Rezension über:

Tobias Weller: Die Heiratspolitik der deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert (= Rheinisches Archiv; 149), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, XII + 975 S., 18 Stammtafeln, ISBN 978-3-412-11104-5, EUR 99,90
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Rezension von:
Jörg Schwarz
Seminar für Mittelalterliche Geschichte, Universität Mannheim
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Jörg Schwarz: Rezension von: Tobias Weller: Die Heiratspolitik der deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 1 [15.01.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/01/8725.html


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Tobias Weller: Die Heiratspolitik der deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert

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Dynastisches Bewusstsein, Selbst- und Hausverständnis des deutschen Hochadels im hohen Mittelalter - diesen Themen hat die Mittelalterforschung der vergangenen zwei bis drei Jahrzehnte große Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei ist es mehr als einmal zu bemerkenswerten Neudeutungen gekommen - am spektakulärsten vielleicht in Werner Hechbergers Buch "Staufer und Welfen" von 1996, das Abschied zu nehmen lehrte von der Vorstellung eines festzementierten staufisch-welfischen Gegensatzes, der das gesamte 12. Jahrhundert durchzogen haben soll. [1] Familien, Geschlechter, Dynastien - diese ehernen Faktoren der älteren Sicht auf das hochmittelalterliche Reich und seine politischen Konstellationen sind ins Wanken geraten. Sie erscheinen zunehmend als "Erfindungen" von Späteren, als konstruierte "Bilder" einer Vergangenheit, denen eine Entsprechung in der Wirklichkeit weitgehend fehlte. [2] Bei der Bevorzugung dieser Themen war es nur eine Frage der Zeit bis auch die konkrete Basis aller dieser Dinge - die Heiratspolitik des Hochadels - ins Zentrum des Interesses geriet. Nicht dass es, vornehmlich aus landesgeschichtlicher Sicht, aber durchaus nicht nur aus dieser, an Einzelstudien hierzu gefehlt hätte; eine zusammenfassende Schau aus primär reichsgeschichtlicher Perspektive über einen längeren, möglichst aussagekräftigen Zeitraum hinweg war jedoch ein dringendes Desiderat. Diese Lücke wird nunmehr auf eine wahrhaft umfassende Weise geschlossen durch die Bonner Dissertation von Tobias Weller. Das Wort "umfassend" darf auch dann verwendet werden, wenn es sich, wie der Autor betont, bei seinem Werk nur um einen "repräsentativen Ausschnitt" handeln soll (7).

Zu den genaueren Absichten des Buches: Die Arbeit will, so heißt es in der Einleitung, das fürstliche Heiratsverhalten während des 12. Jahrhunderts untersuchen, wobei die einzelnen Verbindungen vor allem hinsichtlich ihrer politischen Hintergründe wie ihres Erwartungshorizontes ausgeleuchtet werden sollen. Neben den realisierten Heiratsprojekten will das Buch auch diejenigen Eheabsprachen in die Analyse einbeziehen, die nicht in eine Eheschließung mündeten, denn auch hieraus ließen sich, so der Autor, wichtige Einsichten in die Materie gewinnen (7).

Auf eine dankenswerte Weise geht Weller von klaren Begriffsdefinitionen aus. Dabei wird versucht, die beiden Schlüsselbegriffe der Arbeit, d. h. zunächst den Begriff "reichsfürstlich", zu bestimmen. Zu Recht legt der Autor, was die definitorische Festlegung der von ihm untersuchten Gruppe betrifft, großes Gewicht auf deren lehnsrechtliche Bindungen zum Königtum bei jener Gruppe von Fürsten (principes imperii), die sich im Laufe des späten 12. Jahrhunderts von den übrigen Mitgliedern des Reiches mehr und mehr abzusetzen begannen und die wir heute als "Reichsfürstenstand" zu bezeichnen pflegen. Die Definition des Begriffs "Familie" schließt sich konsequent an die bahnbrechenden Forschungen Karl Schmids an, der bekanntlich Vorstellungen von einer geschlossenen Vater-Sohn-Abfolge als anachronistisch zurückwies und stattdessen auf die Dominanz verwandtschaftlicher Beziehungen zu gleichzeitig lebenden Personen im Selbstverständnis adliger Herrschaftsträger hinwies (4).

Einer bekannten Auflistung seines Lehrers Theo Kölzer folgend, setzt Weller 22 weltliche Große voraus, die, aus 15 Familien stammend, um 1180/90 als reichsfürstlich betrachtet worden seien (4). Gemäß dieser Vorstellung ist das Buch (von Einleitung und Fazit abgesehen) in 15 Abschnitte unterteilt, in denen diese Familien im Heiratsverhalten ihrer einzelnen Mitglieder während des 12. Jahrhunderts untersucht werden. Dabei ist der Auseinandersetzung mit der Staufer-Geneaologie von Hansmartin Decker-Hauff ein eigener, umfangreicher Exkurs gewidmet (196-226). Inhaltlich ist der hier geübten Kritik, mit der man freilich derzeit offene Türen einrennt, [3] voll zuzustimmen. Das Gleiche gilt für die aus dieser Kritik resultierende Feststellung Wellers, dass es nach wie vor keine zuverlässige, modernen Ansprüchen genügende Hausgenealogie zur Stauferfamilie gebe; eine solche zu erstellen bleibe ein dringendes Desiderat (226). Mag es auch nachvollziehbar sein, dass der Autor hier die größtmögliche inhaltliche Nähe zur vorherigen Abhandlung über die Staufer gesucht hat, die Position dieses Exkurses mitten in der Arbeit wirkt insofern etwas unglücklich, da sie das sonst klare Bauprinzip des Buches stört. Es wäre sicherlich sinnvoller gewesen, lediglich die Extrakte und Resultate des Exkurses an dieser Stelle in die Arbeit hineinzuholen und diesen selbst - etwas altmodisch zwar, aber deswegen nicht falsch - dorthin zu stellen, wo er hingehörte: ans Ende der Arbeit.

Auch unabhängig von diesem Exkurs besitzt die Familie der Staufer in der Gesamtkonzeption der Arbeit eine besondere Rolle. Sie steht - und das mit gutem Grund - an der Spitze der Einzelabhandlungen und nimmt im gesamten Buch den breitesten Raum überhaupt ein (11-195). Vor allem Konrad III., der erste staufische König, und Friedrich Barbarossa, sind dankbare Objekte der Weller'schen Fragestellungen, wobei, vor allem was den ersten staufischen König anbelangt, der Autor seine Anschauungen teils in prononcierter Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung sucht. Mag man hierbei auch nicht jede Kritik im Einzelfall teilen, die Grundzüge der Motive im Heiratsverhalten der frühen Staufer werden klar entwickelt: das um Ranggleichheit mit dem oströmischen Kaisertum bemühte imperiale Königtum Konrads III.; die nach der Trennung von Adela von Vohburg und nach der gescheiterten Brautsuche in Byzanz schließlich geglückte "Höherstufung" durch die Heirat mit Beatrix von Burgund; die berühmte Mailänder Ehe Heinrichs VI. mit Konstanze von Sizilien vor dem Hintergrund neuer Erwartungen und politischer Konstellationen.

Bei dieser Beschäftigung mit dem Heiratsverhalten der Staufer, aber auch in allen anderen Abschnitten lässt das Buch, was die umfassende Verwertung von Forschungsliteratur, vor allem aber seine Quellendichte betrifft, kaum irgendwelche Wünsche offen. Angesichts der Vielzahl regional- und landesgeschichtlicher Themen, die der Band anschneidet und die immer wieder neue Herausforderungen stellen, verdient dies sicherlich eine ganz besondere Erwähnung. Nahezu jede Aussage, jede Interpretation entwickelt sich auf der Grundlage einer äußerst intensiven Quellenbefragung, wovon das detaillierte Quellen- und Literaturverzeichnis sowie vor allem das Personenregister des Anhangs, das jedem Regestenband zur Ehre gereichte, ein Zeugnis ablegen. Einen besonderen Hinweis verdienen schließlich die 18 genealogischen Tafeln des Anhangs. Wesentliche Probleme der vorherigen Abhandlung werden durch diese auf einen Blick erschlossen.

Das ungewöhnlich umfangreiche Fazit des Buches betont zunächst die hervorstechende politische Rolle bei der Wahl fürstlicher Ehepartner, was jedoch, so Weller, nicht weiter verwundere, denn fürstliche Heiraten seien per se politischer Natur gewesen; persönliche Neigungen haben hier allenfalls eine marginale Rolle gespielt. Es gelte das, was noch weit über die Grenzen des Mittelalters hinaus gelten sollte: nämlich dass sich Fürstenkinder durch eine prägende Erziehung auf ihre dynastische Verpflichtung vorbereitet und sich in aller Regel den Interessen ihres Hauses untergeordnet hätten (797). So individuell die politischen Beweggründe und Zusammenhänge, die zu Heiraten führten, auch waren - das stets um Ordnen und Kategorisieren bemühte Buch möchte mehrere "Heiratstypen" voneinander unterscheiden: Da sei zum einen (I) jener Typus, bei dem die Vermählung der Bekräftigung eines Vertragsabschlusses oder einer allgemeinen Übereinkunft diente. Davon abzusetzen sei (II) ein Heiratstyp, der die Vermählungsprojekte darstelle, die im Zusammenhang mit einer politischen Parteibildung verabredet worden seien. Besonders interessant erscheint der von Weller so genannte Typus der "Rekonziliationsheirat" (III), der beim mittelalterlichen Adel ein probates Mittel dargestellt habe, die Beendigung eines Konfliktes zu besiegeln und das wiederhergestellte Einvernehmen ostentativ zu untermauern. Ebenso aussagekräftig freilich auch: der Typus der "Erwerbsheirat" (IV), mit dem selbst umfangreiche Eroberungspläne vorbereitet werden konnten - und wurden.

Diese Weller'schen "Heiratstypen", jeweils in prägnante Begriffe gekleidet, auf plausible Weise voneinander unterschieden und mit guten Beispielen belegt, ordnen das Themenfeld seiner Untersuchung ganz beträchtlich; sie dürften große Chancen haben, sich im zukünftigen Vokabular des Faches wiederzufinden. Am Ende des Fazits - und am Ende der langen Arbeit überhaupt - wird deutlich: Nur in der synchron entwickelten Analyse konnten diese Typen so klar hervortreten; die Untersuchung eines Einzelfalles oder auch zweier großer Familien - etwa Staufer und Welfen - hätte dies keinesfalls vermocht. Es zeigt sich freilich auch: Das Ganze ist eben immer noch mehr als die Summe seiner Teile.


Anmerkungen:

[1] Werner Hechberger: Staufer und Welfen 1125-1190. Zur Verwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft (= Passauer historische Forschungen; 10), Köln / Weimar / Wien 1996; vgl. hierzu vor allem die Rezension von Claudia Zey, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 61 (1998), 854-856.

[2] Vgl. zum Beispiel zu den Welfen eindringlich Bernd Schneidmüller: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung (= Urban Taschenbücher; 465), Stuttgart / Berlin / Köln 2000, passim.

[3] Vgl. Gerhard Lubich: Auf dem Wege zur "Güldenen Freiheit". Herrschaft und Raum in der Francia orientalis von der Karolinger- zur Stauferzeit (= Historische Studien; 449), Husum 1996.

Jörg Schwarz