Horst Bredekamp / Gabriele Werner (Hgg.): Bilder in Prozessen (= Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik; Bd. 1,1), Berlin: Akademie Verlag 2003, 121 S., ISBN 978-3-05-003781-3, EUR 29,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Horst Bredekamp / Christiane Kruse / Pablo Schneider (Hgg.): Imagination und Repräsentation. Zwei Bildsphären der Frühen Neuzeit, München: Wilhelm Fink 2010
Horst Bredekamp: Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand, Berlin: Akademie Verlag 2007
Horst Bredekamp / Volker Reinhardt / Philipp Zitzlsperger u.a. (Hgg.): Totenkult und Wille zur Macht. Die unruhigen Ruhestätten der Päpste in St. Peter, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004
Quo vadis Kunstwissenschaft? - An der Beantwortung dieser Frage scheiden sich derzeit die Geister. Wie kaum jemals zuvor in ihrer Geschichte spornt sich die Kunstwissenschaft gegenwärtig an, eine Position auch gegenüber nicht-künstlerischen - so genannten epistemischen, wissenschaftlichen, technischen oder kulturfreien - Bildern zu finden. Während die einen diverse Bestrebungen, das Fach Kunstwissenschaft zu einer Bildwissenschaft auszubauen, beargwöhnen und unverhohlen kundtun, dass sie von einem solchen Ansinnen gelangweilt seien, rufen andere aus der Herzkammer der Kunstgeschichte heraus einen Nationalen Forschungsschwerpunkt zum Thema "Bildkritik" ins Leben und begreifen die Zusammenarbeit mit Fächern wie Ägyptologie oder Informatik als eine lohnende Herausforderung.
Tatsächlich irrt sich, wer glaubt, einer Entwicklung der Kunstwissenschaft hin zu einer historischen und kritischen Bildwissenschaft im Weg stehen zu können. Drei Überlegungen mögen dies verdeutlichen: Erstens ist gerade die Kunstwissenschaft für ein Verstehen auch nicht-künstlerischer Bilder prädestiniert, insofern diese das Ideal wissenschaftlicher Objektivität nur näherungsweise erreichen und ausnahmslos auch ästhetisch codiert sind. Die Kunstwissenschaft ist hierfür zweifach kompetent: einerseits durch ihr historisches Tiefenwissen und andererseits durch ihr an Bildern und für Bilder entwickeltes analytisches Instrumentarium zur Deutung von Form und Inhalt. Zweitens haben wissenschaftliche und technische Bilder zusammen mit den sie generierenden Verfahren die Methodologie der Kunstwissenschaft in ihrer Struktur wesentlich geprägt. Darauf hat für das Fach zuerst Heinrich Dilly am Beispiel des Zusammenspiels von fotografischer Reproduktion und vergleichendem Sehen hingewiesen. [1] Das bedeutet, technische Apparaturen sind immer schon notwendige (wenn auch nicht hinreichende) Möglichkeitsbedingungen kunstwissenschaftlichen Arbeitens gewesen. Daraus folgt drittens: Insofern kunstwissenschaftliches Arbeiten in historischer und methodologischer Hinsicht wesentlich auf ihnen basiert, und insofern es Aufgabe der Kunstwissenschaft qua Wissenschaft ist, selbstreflexiv auch ihre eigene Genese in den Blick zu nehmen, ist die Beschäftigung mit nicht-künstlerischen Bildern und den sie konstruierenden bildgebenden Technologien keine Option, sondern eine conditio sine qua non. [2]
Diesen Überlegungen trägt seit gut zwei Jahren ein Periodikum Rechnung, das schon jetzt zu einem federführenden Organ in der Debatte um eine historische Bildwissenschaft geworden ist. Das von Horst Bredekamp und Gabriele Werner herausgegebene, jährlich in zwei Teilbänden erscheinende Jahrbuch mit dem Titel "Bildwelten des Wissens" unternimmt es laut Editorial von Band 1,1, den "Eigenwert der Bilder" zu untersuchen, und zwar in so vielgestaltigen Welten wie den Geisteswissenschaften, den Massenmedien und der Populärkultur, den Naturwissenschaften oder der Technikgeschichte (7). Maßgebliche Vertreterinnen und Vertreter ihrer jeweiligen Fächer wie der Kunsthistoriker Martin Warnke, der Molekularbiologe und Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger oder der Islamwissenschaftler Claus-Peter Haase kommen raumgreifender Grafik in militärtheoretischen Traktaten des 16. und 17. Jahrhunderts auf die Spur, durchleuchten Präparate in Biochemie und Molekularbiologie oder entschlüsseln Ornamentsysteme auf anatolischen Teppichen. Aber nicht nur das weite Spektrum der Themen und die Beteiligung unterschiedlichster Disziplinen dynamisieren die Diskussion; dazu tragen auch die diversen Rubriken des Jahrbuchs bei - "Faksimile", "Bildbesprechung", "Interview", "Wiedergelesen", "Aufgefunden", "Rezensionen", "Projektvorstellung" -, die vor dem Leser nicht selten denkwürdige Funde ausbreiten.
Erklärtermaßen setzt die im Untertitel "Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik" apostrophierte kritische Arbeit am Bild bei der Analyse der Form ein, dem Spezifikum von Bildern. Die charakteristische Form eines Bildes ernst zu nehmen, vollzieht das Periodikum auch am eigenen Erscheinungsbild. Jede Ausgabe blättert auf ihrer ersten und letzten Doppelseite einen Bilderatlas auf, der gleichsam als ihr eigener ikonischer Mikrokosmos, als eine aus dem Thema der jeweiligen Ausgabe destillierte Bilderwelt eigenen Rechts zu betrachten ist. Hier trifft Albrecht Dürers "Knoten mit weißer Scheibe" auf Teilchenspuren in einer Blasenkammer oder kommt ein Kreuzgedicht des Rabanus Maurus neben Barcodes auf Gepäckanhängern für Flugreisen zu stehen. Der 'Eigenwert' des Bilderatlas offenbart mithin, wes Geistes Kind das Jahrbuch ist. Während das Medium Atlas zu einem veritablen Leitfossil der jüngeren Wissenschaftsgeschichte geworden ist, sind mit ihm aus kunsthistorischer Sicht untrennbar die Person und Ideenwelt Aby Warburgs verknüpft. Wenn das Jahrbuch einen Bilderatlas Warburgscher Prägung als seinen Paratext inszeniert, ist damit eine klare Aussage verbunden. Nicht nur existierten für Warburg keine Bildwelten, die nicht in den Blick zu nehmen gewesen wären; auch war er es, der bereits im Jahr 1925 explizit auf seine Fahnen schrieb: "Von Kunstgeschichte zur Bildwissenschaft". Damit wird auch die gelegentlich geäußerte Invektive hinfällig, die Kunstwissenschaft als Bildwissenschaft zu praktizieren sei ein Verrat an ihren Wurzeln. Das Gegenteil ist der Fall: Die Kunstwissenschaft ist sui generis schon immer eine Bildwissenschaft gewesen; dafür stehen neben Warburg auch Alois Riegl, Erwin Panofsky und viele andere ihrer Protagonisten.
Wie unerlässlich "Bildwelten des Wissens" für ein Verstehenlernen komplexer Bildsysteme ist, unterstreicht ex negativo eine Passage im programmatisch gestimmten ersten Aufsatz des ersten Bandes. Hier wird von den AutorInnen ein "Disjunktionsprinzip der naturwissenschaftlichen Darstellung" konstatiert. Dessen kategorische Formulierung - "Je natürlicher ein Gegenstand in der Wiedergabe erscheint, desto stärker wurde sein Bild konstruiert." (15) - mag in ihrer Strenge über das Ziel hinausschießen, wenn man beispielsweise eine analoge Fotografie mit einer frühen Digitalfotografie desselben Motivs vergleicht: Bei ersterem Verfahren erscheint das Motiv in der Wiedergabe natürlicher, obwohl die analoge Fotografie relativ gesehen weniger Konstruktions- und Transformationsoperationen zwischen Gegenstand und Bild schaltet als ihr digitales Pendant. Diesbezüglich lässt sich von der Wissenschaftstheorie lernen, wenn etwa Cornelius Borck behutsamer von einem "Paradox der Transparenz der Technik" schreibt. Selbiges stelle sich immer dann ein, wenn Wissenschaftler auf der einen Seite ihre Bilder als Resultate komplexer technischer Prozesse offen legten und auf der anderen Seite eben diese künstlichen Bilder als vermeintliche Abbilder der Natur selbst feierten - und damit ihren Einsatz technischer Verfahren wiederum verschwinden machten. [3]
Überhaupt scheint eine Auseinandersetzung mit der Wissenschaftstheorie vielversprechend. Diese könnte uns erkennen lassen, dass die Ausweitung des kunstwissenschaftlichen Gegenstandsbereichs auf nicht-künstlerische Bilder lediglich einen Ersten, wenn auch unbestreitbar großen Schritt bedeutet, dem ein Zweiter folgen sollte: nämlich nicht nur die Gegenstände anderer Fächer in den Blick zu nehmen, sondern auch deren besonderen Blick selbst, um dann vielleicht auch künstlerische Bilder noch einmal anders sehen zu lernen. Tatsächlich lassen sich strukturelle Korrespondenzen zwischen ästhetischen und epistemischen Praktiken ausmachen, und Konzepte der Wissenschaftstheorie, die sich hinter Begriffen wie "tacit knowledge", "procedural turn" oder "new experimentalism" auftun, könnten auch der Kunstwissenschaft neue Perspektiven eröffnen.
Alleine aber schon die mit "Bildwelten des Wissens" aufgeworfene Frage nach dem Geltungsbereich der Kunstwissenschaft sorgt für die nötige Selbstreflexion und damit über kurz oder lang für eine Erneuerung des Faches aus sich selbst heraus. Dies mag sich gerade vor dem Hintergrund einer aus fragwürdigen ökonomischen Kalkülen heraus drohenden Marginalisierung der Kunstwissenschaft als überlebensnotwendig erweisen.
Anmerkungen:
[1] Siehe Heinrich Dilly: Lichtbildprojektion - Prothese der Kunstbetrachtung, in: Irene Below (Hg.): Kunstwissenschaft und Kunstvermittlung, Gießen 1975, 153-172.
[2] Siehe Thomas Hensel: Kunstwissenschaft als Bildwissenschaft, in: Thomas Hensel / Andreas Köstler (Hg.): Einführung in die Kunstwissenschaft, Berlin 2005, 73-94.
[3] Siehe Cornelius Borck: Die Unhintergehbarkeit des Bildschirms. Beobachtungen zur Rolle von Bildtechniken in den präsentierten Wissenschaften, in: Bettina Heintz / Jörg Huber (Hg.): Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten, Wien / New York 2001, 383-394, hier: 388-390.
Thomas Hensel