Hans-Ulrich Thamer: Die Französische Revolution, München: C.H.Beck 2004, 123 S., 7 Abb., ISBN 978-3-406-50847-9, EUR 7,90
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Mit der Parole 'Alles, was man wissen muss...' wirbt der Beck-Verlag für seine Reihe 'C. H. Beck Wissen', die konzentrierte Information (auf jeweils rund 125 Seiten) für wenig Geld verspricht. Für den mit Blick auf die zu bewältigende Fülle an Primär- und Sekundärliteratur ambitioniert zu nennenden Band über 'Die Französische Revolution' hat der Verlag den Münsteraner Historiker Hans-Ulrich Thamer gewonnen. Und, um es gleich vorweg zu nehmen: Dem Autor, zu dessen Forschungsschwerpunkten die Ideen- und Sozialgeschichte Frankreichs im 18. und 19. Jahrhundert gehört, ist hier eine ungemein dichte, präzise Darstellung auf hohem wissenschaftlichen, analytischen und sprachlichen Niveau gelungen.
Thamer folgt bei seinen Ausführungen dem Prinzip, die "Perspektiven und Ereignisse einer neuen Politik- und Kulturgeschichte, die Varianten ihrer Deutungs- und Erinnerungsgeschichte entlang einer Erzählung der Ereigniskette Französische Revolution vorzustellen" (9), kurz, er sucht chronologische und systematische Darstellungen zu verknüpfen.
In Anlehnung an die neueste historische Forschung, deren wichtigste Fragestellungen und Untersuchungsansätze er kurz vorstellt, definiert Thamer einleitend die Französische Revolution als "Laboratorium der Moderne" (7) und betont, die Wirkungsmacht der Revolution zeige sich vor allem im Bereich des politischen Lebens, das, weitaus stärker als die Bereiche Wirtschaft und Gesellschaft, von Umsturz, Innovation und vom Bruch des Bestehenden betroffen gewesen sei. Die historisch-politische Bedeutung der 'Großen' Französischen Revolution als "Gründungsereignis für eine demokratische politische Kultur" (9), das die Entwicklung von Verfassungen und neuen Formen der Herrschaftslegitimation sowie die Proklamation von Menschen- und Bürgerrechten hervorgebracht habe, reiche bis in die Gegenwart. Thamer unterschlägt dabei nicht, dass der Komplexität der Ereignisse eine nicht selten in den Dienst politischer Instrumentalisierung und traditionsstiftender Legitimation gestellte Rezeptionsgeschichte entspricht.
Die Vielschichtigkeit möglicher und tatsächlicher Revolutionsursachen stellt der Autor in präziser Reduktion und einer an den neuesten Forschungsstand angelehnten Gewichtung dar. Dabei konstatiert er ein Zusammenspiel unterschiedlicher wirtschaftlicher, sozialer, demografischer und kultureller Veränderungen und Krisenherde, denen das politische System mit seinen strukturellen Schwächen und der eben darin angelegten Reformunfähigkeit nicht mehr gewachsen war. Erst die Revolution, so Thamer, habe mit ihrer "Grunderfahrung" der "Machbarkeit und Planbarkeit" (21) schließlich das Prinzip einer vormodernen Herrschaftsordnung, nämlich überkommene Institutionen und Bräuche neben neu Entstehendem zu erhalten, zu verändern vermocht.
Die Ereignisse des Sommers 1789 konzis nachzeichnend und analysierend, führt Thamer dann die drei unterschiedlichen Revolutionszentren - Versailles, Paris und das platte Land - im Einzelnen und in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit vor. Den Textkompromiss der Menschen- und Bürgerrechtserklärung vom 26. August 1789 beschreibt der Autor als "den gelungenen Versuch [...], abstrakte Prinzipien der Aufklärung in die Form eines präzisen und einprägsam formulierten Gesetzestextes zu gießen" (39). Die Dynamisierung der revolutionären Bewegung habe sich schließlich vor allem unter dem Wechselspiel sich gegenseitig antreibender Konfliktherde vollzogen: dem Ausbruch und einem durchweg an absolutistischen Macht- und Expansionsbestrebungen orientierten Fortgang des Krieges und inneren Spannungen, die sich unter anderem in Mord- und Gräueltaten an (vermeintlichen) Revolutionsgegnern entluden. Krieg-, Bürgerkrieg und eine durch journalistische Agitation politisierte Teuerungskrise bildeten fortan die drei großen Problemfelder des revolutionären Frankreich. Zum Verhältnis von Idee und praktischer Politik stellt Thamer am Beispiel der Terreur fest: "Nicht eine Ideologie hat zur Terreur geführt, sondern die Praxis der Terreur hat am Ende zur vorübergehenden Herrschaft einer Ideologie geführt" (87 f.).
Der "politischen Kultur der Revolution" widmet Thamer ein eigenes, systematisch angelegtes Kapitel. Er skizziert darin die in den Dienst des Anspruchs auf eine "allumfassende Umwälzung" gestellte "Dekomposition oder Transformation der alten Ordnung und tradierter Wertmuster, der überkommenen Sozialbeziehungen und sozialen Formationen" (90). Dass die Politisierung der Bevölkerung sich auf unterschiedlichem Wege und mit unterschiedlichen Mitteln vollzog, beschreibt der Autor klar strukturiert, er benennt die Möglichkeit, über die Teilnahme an politischen Versammlungen und Wahlen an der Ausübung der politischen Macht zu partizipieren, die Etablierung politischer Klubs und so genannter Volksgesellschaften, in denen der politische Diskurs trainiert und zugleich mit seiner Ausübung eine Auslese für die politische Führungselite betrieben wurde, die Produktion und große Verbreitung von Presse- und Bilderzeugnissen und schließlich die Abhaltung streng choreografierter, im Dienst von Identitätsstiftung und Volkserziehung stehender Revolutionsfeste.
Auf den eingangs eingeschlagenen Weg der Orientierung an der Ereignisgeschichte der Revolutionszeit kommt Thamer in seinem letzten Kapitel noch einmal zurück. Er konstatiert für die Zeit nach dem Sturz Robespierres eine dauerhafte Kluft zwischen "deklamatorischem Anspruch und der Verwirklichung der Politik der Stabilisierung" (105), erst mit dem Staatsstreich vom 18. Brumaire 1799 habe sich ein mittlerer Weg angedeutet, und zwar, indem "sich Napoleon mit der Revolution nach außen identifizierte, andererseits sich den Mantel des militärischen Helden und charismatischen Retters überwarf" (109). Zugleich aber sei nun auch der Weg frei gewesen für die Etablierung eines Polizeistaates und die Erweiterung der Selbstdarstellung der Grande Nation um militärisch-imperialistische Züge.
Thamer hat die Fülle der Ereignisse klug disponiert und die zahlreichen Deutungsperspektiven mit sicherer Hand und ohne sich zu verzetteln zusammengetragen. Unterstellt man, dass der Verlag mit der mittlerweile vielbändig vorliegenden Reihe zwar eine wissbegierige, aber nur mäßig vorinformierte Leserschaft anvisiert, stellt die Lektüre des Buches dennoch eine Herausforderung dar. Einige praktische Erleichterungen wären - von Seiten des Autors, aber vielmehr noch von Seiten des Verlags - sicher hilfreich gewesen: Zwar enthält der kleine Band im Anhang eine mehrere Seiten umfassende, klar strukturierte Zeittafel und eine sehr gut kommentierte Auswahlbibliografie, das Buch verliert aber durch einige 'Unpässlichkeiten' ein wenig an praktischem Wert, so unter anderem durch den Versuch, die Kapitelüberschriften zu literarisieren. Titel wie 'Die Rekonstruktion Frankreichs' oder 'Die Terreur: revolutionäre Verteidigung oder Herrschaft der Ideologie'" sind als vorgängige Inhaltsinformation wenig brauchbar. Dass das Inhaltsverzeichnis die Unterkapitel nicht wiedergibt, ist ein Manko. Ein weiteres Problem bei der Lektüre stellt mitunter die Verwendung von Eigennamen ohne Kommentierung oder Spezifizierung dar. Auch die Konsultation des Personenregisters hilft in diesen Fällen nicht weiter, denn es verweist lediglich auf andere Textstellen, an denen der Genannte aber ebenfalls ohne eine Apposition, die seine Verortung im Personal der Revolutionszeit ermöglicht, auftaucht. Das Sachregister enthält bedauerlicherweise einige Leerstellen, so fehlen hier etwa so wichtige - und im Text selbstverständlich auftauchende - Begriffe wie Konstituante oder Commune. Es werden andererseits für aufgenommene Begriffe nicht alle Fundstellen verzeichnet, wie beispielsweise im Fall des "Jakobinerklubs", der gerade mit den Seiten, auf denen er ausführlicher beschrieben wird (94 f.), im Register nicht vertreten ist. Die im Text zitierte Primär- und Sekundärliteratur ist, dem Reihenprinzip entsprechend, nicht mittels Fußnoten, sondern durch abgekürzte Autorennennung nachgewiesen. Da es aber kein alphabetisches, sondern 'nur' ein systematisches Literaturverzeichnis gibt, muss man mitunter lange suchen, um den im laufenden Text zitierten Autor und sein Werk darin zu finden. Schließlich: Die mit einem Thema wie diesem verbundene spezifische Begrifflichkeit verlangt im Grunde nach einem Glossar, wie es in einer ganzen Reihe von Beck-Wissen-Bänden eingerichtet ist. All diese Kritik am Formalen aber, das sei abschließend deutlich gesagt, vermag die Autorenleistung kaum zu schmälern.
Heike Wüller