Michael Schuldiner: Contesting Histories. German and Jewish Americans and the Legacy of the Holocaust, Lubbock, TX: Texas Tech University Press (TTUP) 2011, XXX + 300 S., 5 S/w-Abb., ISBN 978-0-89672-698-7, USD 27,96
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Bei manchen Büchern merkt man schon nach wenigen Minuten, dass die Umsetzung die Erwartungen, die ein interessanter Titel weckt, enttäuschen wird. "Contesting Histories" des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Michael Schuldiner ist so ein Fall. Mit diesem Buch, das sich mit der konfliktreichen Auseinandersetzung von Deutschamerikanern und amerikanischen Juden mit der Geschichte des Holocaust beschäftigt, demonstriert Schuldiner, wie ein höchst normativer und undifferenzierter Blick auf vielschichtige Diskurse zu einer vollkommen verzerrten, ja irreführenden Interpretation führen kann. Dabei hätte die Wahl dieses Themas durchaus Potential, da es kaum wissenschaftliche Untersuchungen gibt, die sich diesem Phänomen aus historischer Perspektive nähern. [1]
In der öffentlichen Beschäftigung mit dem Holocaust in den USA macht Schuldiner zwei "Perspektiven" aus: eine "Jewish American" und eine "German American" Perspektive. Erstere identifiziere sich mit den Opfern der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, während Letztere mit den Verbrechern, ihren Kinder und Verwandten sympathisiere (251-254). Schuldiner erhebt mit seinem Buch allerdings den Anspruch, nicht nur Konfliktlinien zwischen Deutschamerikanern und amerikanischen Juden nachzuzeichnen, sondern darüber hinaus die Ursprünge für unterschiedliche und konkurrierende Interpretationen der Geschichte des Holocaust in der amerikanischen und deutschen Öffentlichkeit sowie in der Geschichtswissenschaft zu ergründen. Dazu betrachtet er in fünf thematischen Kapiteln gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Debatten und Kontroversen über den Holocaust vom Zweiten Weltkrieg bis in die neunziger Jahre. Anstelle einer quellengestützten, historiographiegeschichtlich inspirierten Diskursanalyse präsentiert er jedoch ein Interpretationsmuster, das fast ausschließlich auf biographisch bedingten, essentialistischen und letztlich simplizistischen Annahmen basiert.
Laut Schuldiner erklärt sich die konfrontative Haltung beider "Gruppen" in den USA zueinander nämlich aus der Tatsache, dass es im Zweiten Weltkrieg für beide um "das Blut ihrer Verwandten" gegangen sei ("at stake for both groups was the very blood of their relatives", xxv). Abgesehen von der Tatsache, dass eine strikte Trennung zwischen "Jewish Americans" und "German Americans" oder - an anderer Stelle - zwischen "Jews" und "Germans" aufgrund offensichtlicher Überschneidungen nicht aufgeht, ist Schuldiner auch hinsichtlich der Motive um Differenzierung nicht bemüht. Amerikanische Juden beschreibt er pauschal als (gefühlte) Opfer, den Deutschamerikanern unterstellt er pauschal eine antijüdische Haltung sowie "an intense defensiveness, as well as an antisemitism and denial" (xxiii). Diese Haltung speise sich zum einen aus der eigenen Diskriminierungserfahrung in den USA während der beiden Weltkriege, zum anderen aus einem tiefen Schamgefühl, hervorgerufen durch die öffentliche Erinnerung an den Holocaust in den USA. Dies führe dazu, dass Deutschamerikaner und alle, die deren Sichtweise übernähmen, sich bis in die Gegenwart bemühten, das Ausmaß des Holocaust zu relativieren.
Ganz von der Hand weisen kann man Schuldiners Beobachtungen - die letztlich auf eine Anklageschrift gegen die Vertreter der "German American view" hinauslaufen - natürlich nicht. Unter den Deutschamerikanern gab und gibt es überzeugte Antisemiten, die in einschlägigen Publikationen oder in Zuschriften an Holocaustmuseen ihren Ressentiments freien Lauf lassen. Schuldiner, der selbst jüdisch ist und Familienangehörige im Holocaust verloren hat, hat ebensolche Erfahrungen mit deutschamerikanischen Studierenden gemacht, wie er einleitend zu seinem Buch ausführt. Daraus lässt sich aber weder der Schluss ziehen, diese Sichtweise sei repräsentativ für eine Bevölkerungsgruppe, zu der sich immerhin mehr als 40 Millionen Amerikaner zählen, noch werden politische und gar wissenschaftliche Positionen durch den Verweis auf unbewältigte Diskriminierungserfahrungen von Vorfahren oder auf kollektive Schuld- und Schamgefühle plausibel.
Wie verfehlt und wenig ergiebig Schuldiners Ansatz ist, offenbart das Kapitel über die Kontroverse zwischen Christopher Browning und Daniel Goldhagen in besonders eklatanter Weise. Bekanntlich beschäftigten sich beide mit den Männern des Reserve-Polizeibataillons 101, waren aber zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Beweggründe der Täter des Holocaust gekommen. Während Browning vor allem auf die Bedeutung von situationsbedingten Faktoren verwies, sah Goldhagen einen "eliminatorischen Antisemitismus" mit tiefen Wurzeln in Deutschland als ursächlich. [2] Diese Debatte der neunziger Jahre, die zu den Klassikern der "Zeitgeschichte als Streitgeschichte" zählt, wurde hinlänglich dokumentiert und kommentiert. [3] Schuldiner, der Literatur und Quellen weitgehend ignoriert, gelingt es dennoch, dieser Kontroverse, die er mit "Browning and Goldhagen - Man and Superman" betitelt, sein normatives und pauschalisierendes Erklärungsmodell überzustülpen.
Seine Sympathien liegen dabei klar bei Goldhagen, den er als "a young Jew no older than Jesus himself at the time of his death" (224) und Sohn eines Holocaustüberlebenden charakterisiert. Diesem sei gelungen, woran deutsche und amerikanische Historiker jahrzehntelang gescheitert wären: "Goldhagen had solved the problem of how to present the Holocaust in German history" (233). Dass er sowohl in den USA als auch in Deutschland heftig für seine Thesen kritisiert wurde, führt Schuldiner zum einen auf dessen arrogantes Auftreten, zum anderen auf den latenten Antisemitismus der "German perspective" zurück. Die Kritik an Goldhagens methodischer Vorgehensweise erwähnt Schuldiner nur beiläufig; stattdessen insinuiert er ein Komplott gegen den jungen Wissenschaftler, das dessen akademische Karriere zerstört, Browning hingegen eine Stiftungsprofessur eingebracht habe.
Letzteren macht Schuldiner nun zum Gewährsmann für die Apologeten: "Browning presented what had historically been the German American view" (xxviii). Zwar räumt er ein, diesem ginge es nicht darum, die Täter und ihre Taten zu rechtfertigen, aber seine Art der Darstellung mache die Mordtaten leichter "verdaulich" (im Orig.: "palatable", u.a. 182, 189). Suggestiv fragt Schuldiner: "After all, if you or I or Browning might have shot children and infants under similar circumstances, can we really condemn these Germans for having killed children and infants?" (189) Ferner impliziert er sogar, die Motive für Brownings angeblich exkulpatorische Interpretation lägen in dessen Biographie. So habe der Historiker ihm versichert, dass seine protestantischen Studenten an der Pacific Lutheran University, an der Browning von 1974 bis 1999 lehrte, von kaum erträglichen Schuldgefühlen für den Holocaust geplagt würden (181). Der Leser soll wohl folgern, Browning habe diesen Erleichterung verschaffen wollen. Auch wenn Schuldiner im entsprechenden Kapitel einen Unterschied zwischen Brownings Studie und den Positionen von Ernst Nolte im Historikerstreit ausmacht, sieht er beide wenig später - wie z.B. auch Jane Caplan oder Omer Bartov - als Verfechter derselben "academic agenda", die ein eindeutiges Ziel verfolge: "explaining away the crimes of the perpetrators" (254). Diese Historiker, so Schuldiner, entsprächen damit den Wünschen der - im Kollektiv - Deutschen und Deutschamerikaner.
Nachdem man sich kopfschüttelnd und zähneknirschend durch dieses Traktat gekämpft hat, erscheint es kleinlich, auch noch en détail die zahlreichen faktischen Fehler, falsch geschriebenen Namen, Wiederholungen oder den wahrlich uneleganten Stil zu monieren. Stattdessen noch zum Abschluss eine letzte Kostprobe aus Schuldiners Feder, die der Untermauerung seiner These von den zwei "Perspektiven" dienen soll: "To a considerable extent, Holocaust historiography is about these arguments. It is also about facts, of course, but sometimes the facts are not available and more often than not there are not enough of them to come to a precise assessment of the reality of the situation" (254). Für Schuldiners Thema wären die "facts" freilich verfügbar gewesen; mit Voreingenommenheit und Bequemlichkeit kommt man allerdings nicht zu einem "precise assessment of the reality".
Anmerkungen:
[1] Vgl. das Dissertationsprojekt "Contested Histories. German American Politics of Memory and the Holocaust" von Julia Lange (Hamburg).
[2] Christopher R. Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die "Endlösung" in Polen. Neuausgabe mit einem Nachwort, Reinbek 1999 [1993]; Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996.
[3] Vgl. Martin Sabrow u.a. (Hgg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945, München 2003.
Jacob S. Eder