Armin Krauß: Tempel und Kirche. Zur Ausbildung von Fassade und "portail" in der französischen Sakralarchitektur des 17. und 18. Jahrhunderts, Weimar: VDG 2003, 349 S., 177 Abb., ISBN 978-3-89739-260-1, EUR 46,00
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Eine neue Dissertation zum Thema der Kirchenfassade im französischen "Age Classique" muss zwangsläufig auf hohe Erwartungen und großes Interesse stoßen. Die Forschungslage zu diesem wichtigen Thema der frühneuzeitlichen Sakralarchitektur steht in geradezu kontradiktorischem Verhältnis zu seiner kunsthistorischen Bedeutung. [1] Während zu den römischen "Reliefierten Kirchenfronten" [2] eine neuere Darstellung vorliegt, wartet man seit Langem auf eine fundierte Untersuchung zum Sakralbau im Reich des "Roi tout chrêtien".
Die Arbeit behandelt, was bei einer Dissertation von praktikablem Umfang durchaus plausibel erscheint, nur einen Teilbereich des weiten Themenkomplexes, nämlich jene Kirchenfassaden, die das Motiv des antiken Tempelfrontispizes aufgreifen. Fiele diese Stichprobe beim deutschen Kirchenbau der Epoche vergleichsweise mager aus, so stellt der Autor im Klappentext zu Recht fest: "Der Dialog zwischen Kirchenfassade und Tempelfront stellt innerhalb der französischen Sakralarchitektur des 17. und 18. Jahrhunderts ein durchgehend bedeutendes Thema dar. Dennoch wurde der Versuch, dieses Thema im Zusammenhang darzustellen, bislang nicht unternommen."
Krauß tritt mit seiner die Kontinuitätsaspekte betonenden Untersuchung somit einer Lesart entgegen, welche die plakativen Tempelassoziationen der Sakralbauten des Aufklärungszeitalters - z. B. Soufflots 1764 begonnene Ste-Geneviève (das spätere Panthéon) oder die erst 1842 vollendete Madeleine-Kirche - als radikalen Bruch mit der bisherigen französischen Tradition deutet (15). Erklärtes und erreichtes Ziel des Autors ist es, eine 150-jährige Rezeption nicht auf die "Vorgeschichte" einer immer exakteren Annäherung an die klassischen Vorbilder zu reduzieren, sondern jeden Lösungsvorschlag als für seine Zeit typische, gleich gültige und authentische Interpretation des Motivs plausibel zu machen.
Der Autor beginnt seine Untersuchung mit der Bemerkung, dass die in heutigen Ohren geradezu antagonistischen Begriffe Tempel und Kirche im Untersuchungszeitraum vor allem in den romanischen Sprachen noch mehrheitlich synonym verwendet wurden (11-14). Die Frage, ob der Tempelgiebel somit als "rhetorisches" Analogon für "Kirche", als Würdemotiv bzw. "Pathosformel" (14, 208) oder aber als eindeutige Antikenrezeption intendiert war, wird zwar angerissen (30), aber - wahrscheinlich zutreffend - nicht eindeutig entschieden. Die konfessionelle Frage - z. B. die geläufige Benennung "temple" statt "église" für die Kirchen der Hugenotten - wird nicht berührt.
Die Verwendung eines genuin antikisch-paganen Motivs als konstituierendes Element des christlichen Sakralbaus führt zu einer doppelten Betrachtungsweise: Der Kenntnis- bzw. Diskussionsstand der französischen Antikenforschung dürfte, so die nahe liegende Kernthese des Autors, nicht ohne Einfluss auf die Verwendung des Säulenperistyls in der gleichzeitigen Kirchenbaukunst geblieben sein.
Krauß gliedert sein Buch daher in zwei Abteilungen: Die erste (19-100) behandelt "Die Tempelvorhalle der Antike und das Systemkonzept der Säulenordnungswand". Die zweite (101-222) gilt dem eigentlichen Hauptthema: "Der Tempelportikus als Fassadenmotiv im französischen Kirchenbau des 17. und 18. Jahrhunderts" (Krauß entscheidet sich für die germanisierte, männliche Form des femininen lateinischen Terminus, was hier beibehalten wird).
Der zentrale und fruchtbare Begriff des ersten Teils ist die von Krauß so genannte "Säulenordnungswand": Er legt den Finger in die unheilbare Wunde des gesamten frühneuzeitlichen Vitruvianismus, welcher nämlich stets versuchte, den idealen Gliederbau des antiken Peristyls mit den Erfordernissen eines nur dekorativ durch Vorlagen geschmückten Wandbaus zu versöhnen. Während beim griechischen Tempel der Säulenkranz als isoliertes Element um die glatte Cella gelegt ist, versteht die Neuzeit vorspringende Architekturelemente als räumliche Projektionen einer gemäß eigener Logik und praktischen Erfordernissen (z.B. durch Öffnungen) gegliederten massiven Rückwand.
Im zweiten Teil bespricht Krauß mehrere Beispiele des französischen Sakralbaus, die gemäß seiner sehr strengen Lesart des "Tempelportikus als Fassadenmotiv" ausgewählt wurden: Der Autor zieht eine Linie von der Sorbonne-Kirche Lemerciers (Hoffassade, ab 1635) über Val-de Grace (Mansart, ab 1645) und das Collège des Quatre-Nations (Le Vau, ab 1663) bis zum Panthéon Soufflots und konfrontiert diese Bauwerke mit der zeitgenössischen theoretischen Diskussion Fremins, Cordemoys, Desgodets und anderer. Eine interessante Erweiterung des Gesichtskreises bieten die nicht zur Realisation bestimmten Wettbewerbsprojekte der französischen Akademien in Rom und Paris.
Auswahlkriterium ist jeweils das Vorhandensein einer von der "Säulenordnungswand" sich lösenden eingeschossigen Peristylvorhalle mit Dreiecksgiebel. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass viele Hauptwerke der französischen Kirchenfassade wie St-Gervais (De Brosse, ab 1616), der Dôme des Invalides (Hardouin-Mansart, ab 1676) oder St-Sulpice (Servandoni, ab 1733) gar nicht oder nur als periphere Vergleichsbeispiele diskutiert werden. Krauß nimmt somit eine Auswahl vor, welche die von ihm proklamierte kontinuierliche "Entwicklungslinie" relativ willkürlich aufgrund eines formalistisch definierten, isolierten Bauelements aus ihrem historisch-ästhetischen Kontext löst.
Es bleibt zu fragen, welche allgemeinen und über die konkrete Fragestellung hinausweisenden Erkenntnisse hierdurch für den Gegenstand zu gewinnen sind. Die Kritik an der "unehrlichen" Säulenordnungswand wurde ja nicht nur durch den Vergleich mit dem griechischen Tempelbau begründet, sondern gewann in der Theoriedebatte des 18. Jahrhundert (z. B. Laugier) geradezu topischen Charakter. Andererseits ist zu fragen, mit welcher Begründung man das Motiv des Portikus als Kirchenfassade allein an französischen Beispielen untersuchen sollte: Durch die römischen Akademiewettbewerbe und klassizistische Tendenzen in England (London, St.-Martin-in-the-Fields, ab 1722), Deutschland (Berlin, Hedwigskirche, ab 1747) oder Dänemark (Kopenhagen, Friderikskirken, ab 1749, Abb. 150) ist die Frage der Antikenrezeption im Sakralbau spätestens ab 1700 eine internationale.
Schließlich kann auch die isolierte Betrachtung des Tempelmotivs allein beim Kirchenbau nicht überzeugen: Spätestens seit der Louvre-Ostfassade Claude Perraults (ab 1665, Abb. 107) war das Frontispiz in Frankreich nicht mehr eindeutig sakral konnotiert: Welche Rückwirkungen hatte eine solche Verwischung der Sphären von Kirche, Tempel und Palast auf ein ursprünglich sakrales, antikisch-nobilitierendes Motiv? Schon Palladio relativierte dessen Signifikanz durch seine Villenentwürfe (Abb. 76), wohingegen der Portikus seit der Aufklärungszeit als Erkennungszeichen für "Kulturtempel" (z. B. Lindenoper Berlin, Knobelsdorff ab 1741, Fridericianum Kassel, du Ry ab 1769) und Bildungsanstalten (z. B. Ecole militaire Paris, Gabriel ab 1767) eine profane Renobilitierung erfuhr.
Das Buch von Krauß erscheint somit in vielerlei Hinsicht zu eng fokussiert. Sicher ist eine Fragestellung "Pars pro toto" methodisch zu rechtfertigen, doch sollte durch die genaue Untersuchung des Einzelnen zuletzt auch ein neues Licht auf das Ganze fallen.
Autor und Verlag machen es dem Leser nicht gerade leicht, sich für die spröde Materie zu begeistern. Der Band ist mit 177 Abbildungen zwar reichlich ausgestattet, aber es handelt sich samt und sonders um schwarz-weiße Strichzeichnungen, meist zeitgenössische Risse und Schaubilder. Diese Blätter sind, dem A-5-Format des Buches geschuldet, oft so stark verkleinert reproduziert, dass z. B. die ausführlich diskutierte Kirchenfassade auf einem Idealentwurf Gabriels für die Pariser Ecole militaire gerade einmal 5 x 5 mm einnimmt (200 f., Abb. 152, Bildmitte).
Der Text ist sehr konzentriert, verlangt dieselbe Tugend aber auch vom Leser. Manchmal nimmt der Anmerkungsteil größeren Seitenumfang an als der Haupttext, was zum ständigen Hin- und Herblättern nötigt, da beide voneinander getrennt abgedruckt sind, und meist nur die Fußnoten die notwendigen Basisinformationen zur Bau- und Publikationsgeschichte der besprochenen Werke liefern. Der Abbildungsteil ist ebenfalls separiert, obwohl kein technischer Grund (z. B. Kunstdruckpapier) hierfür zu erkennen ist. Wie so oft wurde leider auch hier auf ein Register verzichtet, was die Benutzbarkeit des Buches zusätzlich und unnötig erschwert.
Der Band ist für heutige Verhältnisse ausgesprochen sorgfältig redigiert, was hinsichtlich eines nicht gerade um Simplizität bemühten Sprachduktus des Autors angemessen erscheint.
Gemessen an den (vielleicht zu hohen) Erwartungen enttäuscht das Buch, auch wenn es einen in anderem Zusammenhang formulierten Anspruch zweifellos erfüllt: "Während das Phänomen als solches oft genug konstatiert und kommentiert worden ist, soll im Folgenden der Versuch einer diversifizierten [gemeint ist: differenzierten?] Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Fassadentypus unternommen werden." (209, Anm. 2). Krauß präsentiert keine fundamental neue These, sondern eine detailgenaue, sorgfältige belegte und durchgearbeitete, letztlich aber doch periphere Spezialuntersuchung. Wer ihm auf genau diesen Spuren folgen will, findet eine materialreiche und gelehrte Studie, die vielleicht besser den Untertitel tragen sollte: "Probleme des akademischen Vitruvianismus in Theorie und Praxis, dargestellt am Beispiel des Tempelfrontispizes im französischen Sakralbau des 17. und 18. Jahrhunderts." Das "große Thema" selbst aber, die französische Kirchenfassade, wird bis auf Weiteres ein einladend unbeackertes und somit viel versprechendes Forschungsfeld bleiben.
Anmerkungen:
[1] Als aktuelles Überblickswerk vgl. Michael Hesse: Die Klassische Architektur in Frankreich. Kirchen, Schlösser, Gärten, Städte 1600-1800, Darmstadt 2004, bes. 7.
[2] Hermann Schlimme: Die Kirchenfassaden in Rom: "Reliefierte Kirchenfronten" 1475-1765 (Diss. Braunschweig 1998), Petersberg 1999.
Meinrad von Engelberg