Joachim Radkau: Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens, München: Carl Hanser Verlag 2005, 1008 S., 30 Abb., ISBN 978-3-446-20675-5, EUR 45,00
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Die Biografik ist ein schwieriges Genre. Kommt man einem Leben, einem Werk gar näher, wenn man in dieser Weise schreibt? Die Antwort auf diese Frage liegt durchaus nicht auf der Hand. Dass biografisches Schreiben Konjunktur hat, dass Biografien sich so gut verkaufen, lässt sich auch als Symptom lesen. Historisch sind Zeiten der Biografik Zeiten, in denen zu wenig Fragen bewegt werden. Zeiten, die sich in Antworten retten. Aus unterschiedlichen Gründen ist Max Weber ein eher "unwahrscheinlicher" Kandidat für biografische Annäherung. Der erste und sehr gewichtige: Marianne Webers Lebensbild warf, wie Joachim Radkau noch einmal sehr genau zeigt, einen zu langen Schatten. Dieses Bild war monumental und wirkte daher verstellend. Wobei hier einzuwenden wäre, dass diese Wirkung auch ein Effekt der Überlieferungsgeschichte ist. Hinter dieser biografischen Arbeit verschwand die editorische. Was wüssten wir von Max Weber ohne Marianne Webers Arbeit an seinen Texten?
Ein "unwahrscheinlicher" Kandidat ist Weber auch, weil bei ihm das Verhältnis von Leben und Werk zu oft und zu einfach als eines der Spiegelung gesehen wurde. Als eines der Kausalität. Max Weber, der in seinen Texten mit diesem Modus des Denkens oft so schlecht zurechtkam - ein Grund, warum seine Texte auch heute noch faszinieren - wurde nach seinem Tod immer und immer wieder psychisch "erklärt": weil er psychische "Probleme" hatte.
In dieser Argumentation schnappt die Falle der Biografik zu. Etwas wird erklärt. Etwas, das nicht erklärt werden sollte. Die intellektuelle und politische Sprengkraft von Webers Texten droht stillgestellt zu werden. Im biografischen Erklärungsmuster verschwindet zu viel. Wenn Weber keine psychischen Probleme gehabt hätte, dann. Ja, was dann? Wäre er dann "Max Weber"? Im Hintergrund lauert hier eine gefährliche Vorstellung von Normalität - ein Normalitätsdiskurs, den eine Biografie gerade aufzubrechen hätte. In Radkaus Buch fehlt hier eine Vorsicht. Und genau deshalb schlägt hier Normalität an den Punkten durch, wo in "unserer" Kultur das Unbewusste ungestraft sprechen darf. Im Sprechen über Sexualität. Inszeniert wird dies an Frauen und Juden. Radkau unterschreibt ein christliches Geschichtsmodell. Seine Biografie ist als Dreischritt aufgebaut: Die Vergewaltigung der Natur. Die Rache der Natur. Erlösung und Erleuchtung. Ganz zeitgenössisch - zumindest für Deutschland im 20. Jahrhundert - liegt die Erlösung im Weib. In der Begegnung mit Else Jaffé von Richthofen scheint Weber zu sich zu finden. Ein säkularisierter Erlösungsmythos. Ebenfalls im Einklang mit äußerst machtvollen Ideologien im Deutschland des 20. Jahrhundert liegt die Gefahr - bei den Juden. Recht undistanziert spricht Radkau vom "Reizthema Juden". Bei der Thematisierung des Antisemitismus vor der Jahrhundertwende fließt ihm zu Richard Wagners "Judentum in der Musik" die Formulierung: "- Hand auf's Herz! -" in die Maschine. Im Gestus des undistanzierten Paraphrasierens finden sich hier Sätze, bei denen sich beim Lesen Erstaunen und Erschrecken die Waage halten: "antijüdische Ausfälle konnten als Zeichen von Mut und Aufrichtigkeit wirken: eines männlich-deutschen Gemüts, das kein Blatt vor den Mund nimmt und sich um die Sprachregelungen der feinen Gesellschaft nicht schert". Wer spricht hier? Ganz "unbelastet" sei die "'Judenfrage' schon zu Webers Zeiten" (683) nicht gewesen, so heißt es weiter. Wie kann sie das, wenn sie als "Judenfrage" eingeführt wird? Eine ideologische Formulierung, die einer "Lösung" harrt. Es wundert dann auch nicht, wenn der Biograf beim Schreiben über Webers Ausfall gegen Rosa Luxemburg - "Rosa Luxemburg gehört in den Zoologischen Garten" - keinen eigenen Satz findet, sondern recht lapidar bemerkt, dass diese Bemerkung "für heutige Weber-Verehrer die größte Peinlichkeit" (777) sei. Antisemitismus - eine Peinlichkeit?
Undistanziertes Paraphrasieren ist durchaus kein Ausrutscher bei dieser Art des biografischen Schreibens. Eine Biografie, die die "Wahrheit" über die dargestellte Person sagen will, rutscht leicht in diese Schreibhaltung. Den ganzen Menschen, "von den Börsenschriften bis zu den Liebesbriefen" (19), will Radkau erfassen. Seine Leitfrage ist: "Wer war Weber wirklich"? (21) Wer kann das wissen? Wer darf so etwas wissen wollen? Der Preis für diese Art der Annäherung ist hoch. Es verschwindet nicht nur historische Distanz. Es verschwindet auch die Achtung vor dem Leben eines anderen Menschen, die in der Anerkennung dessen besteht, was daran fremd bleibt. Und es verschwindet persönliche Distanz. Der Sog zur Identifizierung wird so stark, dass sie gleich im Vorwort abgewehrt wird: "Meine Frau sagte zwischendurch, meine Identifikation mit Weber werde ihr unheimlich; ich protestierte: 'Ich bin nicht Max Weber!' Wie weit ich von ihm entfernt bin, spürte ich bei der Arbeit mehr denn je." (21)
Joachim Radkaus Buch ist sicher keine Autobiografie. Doch sind die Annäherungen so dicht geraten, dass die historische Person wie überschrieben wird. Auch sprachlich. Im Buch finden sich zu viele Kurzschlüsse, die sich in gewagten Konjunktionen manifestieren: Wir lesen von den "Seltsamkeiten des Wissenschaftsbetriebs oder des Eros" (24); wir lesen: "Jaspers schwieg - und er starb noch vier Jahre vor Else, die neun Jahre älter war als er." (859) Zu viele Ausrufezeichen markieren Stellen, an denen die Argumentation abbricht. Formulierungen wie "ein Max Weber" fallen in falsche Verallgemeinerungen. Und so bleibt am Ende der Lektüre der Eindruck, dass die historische Figur hinter seltsamen Allgemeinplätzen verschwindet: "Aber in Wirklichkeit hatte Weber Humor, wenn auch nicht in allen Lebensphasen." (844) Wer hat das schon? Die Biografie schießt damit an dem vorbei, was ihre Aufgabe wäre: Mit der Skizze des Lebens auch die Texte Max Webers noch einmal und aus anderer Perspektive zu öffnen.
Barbara Hahn