen. Obwohl außergerichtliche Einigungen überwogen haben mögen, sei doch die Frequentierung der Gerichte, schon bei Verbalinjurien, zunehmend und insgesamt im Vergleich mit vorindustriellen Gesellschaften hoch gewesen. Insbesondere wird, entgegen der communis opinio, die Spätantike als relativ gewaltfrei eingeschätzt. Diese allgemeine Auffassung erstreckt sich auch auf Quantität und Qualität der Todesstrafe, auf deren chronologischen Anstieg früheren Beiträgen zufolge die - allerdings eben nur als normativ zu verstehende - Gesetzgebung hindeutet.

Diese Grundthese der eher abnehmenden physischen Gewaltkonflikte infolge zunehmender rechtlicher Verdichtung durchzieht die Erörterung der einzelnen Gewaltkonflikte wie ein roter Faden (Tötungsdelikte, Diebstahl, Raubdelikte, Sexualdelikte). Mit ihren illustrativen Beispielen und Einzeldiskussionen bietet sie ein ansprechendes Bild der römischen Sozialgeschichte.

Diese inhaltliche Zusammenfassung deutet gleichzeitig die wichtigsten Ergebnisse an: Mit relativer Häufigkeit gingen Gewaltkonflikte im städtischen Bereich, und zwar sowohl in Griechenland als auch in Rom, von ausgelassenen Jugendlichen der Oberschicht aus, die anders als Frauen erst relativ spät Verantwortung in der familia übernahmen. Daneben spielte vor allem in der Kaiserzeit Sklavenkriminalität eine gravierende Rolle, die auf den insgesamt großen Anteil von Sklaven an der Bevölkerung zurückzuführen ist. Indes gab es keine abgegrenzte kriminelle Randgruppe, kein "Berufsverbrechertum", sondern vielmehr konnte ein sozial integrierter Bewohner bei günstiger Gelegenheit und aus verschiedenen Motiven heraus straffällig werden, und zwar weitgehend unabhängig von sozialer Zugehörigkeit. Insgesamt zeigt sich das Bild einer im Vergleich zu anderen vorindustriellen Gesellschaften relativ friedfertigen Antike. Hauptsächlicher Indikator dafür ist in Athen die funktionierende Selbst- und Nachbarschaftshilfe, in Rom das ausgeprägte Gerichtswesen.

Auf grundsätzliche methodische Schwierigkeiten, welche die Fragestellung mit sich bringt weist Krause ausführlich hin: Ein quantitativer Ansatz, der letztlich doch den Schlussteil bestimmt, ist aufgrund der Einseitigkeit der Quellen problematisch, obwohl auf ein vergleichsweise breites Quellenmaterial zurückgegriffen wird. Die Quellenangaben sind gut und repräsentativ ausgewählt, jedoch nicht immer vollständig und umfassend. Eine Reduktion auf den römischen Bereich, zumal der Spätantike, der sich für den Fachmann am aufschlussreichsten darstellen dürfte, wäre zu überlegen gewesen.

Die Kriminalgeschichte der Antike von Jens-Uwe Krause stellt insgesamt ein wichtiges Korrektiv zu jenen rechtshistorischen Arbeiten dar, die hauptsächlich für diesen Zeitraum die normative Ebene der Jurisprudenz betrachten. Ihre scharfsinnigen Einzeldiskussionen entsprechen der Qualität früherer Arbeiten des Verfassers. Mangels vergleichbar ausführlicher Untersuchungen muss sie innerhalb der deutschsprachigen Forschung als Grundlagentext für diese interessante Facette der antiken Kultur gelten.


Anmerkung:

[1] Vgl. etwa D. Cohen: Law, Violence and Community in Classical Athens, Cambridge 1995 und andere Arbeiten; S.C. Todd: The Shape of Athenian Law, Oxford 1993; M. Debrunner Hall: Even Dogs have Erinyes: Sanctions in Athenian Practice and Thinking, in: L. Foxhall / A.D.R. Lewis (Hg.): Greek Law in Its Political Setting. Justifications not Justice, Oxford 1996, 73-89.

Dirk Rohmann