Anatol Lieven: America Right or Wrong. An Anatomy of American Nationalism, London: HarperCollins 2004, xii + 274 S., ISBN 978-0-00-716456-1, GBP 18,99
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Mit "America Right or Wrong" hat der britische Historiker Anatol Lieven eine beißende Kritik an der politischen Kultur der USA unter George W. Bush vorgelegt. Lieven, derzeit Senior Associate am Carnegie Endowment in Washington, hatte sich zuvor durch Publikationen zu Staaten der ehemaligen Sowjetunion und als langjähriger Korrespondent der "Times" einen Namen gemacht. Sein neuestes Buch soll nun die historischen Hintergründe der amerikanischen Innen- und Außenpolitik nach dem 11. September erklären. Am Beginn von "America Right or Wrong" steht eine kleine Szene, die das Leitmotiv seiner Darstellung bildet: Lieven berichtet von seiner Begegnung mit einem hochrangigen US-Diplomaten im Jahr 1989 in Islamabad. Der Diplomat, der nie zuvor in einem muslimischen Land stationiert war, prophezeite Afghanistan, das sich gerade der sowjetischen Truppen entledigt hatte, den raschen Aufbau einer freiheitlichen und demokratischen Marktwirtschaft. Die politische Kraft, von der dieser Wandel hin zum Westen ausgehen sollte, waren - man hält es im Nachhinein kaum für möglich - die Taliban. Diese Fehleinschätzung der damaligen Lage in Afghanistan führt Lieven auf Eigenschaften zurück, die nach seinem Befund auch die heutigen politischen Entscheidungsträger haben: Arroganz und Ahnungslosigkeit. Nach dem 11. September habe die Regierung Bush, so die These Lievens, einen Kurs eingeschlagen, mit dem sie sich von der restlichen Welt und schließlich auch von traditionellen amerikanischen Werten entfremdet habe. Lieven sieht darin die Merkmale einer "Antithesis" des amerikanischen Nationalismus verwirklicht, die gegen die "Thesis" eines zivilen Nationalismus stehen.
Die Ursprünge dieser negativen Spielart des amerikanischen Nationalismus liegen, so Lieven, vor allem in der Lebenswelt des Südens und Westens des 19. Jahrhunderts. Die Expansion des Landes Richtung Westen und die Vertreibung der Ureinwohner begründeten die "American Antithesis", die Lieven als einen chauvinistischen, imperialistischen, aggressiven und nicht zuletzt rassistischen Nationalismus beschreibt. Dort verbanden sich die Werte des "Wilden Westens" - "toughness, maleness, and whiteness" (99) - mit dem spezifischen Gefühl der Niederlage und Erniedrigung des Südens und einem tiefen Hass auf das liberale Gesellschaftsideal der Ostküste. All diese Werte habe sich die Republikanische Partei - Lieven schlägt eine Umbenennung in "American Nationalist Party" (32) vor - während der letzten 20 Jahre immer mehr zu Eigen gemacht.
Zentraler Bestandteil dieser nationalistischen Ausrichtung ist, so Lieven, eine fundamentalchristliche und aufklärungsfeindliche Weltsicht (Stichwort: "Creationism"). Die christliche Rechte predige nicht nur die Rückbesinnung auf konservative Werte, sondern verfolge auch außenpolitisch eine harte Linie: Abgrenzung vom dekadenten Europa, Ablehnung der UN, Verbreitung von Demokratie und Frieden mit Waffengewalt und bedingungslose Unterstützung Israels. Lieven attestiert auch hier den Republikanern eine zunehmende - mindestens wahltaktische - Übernahme dieses Wertekanons. Zudem beobachtet er im Inneren den wirtschaftlichen Niedergang der amerikanischen unteren "middle class". Diese laufe - ökonomisch unverständlich - in Scharen zu den Republikanern über und verschaffe so dem radikalen Nationalismus eine immer breitere Basis.
Als positives Gegenbild dazu sieht Lieven eine "American Thesis" bzw. eine "American Creed". Dieses amerikanische Glaubensbekenntnis verkörpert seiner Ansicht nach die zivile Seite des amerikanischen Nationalismus: Demokratie, Verfassungspatriotismus, Rechtstaatlichkeit, Individualismus und Gleichberechtigung. Bislang sei auf eine Phase der "Antithesis" immer eine Phase der "Thesis" gefolgt, die eine zeitweilige Verschiebung der amerikanischen Gesellschaft korrigiert habe.
Diesen "self-correcting mechanism" (217), der die USA bislang vor einem autoritären Regierungssystem und dem Zustand ständigen militaristischen Chauvinismus bewahrt habe, sieht Lieven nun schwer beschädigt. Der Siegeszug des fundamentalen Christentums, eine Verachtung der arabischen Welt und eine kaum zu überschätzende Angst vor weiteren terroristischen Angriffen träfen auf eine verfahrene geopolitische Lage im Nahen Osten. Bislang ist es den USA stets gelungen, argumentiert Lieven, ein Land oder eine Region langfristig in ihrem Interesse zu stabilisieren oder sich ohne dauerhaften Schaden zurückzuziehen. Im Nahen Osten scheint dies aus zwei Gründen in absehbarer Zukunft nicht möglich zu sein: Einerseits sei die amerikanische Wirtschaft von arabischem Öl abhängig, andererseits machten sich die USA als wichtigster Verbündeter Israels zum Hassgegner der arabischen Welt. Somit sieht Lieven die derzeitige amerikanische Außen- und Wirtschaftspolitik als wesentliches Hindernis für eine dauerhafte friedliche Lösung der Konflikte im Nahen Osten, einschließlich des "Krieges gegen den Terror".
Lievens Buch ist keine antiamerikanische Schwarzmalerei. Es ist vielmehr eine Mahnung an die amerikanischen Eliten, sich auf die alten Werte des pluralistischen, friedlichen und demokratischen Amerikas zu besinnen, die Generationen von Immigranten anzogen und die Welt positiv beeinflussten. Doch sein Weckruf bleibt über weite Strecken holzschnittartig und ohne präzise historische Analyse des amerikanischen Nationalismus. Lieven verfällt genau dem Manichäismus, den er selbst heftig kritisiert. Die inflationäre Verwendung des Nationalismusbegriffs bereitet zusätzliche Schwierigkeiten, spricht man doch eher von "Patriotismus", um die amerikanische Vaterlandsliebe zu beschreiben. Und so wirkt Lievens Unterscheidung eines "fortschrittlichen" Nationalismus gegenüber einem "nostalgischen" Patriotismus eher konstruiert, als dass sie die Zusammenhänge erfasst.
An manchen Stellen hätte ein differenzierter Blick auf die historischen Rahmenbedingungen sicher nicht geschadet. Lieven beschränkt sich zu sehr auf die Beschreibung der Phänomenologie der "Antithesis". Die These von der langen Tradition des amerikanischen Imperialismus ist insgesamt nicht schlüssig, schwankten die USA doch seit dem Ersten Weltkrieg vornehmlich zwischen Isolationismus und Multilateralismus.
Trotz dieser offenkundigen Mängel ist Anatol Lievens "America Right or Wrong" ein lesenswerter Beitrag zum Verständnis der Ursprünge und Kontinuitäten der Verhaltensweisen der amerikanischen Öffentlichkeit nach dem 11. September. Überzeugend stellt er dar, dass die "dunkle Seite" des amerikanischen Nationalismus tief in Gesellschaft und Kultur verankert ist, in Krisenzeiten immer wieder reaktiviert und intensiviert wird und nicht nur auf den in Europa so ungeliebten George W. Bush zurückgeht. Eindrucksvoll beschreibt er das Gefahrenpotenzial, das die derzeitige Phase der "Antithesis" für die USA im Inneren wie auch für den Rest der Welt birgt. Lievens Buch ist vor allem eine scharfsinnige Gegenwartsanalyse - bei der Betrachtung des Nahostkonflikts etwas überholt, aber insgesamt ein anregender Beitrag über Gegenwart und Zukunft des amerikanischen Nationalismus.
Jacob S. Eder