Matthias Werner (Hg.): Heinrich Raspe - Landgraf von Thüringen und römischer König (1227-1247). Fürsten, König und Reich in spätstaufischer Zeit (= Jenaer Beiträge zur Geschichte; Bd. 3), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003, X + 369 S., ISBN 978-3-631-37684-3, EUR 49,80
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In einer Galerie deutscher Herrschergestalten des Mittelalters hat er es nie besonders leicht gehabt, jener Heinrich Raspe, Landgraf von Thüringen (1227-1247) und vom 22. Mai 1246 bis zu seinem Tod am 16. Februar 1247 für neun Monate römisch-deutscher König gegen den staufischen Kaiser Friedrich II. und dessen in Deutschland herrschenden Sohn Konrad IV. Das weithin fehlende Bewusstsein über das Königtum des Ludowingers wird vielleicht durch nichts deutlicher ausgedrückt als durch die Tatsache, dass der biografische Eintrag über ihn im wichtigsten Nachschlagewerk der deutschen Mediävistik, dem "Lexikon des Mittelalters", nicht in der Reihe der deutschen Könige zu finden ist, sondern im schier uferlosen Meer der Heinriche - als der 72. von insgesamt 150 dort aufgeführten Trägern dieses Namens. [1]
Muss die äußerst kurze Zeit, die ihm zur Ausübung seines Amtes als Romanorum rex et semper augustus zur Verfügung stand, als ein ganz wesentlicher Grund seiner weitgehenden Profillosigkeit in diesem Umfeld genannt werden, so kann dieses 'Zeitargument' nicht gelten für seine Rolle als thüringischer Landgraf und Herr von Hessen, die er immerhin 20 Jahre lang ausübte - lange genug, um einen erinnerungswürdigen Platz im Gedächtnis der Nachwelt zu erreichen. Warum Heinrich Raspe aber in beiderlei Hinsicht immer eine Figur im Hintergrund geblieben ist, stellt ein wesentliches Kennzeichen seiner historischen Erscheinung dar. Mit dieser hat sich vom 24.-26. September 1997 ein wissenschaftlicher Kongress auf der Wartburg beschäftigt. Die Ergebnisse dieser Tagung liegen in Gestalt eines Sammelbandes, der zehn Aufsätze vereinigt, jetzt vor. [2]
Der Hauptgrund für das seit dem Entstehen einer kritischen Mittelalterforschung sowie einer populären Mittelalterrezeption im 19. Jahrhundert zu konstatierende negative Bild Heinrich Raspes wird von Matthias Werner, dem Herausgeber des Sammelbandes, im Vorwort prägnant umrissen (VII-XI). Angesichts einer Herrscherpersönlichkeit wie Friedrich II., der sich in einem heroischen 'Endkampf' den römischen Päpsten stellte, konnte ein weitgehend päpstlich propagiertes Gegenkönigtum keine großen Sympathiewerte erzielen. Im Gegenteil: Ein derartiges Projekt musste zwangsläufig als 'Verrat' erscheinen. Für einen solchen Herrscher war kein Platz vorhanden in den nationalen Gedenkhallen und Ahnengalerien, am wenigsten auf der Wartburg selbst, dem Ort, an dem er residiert hatte und an dem er auch gestorben war. Dazu kommen charakterliche und persönliche Eigenschaften, die ihm im Vergleich mit dem stupor mundi, dessen Erscheinung Menschen aller Zeiten stets aufs Lebhafteste zu faszinieren vermochte, unweigerlich zum Nachteil gereichen mussten. Erstaunlich viele dieser Kategorien und Wertungen wirkten bis tief ins 20. Jahrhundert hinein - auch dann noch, als von einem stauferorientierten nationalen Mittelalterbild schon längst keine Rede mehr sein konnte.
Der Band stellt die Figur Heinrich Raspes vor einem weiten Fragehorizont auf. Ausgehend von Beiträgen über "Reich und Reichsfürsten in Herrschaftsverständnis und Politik Kaiser Friedrichs II." (Egon Boshof, 3-28) und über "Das Reich in der politischen Theorie der Legistik und im Umkreis der päpstlichen Kurie" (Helmut G. Walther, 29-53), verengt sich daraufhin die Blickrichtung insofern ganz beträchtlich, als mit dem Niederrheingebiet, dem Südosten des Reiches und Schwaben [3] drei Regionen des Reiches in ihrem Verhältnis zum Königtum des Ludowingers bzw. zum römisch-deutschen Königtum in damaliger Zeit generell untersucht werden.
Im Zentrum des Bandes stehen jedoch ganz sicherlich zwei Beiträge, die für eine zukünftige Einschätzung Heinrichs von großer Wichtigkeit sein werden: die umfangreichen Ausführungen Matthias Werners [5] über Heinrichs Rolle als Landgraf von Thüringen und Herr von Hessen (125-272) sowie Ulrich Reulings Studie zu Heinrichs Wahl zum rex Romanorum von 1246 (273-306). Aufsätze über die welfische Partei in Oberitalien und die Gegner Friedrichs II. in Deutschland sowie über die Deutschordensdiplomaten in den Verhandlungen zwischen Innocenz IV. und Heinrich Raspe 1244-1246 [4] greifen noch einmal speziellere Aspekte des Themas auf.
Angesichts des bisherigen Bildes über Heinrich Raspe musste die 'Tendenz' einer jeden Neubeschäftigung mit dieser Figur fast schon von Anfang an feststehen; sie konnte nur lauten: Suche nach Differenzierung, Konturierung, Aufwertung. Am stärksten sichtbar wird diese Suche in dem Beitrag des Herausgebers Matthias Werner selbst. Werner wird bei seiner Suche fündig. Noch nie hat man die Figur in ein derart dichtes Beziehungsgeflecht eingeordnet gesehen. Werners Darlegungen - so vor allem im Hinblick auf den Höhepunkt landgräflicher Macht in Thüringen zur Zeit Heinrich Raspes gegenüber dem Mainzer Erzbischof und sämtlichen übrigen Herrschaftsträgern (167) - kommen fast einer Neuentdeckung gleich. Kaum eine Spur mehr von einem Herrscher, der, wie ein beliebtes Klischeebild lautete, besser in die Mönchszelle als auf einen Königsthron gepasst habe. Zwar misst auch Werner weder dem Beitrag Heinrich Raspes zur Destabilisierung der staufischen Herrschaft in Deutschland noch dem Einfluss der Veitshöchheimer Wahl von 1246 im Hinblick auf die Umgestaltung des Königswahlrechtes wirklich weiter reichende Bedeutung zu. Doch arbeitet der Autor zum einen klar heraus, dass die päpstliche Partei in Deutschland mit Heinrich Raspe keinen abstrusen Außenseiter, sondern den für ihre Ziele geeignetsten Vertreter gefunden hatte; zum anderen aber macht er auch deutlich, wie sehr der Wechsel Heinrichs ins antistaufisch-päpstliche Lager 1243 für eine offensichtliche politische Stabilisierung in dessen hessisch-thüringischem Einfluss- und Interessenbereich gesorgt hat.
Das spannendste Resultat der Ausführungen Werners liegt gleichwohl auf dem Feld der Beurteilung seines 'Helden' als Romanorum rex: die Präfiguration des neuen Typus des Hausmachtkönigtums in der Königszeit Heinrichs Raspes. Da die Kürze der Regierungszeit eine angemessene Beantwortung der Frage in der Tat nicht zulässt, ist dieser Gedanke von Werner zu Recht nur als Frage formuliert worden (die ansprechende Vermutung unterliegt damit der Crux einer jeden Beurteilung des Königtums des Ludowingers); doch es ist eine jener Fragen, die einen weiter bringen als die scheinbar bündigsten Antworten.
Von weiterhin zentraler Bedeutung für eine Einschätzung des Königtum Heinrich Raspes musste eine genaue Analyse der Umstände und des Verfahrens der Veitshöchheimer Wahl von 1246 erscheinen. In seinen Ausführungen zu diesem Ereignis stellt Ulrich Reuling zwar fest, dass die Wahl, die Heinrich Raspe für neun Monate ins Amt des römisch-deutschen Königs führte, verfahrensmäßig durchaus in den herkömmlichen Formen nach den Prinzipien der freien Wahl vollzogen worden sei. Andererseits sei sie jedoch sowohl in ihren äußeren Umständen, in ihrer ausgesprochen langen Phase der Wahlverhandlungen und -vorbereitungen, vor allem aber in Ausmaß und Formen der päpstlichen Einflussnahme sicherlich keine 'normale' Wahl gewesen (soweit das Kriterium der Normalität für Königserhebungen des 13. Jahrhunderts überhaupt schon anwendbar sei). Für Reuling hat die Wahl Heinrich Raspes zwar nicht im Zeichen einer Krise der deutschen Königswahl gestanden, wohl aber im Zeichen einer anhaltenden Krise des deutschen Königtums überhaupt - sie habe, wie Reuling gut zuspitzt, einen wirklichen Einschnitt in der Geschichte markiert, nämlich den Beginn des so genannten Großen Interregnums.
Der ertragreiche, vorzüglich redigierte Band hat der historischen Gestalt Heinrich Raspes ein Maximum an neuen Erkenntnissen abgerungen. Gleichwohl werden - es ist nur ein scheinbarer Widerspruch, der hier angedeutet wird - nicht wenige Ergebnisse des Bandes noch in der Zukunft liegen: in den zu erhoffenden Erkenntnissen über das Geflecht von König, Fürsten und Reich im hohen und späteren Mittelalter und hier speziell über die Stellung des so genannten Fürstenstandes, über dessen Besonderheit wohl kaum schon das letzte Wort gesprochen ist. Sollte man in dieser wichtigen Frage in Zukunft einer Lösung näher kommen, so dürfte dieser Band nicht wenig dazu beigetragen haben.
Anmerkungen:
[1] Separat veröffentlicht wurde inzwischen der ebenfalls auf der Tagung gehaltene Vortrag von Jürgen Petersohn: Heinrich Raspe und die Apostelhäupter oder: Die Kosten der Rompolitik Kaiser Friedrichs II. (= Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main; Bd. XL, 3), Stuttgart 2002.
[2] So bereits Franz-Reiner Erkens in der Zusammenfassung des hier zu besprechenden Bandes, 359.
[3] Wilhelm Janssen, 53-68 (Niederrhein); Heinz Dopsch, 69-104 (Südosten); Thomas Zotz, 105-124 (Schwaben).
[4] Giulia Barone, 307-316; Robert Gramsch, 317-358.
[5] Vgl. hierzu Werner selbst im Vorwort des Bandes, IX.
Jörg Schwarz