Éva Knapp / Gábor Tüskés: Emblematics in Hungary. A study of the history of symbolic representation in Renaissance and Baroque literature (= Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext; Bd. 86), Tübingen: Niemeyer 2003, VII + 322 S., 80 s/w-Abb., ISBN 978-3-484-36586-5, EUR 68,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Susanne Strätling: Allegorien der Imagination. Lesbarkeit und Sichtbarkeit im russischen Barock, München: Wilhelm Fink 2005
Carsten-Peter Warncke: Symbol, Emblem, Allegorie. Die zweite Sprache der Bilder, Köln: Deubner Verlag 2005
Elisabeth von Samsonow: Fenster im Papier. Die imaginäre Kollision der Architektur mit der Schrift oder die Gedächtnisrevolution der Renaissance, München: Wilhelm Fink 2001
Diese Studie präsentiert zum ersten Mal in diesem Umfang einen gut informierten Einblick in die ungarische Emblematik und bietet eine willkommene und hilfreiche Ergänzung, die einen der Emblemforschung bislang weithin unbekannten und unzugänglichen Bereich erschließt. Es ist auch von Vorteil, dass der Band in englischer Sprache erscheint und damit die Forschungsergebnisse von Éva Knapp und Gábor Tüskès der internationalen Emblemforschung zugänglich macht. Einige der Kapitel sind überarbeitete oder übersetzte Versionen von früher in Tagungsbänden erschienenen Artikeln.
Unter "ungarischer Emblematik" oder genauer gesagt: "Emblematik in Ungarn" verstehen Knapp und Tüskès in erster Linie Emblembücher von Autoren ungarischer Herkunft, die zumeist in lateinischer, aber auch in ungarischer Sprache verfasst und publiziert wurden. Neben der Herkunft der Autoren ist die Qualifizierung teils eine geografische, d.h. nach Erscheinungsorten, wobei verhältnismäßig wenige Emblembücher in Ungarn selbst gedruckt wurden, teils eine rezeptionsgeschichtliche, worunter Adaption und Übersetzung populärer, darunter besonders jesuitischer Emblembücher ins Ungarische zu verstehen sind. Diese Qualifizierungen tragen der Emblematik als gesamteuropäischem Phänomen Rechnung, das über nationale und nationalsprachliche Grenzen hinaus als Medium moralphilosophischer Maximen, aber auch als Quelle politischer Ikonografie rezipiert wurde.
Im ersten Kapitel, das die theoretische Grundlage für die Studie legen soll, geben die Autoren eine generelle Einleitung zum Stand der Emblemforschung. Das zweite Kapitel untersucht die Rolle der Emblematik im Kontext der ungarischen Literaturtheorie und unternimmt eine Ableitung einer zeitgenössischen Emblemtheorie aus Einleitungen zu Emblembüchern ungarischer Autoren. In den folgenden Kapiteln gehen die Autoren - ganz gemäß ihrer Emblem-Definition im Einleitungskapitel - weit über die Buchemblematik hinaus. Sie berücksichtigen unter anderem in Kapitel VI die emblematische Elemente in der manieristischen Dichtung, am Beispiel von János Rimay, und in Kapitel VII im Schuldrama, wobei besonders das jesuitische Schuldrama hervorgehoben wird. In den Kapiteln VIII und IX untersuchen Knapp und Tüskès Beispiele emblematischer Predigtweise und hagiografische Werke. Das X. Kapitel schließlich bietet die Fallstudie eines ikonografischen Programms am Beispiel des Jesuitenkollegs in Győr.
Der Anhang enthält einen reichhaltigem Abbildungsteil sowie Tafeln und Statistiken zum Buchbesitz in ungarischen Jesuitenkollegs. Daneben finden sich Listen von Emblembüchern und anderen emblematischen Druckwerken, die von ungarischen Autoren verfasst, kompiliert oder übersetzt wurden oder die sich sonst auf Ungarn beziehen oder in Ungarn starke Verbreitung hatten. Darunter finden sich, wie die Autoren in einer Anzahl repräsentativer Listen dokumentieren können, in ungarischen Bibliotheken volkssprachliche Ausgaben von in ganz Europa weit verbreiteten Emblembüchern, z. B. Saavedra oder van Haeften. Anhand der Titel lateinisch- oder volkssprachlicher Emblembücher, darunter auch vieler deutschsprachiger Ausgaben, die in Ungarn - zumal an den Jesuitenkollegs - rezipiert wurden, erschließt sich, dass der weitaus größte Teil der nachweisbaren Texte in lateinischer Sprache erschien und gelesen wurde. Gemäß der Darstellung von Knapp und Tüskès sind gut ein Drittel der in Ungarn nachweisbaren Emblembücher jesuitischen Ursprungs - ein Ergebnis, das kaum überrascht, wenn man den historischen Einfluss des Jesuitenordens in Mittel- und Osteuropa in Betracht zieht. Drexel, Hugo und Engelgrave zählen erwartungsgemäß zu den populärsten Autoren. Kapitel III zeichnet diese Rezeptionsgeschichte und die Rolle des Jesuitenordens in der Verbreitung der Emblematik in Ungarn nach. Hier ist anzumerken, dass die Autoren historisches Wissen, zumal zur komplizierten Geschichte Ungarns und des Habsburgerreiches im 17. und 18. Jahrhundert, voraussetzen.
Das IV. Kapitel bietet eine Bestandsaufnahme emblematischer Formen, die in Ungarn verbreitet waren, beginnend mit den so genannten "protoemblematischen" Werken, darunter vor allem Tabula Cebetis-Editionen und -Übersetzungen, gefolgt von Fürstenspiegeln und anderen "emblemata politica". Im V. Kapitel, das sich einem der wichtigsten Emblembuchautoren ungarischer Herkunft, János Zsámboky oder latinisiert Joannes Sambucus, widmet, wird der Einfluss auf Geoffrey Whitney und dessen "A Choice of Emblems" von 1586 nachgezeichnet. Diese Rezeptionsgeschichte ist ein gutes Beispiel für die gesamteuropäische, über Länder- und Sprachgrenzen hinausreichende Tendenz der Emblematik. Gerade Sambucus' Embleme wurden über Ungarn hinaus stark rezipiert, z.B. von Nicolas Reusner, Hadrianus Junius, Joachim Camerarius oder Charles Mignault, und wurden oft als Stammbücher verwendet.
Emblematische und allegorische Elemente in der manieristischen Dichtung werden im VI. Kapitel anhand der Lyrik des János Rimay im Kontext der literarischen und rhetorischen Traditionen untersucht. Dabei handelt es sich um eine rein literarische Form der Emblematik ohne die Pictura, deren Funktion von einer Bildbeschreibung oder Ekphrasis übernommen wird - eines der vielen Beispiele solcher allegorisierender Dichtung, die bereits Schöne für das deutsche Barockdrama und Daly für die Gedichte Greiffenbergs untersucht haben.
Kapitel VII beschreibt emblematische Motive im Schuldrama, und hier besonders im jesuitischen Schultheater und der zeitgenössischen Dramentheorie. Die Quellenlage rechtfertigt diese Konzentration auf die Einrichtungen der Jesuiten, doch es steht aber zu bedenken, dass in den freien Städten protestantische Gruppen der Gegenreformation konstanten Widerstand entgegensetzten, was sich gerade auch in der Gründung von Schulen und Akademien ausdrückte. Es wäre daher aufschlussreich zu untersuchen, ob z. B. Kristóf Lackner, der in dieser Studie trotz seiner einflussreichen Arbeit nur sporadisch erwähnt wird, in seinen Dramen für die protestantische Schule in Sopron (Ödenburg) ähnlich wie die Jesuitendramen von emblematischen Formen Gebrauch machte. Gerade Sopron, wo 1636 im Zuge der von Eszterházy massiv unterstützten Gegenreformation ein Jesuitenkolleg eingerichtet wurde, hatte wie andere Freistädte eine starke protestantische Tradition, die sich unter anderem in Lackners Entwurf der emblematischen Rathausdekoration manifestierte.
Kapitel VIII zeigt anhand von Beispielen und Bemerkungen in Vorworten die rhetorische Verwendung allegorisierender Bildlichkeit in der emblematischen Predigtweise einiger ungarischer Autoren auf. Auch in der religiösen Prosa, besonders in der hagiografischen Literatur, identifizieren Knapp und Tüskès emblematische oder allegorische Motive. Im abschließenden X. Kapitel wird die Anwendung emblematischer Motive in der Architektur anhand der Ausstattung des Treppenhauses im Jesuitenkolleg in Győr vorgestellt.
Die Stärke dieser Studie liegt im Aufweis der verschiedenen Formen emblematischen Ausdrucks, die in der ungarischen Literatur, Kultur und den Bildungsinstitutionen im Ungarn der Frühen Neuzeit zu finden sind. Es gelingt den Autoren, die Relevanz dieses kulturellen Reichtums für die europäische Emblematik aufzuzeigen. Weniger überzeugend hingegen ist der ambitionierte Anspruch, mit diesem Material neue Wege für die Emblemtheorie einzuschlagen. Die einzelnen Analysen weisen einige Unschärfen in der Definition der Gattung und im Verständnis der verschiedenen rhetorischen Formen auf, besonders dort, wo angebliche Defizite der bisherigen Forschung zur Emblemtheorie aufgezeigt werden sollen. Pauschale Bemerkungen wie diese: "Emblem research is at present beset by a whole welter of different methodologies and approaches; there is no established or agreed technical lexicon for describing and analysing emblematic material; and the hermeneutics and semiotics of literature in the early modern period are widely ignored by students of the emblem" (244) finden sich in beinahe jedem Kapitel und bilden die Basis für die Forderung der Autoren nach einem neu zu definierenden Emblembegriff.
Die Kritik der Autoren am heutigen Stand der Emblematikforschung, die sich durch das ganze Buch zieht, mag für die ungarische Literaturgeschichtsschreibung angebracht sein, wird aber der internationalen Emblemforschung der letzten 30 Jahre nicht gerecht. Der von Henkel und Schöne postulierte Idealtypus des Emblems ist inzwischen längst abgelöst durch inklusive Definitionen, die den vielfachen Erscheinungsformen des Emblems besser gerecht werden. Ungeachtet dessen ist die Grunddefinition des Emblems als einer bi-medialen Sonderform der Allegorie mit der dreiteiligen Struktur von Lemma, Pictura und Epigramm allgemein akzeptiert. Die Einschätzung der Autoren hingegen, die gegenwärtige Emblemforschung sei uneinheitlich und inkongruent und ignoriere die Grundlagen der frühneuzeitlichen Rhetorik, ist umso erstaunlicher, als Knapp und Tüskès mit den wichtigsten Arbeiten zur Emblemtheorie durchaus vertraut scheinen.
Insgesamt bietet die materialreiche Studie jedoch einen guten Einblick in die Rezeption emblematischer Formen in einer Nationalliteratur, die in der internationalen Emblemforschung bislang zu Unrecht unterrepräsentiert war.
Sabine Mödersheim