Stefan Pfeiffer: Das Dekret von Kanopos (238 v.Chr.). Kommentar und historische Auswertung eines dreisprachigen Synodaldekretes der ägyptischen Priester zu Ehren Ptolemaios' III. und seiner Familie (= Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete; Beiheft 18), München: K. G. Saur 2004, IX + 386 S., ISBN 978-3-598-77593-2, EUR 98,00
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Das Dekret von Kanopos ist ein Synodalbeschluss der ägyptischen Priesterschaft aus dem Jahre 238 zu Ehren des Herrscherpaares Ptolemaios III. Euergetes und Berenike II. und deren verstorbener Tochter Berenike. Es wurde in drei Sprachen abgefasst: in Hieroglyphen, der ägyptischen Volkssprache Demotisch und auf Griechisch. Als Schriftträger dienten Stelen nach ägyptischem Vorbild, die in allen Tempeln platziert werden sollten. Das Dekret enthält eigentlich zwei Beschlüsse. Der erste feiert die Wohltaten des Königspaares. Besonders hervorgehoben wird dabei die von den Königen bewirkte Getreideversorgung des Landes angesichts einer drohenden Hungersnot. Ferner stehen die königliche Fürsorge für die heiligen Tiere des Landes sowie die Rückführung der von den Persern geraubten Götterbilder und die Bewahrung des Friedens in Ägypten und einer Herrschaft unter guten Gesetzen im Mittelpunkt. Aus diesem Grund beschlossen die Priester einige Maßnahmen für den Königskult. Da noch während der Synode die Prinzessin Berenike starb, erging schnell ein zweiter Beschluss mit Bestimmungen zur Vergöttlichung und dem Kult der verstorbenen Königstochter.
Die Priestersynoden waren ein wichtiges Kommunikationsmedium zwischen der einheimischen Priesterschaft und den makedonischen Königen in Ägypten. Zahlreiche Synodal-Dekrete aus der Zeit kurz vor 243 bis 142 v. Chr. sind überliefert; das bekannteste davon ist das Memphis-Dekret von 196 v. Chr., der Stein von Rossetta. Für den Althistoriker ist die Beschäftigung mit diesen dreisprachigen Dekreten allein schon aus philologischen Gründen eine besondere Herausforderung, zumal nur sehr wenige Universitäten in Deutschland über ein Ägyptologisches Seminar verfügen, das zugleich auch einen demotischen Forschungsschwerpunkt hat. Zudem ist Demotisch eine ausgewiesene Spezialdisziplin mit derart eigenen sprachlichen und paläografischen Anforderungen, dass nur wenige Gelehrte weltweit demotische Texte publizieren können. In seiner Dissertation legt nun der Trierer Althistoriker Stefan Pfeiffer einen Kommentar und eine historische Auswertung des Kanopos-Dekretes vor. Der Verfasser hat während seines Studiums in Trier alle drei Sprachen des Dekretes lernen können.
Das erste Kapitel gibt eine Einführung in die Herrschaft der Ptolemäer über Ägypten (1-24) sowie einen Forschungsüberblick zum Umgang der ägyptischen Priester mit dem makedonischen König. In Kapitel II stellt Pfeiffer in fünf Unterkapiteln das Kanopos-Dekret vor. Zunächst werden die Textträger des Dekretes besprochen, von dem insgesamt sechs Stelen bzw. Stelenfragmente gefunden wurden. Die beiden Stelen aus Tanis und Kom el-Hisn (beide im Ägyptischen Museum von Kairo) enthalten den vollständigen Text in allen drei Sprachen. Neben diesen Hauptquellen werden auch die Stelen im Louvre (C 122) und in Karnak, sowie die Fragmente aus el-Kab (Eleithyiaspolis) und Tell Basta (Bubastis) kurz behandelt. Eine übersichtliche Tabelle (25 f.) listet Fundort, Aufbewahrungsort, Erhaltungszustand und Erstpublikationen der einzelnen Quellen auf. Ferner erklärt Pfeiffer die Gattungszugehörigkeit das Kanopos-Dekretes, dessen Text von den ägyptischen Priestern nach dem Muster griechischer Ehrendekrete abgefasst wurde. In einem Unterkapitel werden außerdem die im Dekret verwendeten Sprachen (Neo-)Mittelägyptisch, Demotisch und Griechisch vorgestellt, wobei Pfeiffer auch genauer auf das Verhältnis der beiden ägyptischen Sprachen bzw. Schriften eingeht: "Der religiös nicht ausgebildete Ägypter konnte sicher nur das Demotische sprechen (und verstehen), für ihn war die mittelägyptische Sprache eine heilige Sprache, aber eben eine andere Sprache" (47). Aus diesem Grund folgert der Verfasser zu Recht, dass es sich trotz der genetischen Verwandtschaft vom Mittelägyptisch und Demotisch bei dem Kanopos-Dekret um eine Trilingue handelt.
Ein umfangreicher Kommentar zum Text des Dekretes ist Kapitel III (66-199). Einleitend stellt Pfeiffer kurz die Editionen vor, aus denen seine Texte zusammengestellt worden sind, und weist darauf hin, dass nur einige fragliche Stellen am Original überprüft werden konnten (66). Bei seiner Zusammenstellung geht es ihm vielmehr nicht um eine paläografische Neuinterpretation, neue Lesungsvorschläge oder gar eine neue Textausgabe [1], sondern einen kompakten Überblick für den Benutzer seines in drei Hauptabschnitte gegliederten Kommentars: 1. Das Präskript (Z.1-7), 2. die beiden Beschlüsse (Z. 7-73) und 3. die Promulgationsbestimmungen (Z. 73-76). In insgesamt achtzehn Abschnitten wird das Dekret behandelt. Zunächst werden jeweils der griechische Text sowie eine Transliteration der demotischen und hieroglyphischen Texte mit direkt anschließender Übersetzung dem Kommentar vorangestellt. Dabei werden die inhaltlich voneinander abweichenden demotischen Versionen der Tanis und Kom el-Hisn-Stele hier mit jeweils eigener Transliteration und Übersetzung aufgeführt. Ein kritischer Apparat macht auf Abweichungen in anderen Versionen aufmerksam. Anschließend folgt eine genaue Besprechung des Inhaltes unter Berücksichtigung der sprachlichen Besonderheiten. Ein tabellarischer Anhang stellt alle im Dekret mit Daten erwähnten Ereignisse gemäß ägyptischen, julianischen und makedonischen Monatsangaben zusammen (198 f.).
Die historische Interpretation des Dekretes ist der Gegenstand von Kapitel IV (200-283), wobei in drei Abschnitten die Aktionen der Herrscher und die beiden Reaktionen der Priesterschaft im Mittelpunkt stehen. Zunächst werden die Wohltaten von Ptolemaios III. und Berenike II., insbesondere die Abwendung einer Hungersnot, im Lichte der ägyptischen und griechischen Traditionen eines monarchischen Euergetismus analysiert. Anschließend geht Pfeiffer auf die Reaktion der ägyptischen Priester ein. Im ersten Fall beschlossen diese eine Vergrößerung der Ehren für die Herrscher im Rahmen des Dynastiekultes durch Einführung des Titel "Priester der Wohltätergötter" und einer neuen, fünften Priesterphyle sowie zweier Feste für die Herrscher: eines jährlichen Prozessionsfestes am Sothisaufgang und eines alle vier Jahre stattfindenden Festes, wofür ein sechster Schalttag hinzugefügt werden sollte. Dabei geht der Verfasser auch der Frage auf den Grund, wie hier die Reform des Kalenders genau zu verstehen ist, zumal in der Forschung u. a. die These aufgestellt wurde, dass diese von den Königen selbst veranlasst worden sei. Auch hat man ein Zeichen der priesterlichen Opposition darin sehen wollen, weil die Reform nie umgesetzt wurde und dem Königskult somit ein Tag genommen wurde. Pfeiffer widerspricht hier der communis opinio und vermutet, dass die Reform des ägyptischen Kalenders von einem sicher dominierenden Teil der Priesterschaft inauguriert wurde, sich aber auf Dauer nicht durchsetzen konnte, weil die Mehrheit der Priester zu sehr den eigenen Traditionen verbunden war. Im Folgenden behandelt Pfeiffer die zweite Reaktion der Priester hinsichtlich eines Ehrenbeschlusses für die Vergöttlichung der jung verstorbenen Prinzessin Berenike und erörtert die Einzelheiten zur Einrichtung dieses ungewöhnlichen Kultes.
Kapitel V gilt der Auswertung und Einordnung des Dekretes in den historischen, religiösen und kulturellen Kontext (284-307). Dabei nimmt Pfeiffer auch eine Neubewertung vor. Ptolemaios III. war kurz nach seinem Herrschaftsantritt im Jahre 246 ganz im Sinne der "Sieghaftigkeit" eines hellenistischen Königs zu einem Feldzug in den Osten aufgebrochen, doch zwangen ihn Aufstände der ägyptischen Bevölkerung zu einer baldigen Rückkehr an den Nil. Sehr wahrscheinlich war die wirtschaftliche "Ausbeutungspolitik" der Ptolemäer an ihre Grenzen gestoßen; der "fremde" Pharao sah sich nun dazu gezwungen, sich den Problemen im eigenen Land zu stellen. Hier sollten nun zwei innenpolitische Richtlinien die Zeit nach diesem ersten Aufstand gegen die Ptolemäer prägen, die erstens auf die leiblichen Bedürfnisse der Untertanen und zweitens auf die religiösen Bedürfnisse ausgerichtet waren. Dabei wurde die Versorgung der Bevölkerung und der Tempel angesichts einer drohenden Hungersnot vorrangig behandelt. Gleichzeitig wurde die Integration in die ägyptische Kultur und Religion deutlich propagiert und besonders die Rolle des Pharaos als "Ernährer des Landes" hervorgehoben. Die im Dekret verzeichneten Maßnahmen lassen dieses Bemühen der Herrscher erkennen. Ziel dieser Politik war die Verhinderung weiterer Aufstände. Die Integration der Könige gelang u. a. dahingehend, dass die Ptolemäer tatsächlich als Ägypter in den Tempeln abgebildet wurden und bildlich wie inschriftlich kaum von den Pharaonen der Vergangenheit zu unterscheiden waren.
Eine tabellarische Konkordanz (308-314) ermöglicht das Auffinden von Zeilen in anderen Texten sowie von Kommentaren in Arbeiten von F. Daumas, R.S. Simpson und Å. Ensheden. Ein umfangreiches Literatur und Abkürzungsverzeichnis (315-360) und Indizes (361-386) schließen den Band ab. Der ausführliche Quellenindex ist geordnet nach antiken Autoren, Bibelstellen, griechischen Inschriften und Papyri, hieroglyphischen Texten, ägyptischen Objekten, demotischen Papyri und Stelentexten. Ein ebenso übersichtlicher Wort- und Sachindex ist dem angegliedert, der auch griechische, demotische und hieroglyphische Termini beinhaltet. Pfeiffers Arbeit ist ein mustergültiges Beispiel für eine sehr gelungene interdisziplinäre Forschungsarbeit. Es gelingt dem Verfasser in verständlicher und übersichtlicher Weise in ein mitunter komplexes und nicht immer einfaches Thema einzuführen. Eine zukünftige Kommentierung der anderen mehrsprachigen Dekrete der Ptolemäerzeit sollte sich an dieser Studie orientieren.
Anmerkung:
[1] Die bisherigen Textausgaben reichen aus. Griechischer Text: I. Prose 8 und 9 (= OGIS I 56), I. Thèbes 37; demotischer Text: R.S. Simpson: Demotic Grammar in the Ptolemaic Sacerdotal Decrees, Oxford 1996; hieroglypischer Text: K. Sethe: Hieroglyphische Urkunden der griechisch-römischen Zeit, Leipzig 1904.
Peter Nadig