Wigbert Benz: Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2005, 112 S., ISBN 978-3-86573-068-8, EUR 16,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Ulrich Straus: The Anguish of Surrender. Japanese POWs of World War II, Seattle: University of Washington Press 2004
Viktor Krieger: Bundesbürger russlanddeutscher Herkunft. Historische Schlüsselerfahrungen und kollektives Gedächtnis, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2013
Barbara Haider-Wilson / William D. Godsey / Wolfgang Müller (Hgg.): Internationale Geschichte in Theorie und Praxis / International History in Theory and Practice, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2017
Die Historiografie über den Nationalsozialismus hat seit längerem die Vorteile biografischer und kollektiv-biografischer Forschungen erkannt und genutzt. In der Täterforschung erlaubt der individuelle bzw. gruppenspezifische Zugang neue Erkenntnisse über das mentale, lebensgeschichtliche sowie ideologische Rüstzeug nationalsozialistischer Eliten und Handlanger. Darüber hinaus gewährt die biografische Gesamtschau zusätzliche Einblicke in verstörende Karrieren und personelle Kontinuitäten vom 'Dritten Reich' bis weit in die Bundesrepublik hinein. [1] Dieser Forschungsansatz lässt sich auf immer neue Berufs- oder Gesellschaftsgruppen ausdehnen.
Aus dieser doppelten Perspektive heraus ist es fast schon verwunderlich, dass Paul Karl Schmidt bislang noch keinen eigenen Biografen gefunden hatte. Schmidt, geboren 1911, trat 1931 in die NSDAP ein und engagierte sich ab 1932 im NS-Studentenbund. Er promovierte 1936 in Psychologie und trat 1938 eine Tätigkeit in der Presse- und Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amts an. Bereits im Oktober 1940 avancierte er zum Abteilungsleiter, also zum Pressechef von Außenminister Ribbentrop, und blieb es bis 1945. Am 6. Mai 1945 wurde er in amerikanischen Gewahrsam genommen und durchlief mehrere Lager.
Mit Verhören im Kontext des "Wilhelmstraßenprozesses" (1947-1949) war für Schmidt die Vergangenheitsbewältigung zunächst einmal abgeschlossen. Ab 1949 erstellte er zusammen mit anderen ehemaligen Kollegen der Presseabteilung im Dienste des US-Geheimdienstes Propagandabroschüren zum Marshallplan und zur Europäischen Einigung. Zugleich engagierte sich Schmidt 1953 im Wahlkampf für die in Teilen 'angebräunte' FDP.
Wirkliche Bekanntheit und weiten Einfluss aber erreichte Schmidt unter dem Namen Paul Carell als Autor zahlreicher sich populärwissenschaftlich gebender Darstellungen zum Nationalsozialismus und zum Zweiten Weltkrieg, die bis heute viele Auflagen und Übersetzungen erlebt haben. [2] Ein Generalthema seiner Schriften war die angeblich untadelige Kriegführung der Wehrmacht an West- und Ostfront, ein anderes die Deutung des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion als Präventivkrieg gegen den Bolschewismus, der letztlich zum Nutzen Europas erfolgt sei (91-94). Derartige Schriften erfuhren in den 1950er- und 1960er-Jahren etwa auch im SPIEGEL begeisterte Anerkennung. Die publizistische Nachkriegskarriere Schmidts war wie die zahlreicher Anderer indes nicht nur literarischem Talent und eigenem Hintergrundwissen, sondern auch funktionierenden Netzwerken "Ehemaliger" in der bundesdeutschen Presselandschaft geschuldet. Hierfür steht u. a. Horst Mahnke, ehemals enger Mitarbeiter von Franz Alfred Six im SD, später Ressortchef beim SPIEGEL, Chefredakteur der Springer-Zeitschrift "Kristall" und Geschäftsführer des Redaktionellen Beirats im Springer-Konzern. [3] Schmidt nutzte vor allem die enge Bindung an das Presse- und Verlags-Imperium Axel Springers, das Werke Schmidts immer wieder druckte, verlegte und mit verkaufsförderndem Lob versah. Politische und persönliche Affinitäten führten dazu, dass Schmidt einige Jahre als politischer Berater Springers fungierte, bevor er ab Ende der 1960er für die Sicherheit des Verlegers verantwortlich zeichnete. Die enge Beziehung lebte ganz unweigerlich auch davon, dass beide in althergebrachter Tradition in der UdSSR ihren herausragenden Feind erblickten (103-106). Paul Schmidt verstarb 1997.
Die kleine Schrift von Wigbert Benz versteht sich nicht als umfassende Biografie Schmidts, sondern will anhand zentraler Quellen und der Forschungsliteratur dessen Laufbahn vom Nationalsozialismus bis in den Springer-Konzern nachzeichnen (7 f.). Für die Zeit vor 1945 stellt Benz den tatsächlichen Einfluss Schmidts auf die Auslandspropaganda heraus, den dieser selbst nach 1945 als wesentlich geringer darzustellen versuchte. Als Abteilungsleiter hatte Schmidt sich u. a. auch im Vorfeld der - negativen - Antwort Hitler-Deutschlands auf eine Schweizer Bitte um eine Ausreisegenehmigung für rund 5.000 jüdische Kinder nach Palästina zu äußern. Besonderen Wert legt Benz vor allem auf Schmidts selbstständige zynische Vorschläge zur propagandistischen Abfederung der Ermordung der ungarischen Juden, die indes keine Beachtung fanden. Beide Komplexe spielten ab 1965 in Ermittlungen der Staatsanwaltschaft beim LG Verden eine Rolle, die 1971 eingestellt wurden; die Öffentlichkeit hat von den Ermittlungen gegen den Bestseller-Autor offenbar keine Notiz genommen.
Wichtiger ist Benz für die Jahre ab 1945 aber der Anteil Schmidt-Carells an der Prägung deutscher Geschichtsbilder. Neben der bereits erwähnten Klitterung zum "Unternehmen Barbarossa" widmet sich Benz vergleichsweise ausführlich den Veröffentlichungen Schmidts zum Reichstagsbrand. Die von der Forschung seit den 1960er-Jahren favorisierte These von der Alleintäterschaft van der Lubbes zieht Benz hier in Zweifel, ohne aber eine ausführliche Widerlegung zu versuchen. Stattdessen gerät ihm dieser Abschnitt zu einer recht polemischen Auseinandersetzung mit einzelnen Institutionen und Forschern. Dieser Gefahr erliegt die Darstellung auch in anderen Kapiteln: Im Extremfall verlässt der Text den Boden jeder sachlichen Auseinandersetzung und versteigt sich zu in dieser Form inakzeptablen Aussagen, wie bei der Auseinandersetzung mit der Behandlung von Carells Ungarn-Initiative in Peter Longerichs Dissertation über die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes (46 f.). Um die Person Schmidts scheint es in diesen Passagen gar nicht mehr zu gehen.
Dem Buch wäre nicht nur an diesen Stellen eine genaue Überarbeitung zu wünschen gewesen. Neben sprachlichen Unschärfen stellen zahlreiche inhaltliche Wiederholungen den Leser auf eine harte Probe.
Auf diese Weise hat die Arbeit von Wigbert Benz die Person Paul Karl Schmidt zu Recht zurück in das Blickfeld der Forschung gebracht und wertvolle Hinweise zu Leben und Wirken gegeben. Eine angemessene Biografie des Pressechefs Ribbentrops und Erfolgsautors steht allerdings noch aus.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, Bonn 1996; Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002. Aktuell: Martin Cüppers, Wegbereiter der Shoah. Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer-SS und die Judenvernichtung 1939-1945 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart 4), Darmstadt 2005.
[2] Im Literaturverzeichnis von Benz fehlt: Paul Carell zusammen mit Günter Böddeker, Die Gefangenen. Leben und Überleben deutscher Soldaten hinter Stacheldraht, Frankfurt/Main 1980.
[3] Zum SPIEGEL vgl. bereits Lutz Hachmeister, Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, München 1998, 294 ff., besonders 316 ff.
Andreas Hilger