Horst Bredekamp: Der schwimmende Souverän. Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers, Berlin: Wagenbach 2014, 192 S., ISBN 978-3-8031-5186-5, EUR 26,00
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Im Jahr 2014 jährte sich zum 1200. Mal der Todestag Karls des Großen, und zahlreiche Verlage haben das Jubiläum zum Anlass genommen, Bücher auf den Markt zu werfen; hinzu kommen Ausstellungen im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich und in Aachen, ein Berliner Ausstellungsprojekt ist leider nicht zu Stande gekommen. Die Beschäftigung Horst Bredekamps mit dem Thema währt schon länger, davon zeugen nicht zuletzt die im Bildarchiv Prometheus eingestellten Scans seiner Diapositive. Darüber hinaus fügt sich die Auseinandersetzung - wie die Lektüre des schönen, in der "Kleinen Kulturwissenschaftlichen Bibliothek" des Wagenbach Verlags erschienenen Buches rasch zeigt - stimmig in die von ihm etablierte und mehrfach durchgespielte "Theorie des Bildaktes" ein.
Zu Beginn werden die Fragestellungen des Buches markiert: "Im Sinne des triadischen Zusammenspiels von Zeichen, Bild und Körper [...], geht es um die Technik gemeinschaftlicher Bindung. Es soll erschlossen werden, wie ein von der Biskaya bis zur Adria und der Ostsee reichender Raum ohne die Institution des modernen Staates gebunden werden konnte. Die Regierungstechnik Karls des Großen soll vom Leib des Herrschers her verstanden werden, um über fortschreitende Stufen der Distanzierung die lebendige Natur und eine verlebendigte Bildwelt einzufangen" (10). Die Hauptrolle spielt in diesem Zusammenhang das Schwimmen, das sowohl im Hinblick auf seine Egalität in den Blick genommen - im Wasser scheinen zunächst alle gleich -, wie auch als sozial abgestufter, performativer Akt verstanden wird (33-39): Ausgangspunkt ist ein Passus aus der wohl 829 von Einhard verfassten Vita Karls des Großen. In Kapitel 22 wird dort von der äußeren Erscheinung und den körperlichen Gewohnheiten des Herrschers berichtet - und von seinem Schwimmen mit den Söhnen, Vornehmen und Freunden, Gefolgsleuten und Leibwächtern, wodurch er seinen Körper gestählt habe; "nicht selten badeten hundert und mehr Menschen auf einmal". [1] Die Passage ist sattsam bekannt, wird immer wieder zitiert - und doch nie wirklich ernst genommen. So finden sich etwa in der klugen und angenehm lesbaren Biografie Einhards von Steffen Patzold nur beiläufige Bemerkungen, die über eine Erwähnung nicht hinausgehen. Selbst ihr topischer Aspekt - die explizite Referenzierung auf die Antike - blieb bislang letztlich unentdeckt: Dass nämlich antike Herrscher von Caesar über Augustus bis Domitian und Heliogabal geschwommen sind, war für Einhards Sicht auf Karl eine entscheidende Referenz, die es zudem möglich gemacht hat, das Verhältnis zur Antike als aktiven Prozess zu verstehen und ihn zu steuern, indem er distinktiv-nobilitierend nutzbar gemacht wurde - die Feinde Karls konnten dagegen nicht schwimmen (23f.).
Scheinbar belanglose Fähigkeiten und Lebensgewohnheiten, auch Realien, durch stupende Bildung als eine im Medium des Körpers vermittelte Herrscherstilisierung und -inszenierung zu verstehen, gehört sicher zum größten Erkenntnisgewinn des Buches (So wissen wir z.B. vor allem über die antiken Aachener Quellen, auch Dank einer umtriebigen Stadtarchäologie, inzwischen durchaus viel). Nichts weniger als eine neue Form performativer Herrschaftspraxis hat Horst Bredekamp hier entdeckt: dass Herrscher (mit entsprechend weitreichenden Konsequenzen auch für die Künste) geschlafen haben, geritten sind, gejagt, gemalt, getanzt, gedrechselt, gebaut und als Thronende ihr linkes Knie herausgestellt haben - diese und viele andere Herrschaftspraktiken kennen wir; aber dass Schwimmen ebenfalls herrscherliche Macht repräsentiert, ist meines Wissens noch nie so eindrücklich vor Augen geführt worden. Beglückt lese ich nochmals das in einer Art 'upside down-Montage' der eigentlichen Entdeckung vorgeschaltete Kapitel über das Schwimmen von Mao Tse-tung bis Friedrich Barbarossa, und weitere Assoziationen stellen sich ein, etwa hinsichtlich der Ikonizität des 1919 veröffentlichten Badehosenbildes von Ebert und Noske - das man, Bredekamp weitergedacht, als bislang verkanntes Zeichen im Kontext einer Symbolpolitik des Regierens verstehen könnte. In den Anmerkungen versteckt Bredekamp Hinweise etwa auf Putin als "tauchenden Entdecker der submarinen Landesgeschichte" (132, Anm. 13), sodass das Buch insgesamt auch als diachrone Schilderung eines Herrschaftstopos von der Antike bis in die Gegenwart gelten darf. Wenn man wiederum Bredekamps zentrale These einmal nicht dezidiert körperlich versteht, dann könnte man darüber hinaus - auch im Hinblick auf die leitenden Fragestellungen des Buches - die karlischen Brückenbauprojekte oder die Anlage eines Kanals zwischen Altmühl und Rezat als Verbindung zwischen Rhein und Donau ebenfalls im Sinne einer Herrschaftssicherung verstehen, die auf die grundsätzliche Beherrschung und Beherrschbarkeit des Elements Wasser setzt. Vielleicht wird man - angeregt durch Bredekamps Studie und im Blick auf die Greifenfahrt Alexanders des Großen - sogar über die Idee des Herrschers als Souverän über die Gesamtheit der empedokleischen Elemente, deren Genese und Adaption nachdenken müssen.
Doch damit nicht genug. Die weiteren Kapitel des Buches thematisieren die Bändigung und Verlebendigung des Körpers und der Natur, wie Karl der Große auf vielerlei Weise die Beherrschung der Natur repräsentiert, auf seinen Jagden oder mit dem Tiergehege in der Nähe des Kernbereichs der Aachener Pfalz. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Deutung der heute in der Vorhalle des Doms aufgestellten Tierbronze als Bärin Gewicht (die Uminterpretation in eine Wölfin wäre dann einem späteren, sicher in das 15., vielleicht aber schon ins 14. Jahrhundert zu datierenden expliziten Rombezug geschuldet); der Schlitz in der Brust wird im Anschluss an die jüngste Forschung als Stichwunde gedeutet, und das eindrückliche Tier in den Mittelpunkt einer antiken Jagdgruppe rekonstruiert (66f.). Man mag hier nicht allen Beobachtungen Bredekamps folgen, etwa der Distinktion der Löwenköpfe an den Bronzetüren zwischen Agressivität und Domestizierung (89-94) oder hinsichtlich der Spiegeleigenschaften der Türen (94-103). Aber durch Konjekturen in der Argumentation oder durch Konjunktive lässt der Autor den Lesern stets den Freiraum, ihm zu folgen - oder eben nicht; in höchstem Maße anregend, ja ein intellektuelles Vergnügen sind die Thesen in jedem Falle. Vor allem gelingt es Horst Bredekamp, die spezifische Aussagekraft der am Aachener Hof in direktem Zusammenhang mit Karl dem Großen entstandenen Kunstwerke neuerlich zu erhellen. Und das ist gewiss kein geringes Verdienst.
Anmerkung:
[1] Die Übersetzung nach Steffen Patzold: Ich und Karl der Große. Das Leben des Höflings Einhard, Stuttgart 2013, 54.
Alexander Markschies