Ronald J. Granieri: The Ambivalent Alliance. Konrad Adenauer, the CDU/CSU, and the West, 1949-1966 (= Monographs in German History; Vol. 9), New York / Oxford: Berghahn Books 2003, XVI + 250 S., ISBN 978-1-57181-492-0, GBP 15,00
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Nach ihrem Sieg im Kalten Krieg scheinen die USA und Europa heute im "Kampf gegen den Terror" unaufhaltsam auseinander zu driften. Transatlantische Spannungen sind jedoch kein neues Phänomen. Der "Westen", derzeit beliebtes Paradigma in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik, war seit Anbeginn ein fragileres und vielschichtigeres Gebilde, als die simple Folie von der "Freien Welt" suggerierte. Dies nachhaltig in Erinnerung zu rufen, ist ein Verdienst des Amerikaners Ronald J. Granieri. Er untersucht die Anfänge der Westbindung der Bundesrepublik, also deren bis Mitte der 1960er-Jahre von den Unionsparteien unter Konrad Adenauer ins Werk gesetzte Einbindung in multilaterale europäische und transatlantische Organisationen.
Granieris Zielsetzung ist es, Diplomatie- und Parteiengeschichte zu verbinden, um "the attitudes behind Westbindung, the debates surrounding specific decisions and the strategies used to gain electoral support for them" zu untersuchen (XI). Sein Ansatz ist vielversprechend: Obschon seit langem wichtige Studien zur westdeutschen Außenpolitik vorliegen, analysieren nur wenige Werke die Verknüpfung von Exekutive und Parteipolitik in ihrer Bedeutung für außenpolitische Weichenstellungen. Begrüßenswert ist auch das Vorhaben, die methodisch eher konventionelle Diplomatiegeschichte durch den Einbezug gesellschafts-, kultur- und ideengeschichtlicher Aspekte zu erweitern, auch wenn Granieris Vorstöße hier letztlich etwas zaghaft bleiben.
Die in der Historiografie lange vorherrschende Diochotomie Westbindung versus Wiedervereinung hält Granieri für wenig erkenntnisfördernd. In Westdeutschland seien praktisch alle politisch relevanten Kräfte für eine Westbindung eingetreten. Nur deren Form und Finalität blieben strittig. Der Union gelang es zunächst, sich zum alleinigen Garanten der Verankerung im Westen zu stilisieren, indem sie die Frontlinien des Kalten Krieges auf Kosten ihrer politischen Konkurrenten in die Innenpolitik verlängerte und außenpolitische Erfolge wahltaktisch instrumentalisierte. So verhalf 1953 die inhaltsarme, aber medienwirksam inszenierte erste USA-Reise Adenauers der Union zu einem unerwarteten Wahltriumph. Die Vorstellungen vom "shape of West" blieben indes auch in CDU/CSU überaus disparat.
Von Anfang an bestanden in der interkonfessionellen, bürgerlichen Sammlungspartei zwei rivalisierende außenpolitische Denkschulen, die mit ihrer unterschiedlichen Konzeption des Westens den Keim für den späteren Streit zwischen "Atlantikern" und "Gaullisten" in sich bargen. Auf der einen Seite stand die Gruppe jener, die sich einem kontinentaleuropäischen christlichen Abendland verpflichtet fühlten, das als Wiege der humanistischen Zivilisation definiert wurde, vorwiegend auf Katholiken anziehend wirkte und dem eine dezidiert von der anglo-amerikanischen Welt verschiedene Identität zugesprochen wurde. Für diese Strömung war die europäische Integration Selbstzweck und Endziel. So existierte ein Gaullismus avant la lettre: "Charles de Gaulle did not intervent 'Gaullism', at least not insofar as the term implies a preference for a Europe independent of an Atlantic community" (5). Auf der anderen Seite stand eine eher säkular, norddeutsch-protestantisch bzw. marktwirtschaftlich-global ausgerichtete Gruppe, die eine größere, auch die USA und Großbritannien einschließende westliche Einheit anstrebte.
Das Changieren der Union zwischen diesen beiden, in der Einleitung prägnant skizzierten Polen bildet den roten Faden in den folgenden fünf, chronologisch angelegten Kapiteln, in denen das Agieren und Taktieren der Bundesregierung in den Vordergrund rückt. Insbesondere in der formativen Phase der westdeutschen Außenpolitik bis zur Wiedererlangung der Souveränität ruht dabei der Fokus stark auf Adenauer. In ihm verdichtet sich idealtypisch die von Granieri ausgemachte Ambivalenz der Westbindung: Selbst wenn bei Adenauer eine zunächst mehr "atlantisch", später eher "gaullistisch" orientierte Periode auszumachen ist, lässt er sich keinem Lager eindeutig zuordnen. Er einte nicht nur die Partei außenpolitisch durch eine klare Frontstellung gegen die SPD, sondern fungierte auch als zentraler Jongleur, der pragmatisch durch sorgfältiges Ausbalancieren der beiden außenpolitischen Strömungen die fragile Einheit der heterogenen Partei zu wahren verstand. Ironischerweise blieb Adenauer, der als größtes Verdienst reklamierte, Deutschlands Schaukelpolitik zwischen Ost und West beendet zu haben, so innerparteilich zu einer permanenten Schaukelpolitik gezwungen.
Da die USA aktiv den Zusammenschluss Europas unterstützten, ließ sich dieser Spagat zunächst trotz latenter Spannungen bewältigen. Bei der Entstehung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die von Ludwig Erhard und seinen Mitstreitern in der Union als zu protektionistisch attackiert wurde, diskutierte die Union erstmals öffentlich über die Konzeption des Westens. Anfang der 1960er-Jahre eskalierte die Kontroverse: Seit der Berlin-Krise und Kennedys Amtsantritt fürchtete Adenauer, die USA würden auf Kosten ihrer deutschlandpolitischen Verpflichtungen eine entspannungspolitische Einigung mit der Sowjetunion anstreben. Daher suchte er verstärkt den Schulterschluss mit dem gaullistischen Frankreich. In der Union, wo inzwischen jüngere Kräfte wie Erhard, Gerhard Schröder und Franz Josef Strauß in die erste Reihe strebten, blieb dieses Rapprochement vielen suspekt, zumal de Gaulle konsequent die bisherige amerikanische Hegemonie in Westeuropa herausforderte. Der Abschluss des Elysée-Vertrags brachte den schwelenden Streit zwischen "Atlantikern" und "Gaullisten" endgültig zur Eruption. Dieser äußerst heftig ausgefochtene Streit um die richtige Konzeption des Westens beschleunigte das Ende der Ära Adenauer und prägte noch die Kanzlerschaft Erhards.
Den ereignisreichen Weg von Adenauers erster Regierungserklärung 1949 bis zum Sturz Erhards 1966 schildert Granieri stringent, prägnant-präzise und reich an aufschlussreichen Details. Neben der umfangreichen Forschungsliteratur hat er eine Vielzahl ungedruckter archivarischer Quellen aus staatlichen Archiven und Parteiarchiven fruchtbar gemacht, darunter bislang wenig genutzte Nachlässe führender Unionspolitiker. Freilich überrascht, dass auf die Auswertung französischsprachigen Schrifttums verzichtet wurde. Die mittlerweile editorisch bis Mitte der 1960er-Jahre erschlossenen französischen Quellen hätten dem "gaullistischen" Konzept wohl noch mehr Tiefenschärfe verleihen können. Bedauern mag man, dass Granieri zwar auf konfessionelle Hintergründe der rivalisierenden Konzepte hinweist, diese aber kaum vertieft. Letztlich bleibt er stark geprägt von der Realistischen Schule der Internationalen Beziehungen. Diese sieht in dem von führenden Staatsmännern bestimmten nationalen Interesse eines Landes das entscheidende Movens der Politik. Daher akzentuiert Granieri auch die Bedeutung innerparteilicher Ränkespiele wenig, obwohl sich der Konflikt zwischen "Atlantikern" und "Gaullisten" spätestens seit 1962 immer stärker mit dem unionsinternen Machtkampf um die Kanzlernachfolge verwob und der Instrumentalisierung unterschiedlicher außenpolitischer Konzepte für persönliche Ambitionen eine, wenn nicht bisweilen sogar die entscheidende Rolle zukam.
Insgesamt jedenfalls ist Granieris kenntnisreicher, sorgfältig recherchierter und gut lesbarer Studie eine breite Leserschaft zu wünschen. Studienanfänger werden besonders ihren prägnanten Überblickscharakter schätzen, auch wenn die komprimiert-verdichtete Darstellung einen informierten Leser erfordert. Mit Gewinn werden gewiss all jene das Buch in die Hand nehmen, die bei der aktuellen Frage nach adäquater Gestaltung des Verhältnisses zwischen Deutschland, Europa und den USA auch in der Vergangenheit Orientierung suchen.
Tim Geiger