David Braund (ed.): Scythians and Greeks. Cultural Interactions in Scythia, Athens and Early Roman Empire (sixth century BC - first century AD), Exeter: University of Exeter Press 2005, xii + 254 S., ISBN 978-0-85989-746-4, GBP 50,00
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Der dem durch Arbeiten zu Skythien und dem Schwarzmeerraum hervorgetretenen britischen Forscher Ellis H. Minns (1874-1953) gewidmete Band enthält Vorträge einer im Jahre 2000 in Exeter von D. Braund veranstalteten Konferenz. Die Themenschwerpunkte erschließen unterschiedliche Forschungsgebiete. In einer umfangreichen Studie befasst sich Gregory Bongard-Levin mit den Beziehungen zwischen E.H. Minns und M.I. Rostovcev im Lichte ihres Briefwechsels aus den Jahren 1913-1951. Die Anfänge der Bekanntschaft zwischen den beiden großen Skythologen waren von Reibereien nicht frei. Im Jahre 1913 publizierte Minns sein bis heute noch brauchbares monumentales Werk Scythians and Greeks (Cambridge). [1] In einer Rezension zu diesem Band wusste Rostovcev die Leistung Minns zu schätzen, gleichwohl aber übte er am Buch scharfe und mitunter erbarmungslose Kritik. Dieser zufolge soll Minns ein kompilatives und nicht originelles Buch vorgelegt haben. Alles in allem blieben freundschaftliche Beziehungen zwischen Minns und Rostovcev bestehen, besonders nachdem der russische Forscher seine Heimat 1918 verlassen hatte.
Konzise Beobachtungen zur skythischen Geschichte steuert V.Ju. Murzin im Beitrag "Key Points in Scythian History" bei, in dem er eine Art Bestandaufnahme versucht. In Anlehnung an A.I. Terenožkin verbindet er die archäologisch fassbaren Anfänge des Nomadismus in den Steppen der Ukraine (Tschernogorovka-Horizont-Funde und Objekte vom Novotscherkassk-Typ) mit den Kimmeriern. Es scheint jedoch, dass die Annahme der Präsenz der Kimmerier im nördlichen Schwarzmeergebiet im vorhandenen historischen Material keine Stütze findet. [2] Zu Recht hebt Murzin die Entwicklung der skythischen Kultur im 7. Jahrhundert nördlich des Kaukasus hervor, wobei in diesem Raum schon mehr als 100 Fundplätze belegt sind. Besondere Bedeutung räumt Murzin den Entdeckungen der polnischen und ukrainischen Archäologen in Ryžanovka ein (1995-1998, J. Chochorowski, S. Skoryj). Dort wurde ein Kurgan mit zwei nicht ausgeraubten Bestattungen freigelegt. Es handelt sich um die Bestattung eines skythischen Häuptlings und die Nachbestattung einer jungen Frau. Vollkommen erhaltene skythische Gräber stellen ein seltenes Phänomen dar; zuvor wurde ein nicht ausgeraubtes Fürstengrab der Skythen 1830 in Kul-Oba auf der Krim entdeckt. Die Erforschung des Großen-Ryžanovka-Kurgans initiierte J. Talko-Hryncewicz im Jahre 1884, danach befasste sich der Professor der Jagiellonen-Universität zu Krakow G. Ossowski mit dem Fundort (1887). Die Expedition von J. Chochorowski (Krakow) und S. Skoryj (Kiew) hatte das Glück, die Untersuchung des lange Zeit vergessenen Objektes fortzusetzen und dabei sensationelle Entdeckungen zu machen. Murzin datiert die Hauptbestattung in das 4. Jahrhundert v. Chr. Mittels archäologischer Zeugnisse ließ sich der Kurgan zunächst in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. datieren. [3] Die Radiokarbonmethode setzt die Hauptbestattung gegen 260 v. Chr. an. [4]
Auf schwieriges Terrain begibt sich A. Ju. Alekseyev in seiner Studie "Scythian Kings and Royal Burial Mounds", wenn er aus einzelnen Indizien Aussagen zur Geschichte der Skythen zu treffen versucht. So bestreitet Alekseyev die Historizität des Königs Argotas, der laut Ju. G. Vinogradov um 510-490 v. Chr. geherrscht haben soll. Die sehr materialreiche Präsentation zum Kurgan Solocha erbringt das Ergebnis, dass dort zwei Söhne des Königs Ariapeithes, Orikos und Oktamasades, bestattet worden seien. Einem wichtigen Aspekt für die Erforschung der skythischen (und sarmatischen) Epoche geht Mikhail Treister im Beitrag "Masters and Workshops of the Jewellery and Toreutics from Fourth-Century Scythian Burial-Mounds" nach. Treister prüft die zum so genannten gräko-skythischen Mischstil gezählten Objekte auf Stil und Technologie und kommt zum Ergebnis, dass manche im nördlichen Schwarzmeergebiet tätigen Goldschmiede aus Süditalien bzw. aus Makedonien stammten. So etwa verweist das Goldpektorale aus Tolstaja Mogila entweder auf die thrako-makedonische Herkunft des Herstellers oder zumindest auf eine künstlerische Inspiration aus Thrakien bzw. Makedonien. Yulia Ustinova behandelt in ihrem ziemlich kompilativen Beitrag "Snake-Limbed and Tendril-Limbed Goddesses in the Art and Mythology of the Mediterranean and Black Sea" einige ikonografische Aspekte der skythischen Kunst. David Braund greift die politischen Umstände der pontischen Expedition des Perikles auf. A.I. Ivanchik behandelt die Darstellungen der "skythischen" Bogenschützen in der athenischen Vasenmalerei der archaischen Epoche. Diese Figuren - etwa auf der François-Vase - werden in einer Bekleidung dargestellt, die in der Forschung einhellig ethnisch aufgefasst und mit den Skythen verbunden wird. Ivanchik leugnet eine solche ethnische Identifizierung und kommt zu der Erkenntnis, die so genannte "skythische" Tracht wurde von griechischen Bogenschützen und mitunter Epheben gebraucht. Mit der Präsenz der skythischen Polizisten im 5.-4. Jahrhundert v. Chr. in Athen befasst sich der Beitrag von Balbina Bäbler, der angesichts der Quellenknappheit vieles offen lässt.
In einem der besten Beiträge des Bandes greift S.D. Kryzhitskiy das Thema "Olbia and the Scythians in the Fifth Century BC" auf. Er konzentriert sich auf die Frage nach der Existenz des skythischen Protektorats über Olbia. Ein solches dauerhaftes Protektorat postulierte der bekannte Epigraphiker Ju.G. Vinogradov. Mit triftigen Argumenten widerlegt Kryzhitskiy viele von Vonogradovs Thesen und leugnet etwa die Existenz eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Olbia und dem skythischen Herrscher Skylas. Die Gestalt des Eminakos, der laut Vinogradov skythischer Herrscher gewesen sei, erscheint nun als die eines Stadtbeamten in Olbia. Kryzhitskiys Beitrag veranschaulicht, dass eine präzise Aufarbeitung des historischen, numismatischen und archäologischen Materials vom nördlichen Schwarzmeergebiet in vieler Hinsicht noch nicht erreicht worden ist.
Drei Beiträge befassen sich mit den Beziehungen zwischen griechischen Städten und Skythen sowie mit dem Machtkampf auf der Krim. V. Bylkova behandelt "The Lower Dnieper Region as an Area of Greek / Barbarian Interaction". A.A. Maslennikov präsentiert "The Developmenet of Graeco-Barbarian Contacts in the Chora of the European Bosporus" in der Zeitspanne zwischen dem 6. und 1. Jahrhundert v. Chr. M.I. Zolotaryov greift in seiner Studie "The Civic Frontiers of Tauric Chersonesus" den Verlauf der Streitigkeiten zwischen Chersonesos, Theodosia und dem Bosporos im 4. Jahrhundert v. Chr. auf. Zwei letzte Beiträge wenden sich dem Balkanraum zu. S. Saprykin bietet mit der Studie "Thrace and the Bosporus under the early Roman Emperors" eine Bereicherung der geschichtlichen Perspektive, indem er die Geschehnisse in Thrakien, im Schwarzmeerraum und im Pontischen Staat mit Bezug auf die römische Ostpolitik, insbesondere gegenüber dem Bosporanischen Reich, Kaukasus und Parthien, untersucht. Zur römischen Präsenz auf der Krim äußert sich V.M. Zubar in seinem Artikel "The Crimean Campaign of Tiberius Plautius Silvanus".
Die Bibliografie wird am Ende des Bandes zusammengestellt. Nicht einsichtig scheint das Prinzip, die Titel der russischen und ukrainischen Publikationen ausschließlich auf Englisch anzugeben. Denn es bleibt in vielen Fällen unklar, ob ein Beitrag ursprünglich auf Ukrainisch, Russisch oder Englisch publiziert wurde. So etwa wird neben dem englischen Buch Rostovcevs "Iranians and Greeks in South Russia" (Oxford 1922) der auf Russisch veröffentlichte Band "Skifija i Bosfor" unter dem Titel "Scythia and the Bosporus" (Leningrad 1925) aufgelistet. Wünschenswert wäre dagegen die Transkription der nicht englischen Titel und anschließend ihre Übersetzung gewesen. Mitunter werden russische Wortformen phonetisch ins Englische übertragen, etwa "Dakhi" (187), bei denen sich um die lat. Dahae und gr. Daai handelt.
Der Band enthält Studien von unterschiedlicher wissenschaftlicher Qualität und Relevanz. Insgesamt stellen die Beiträge eine Teilbilanz der Forschung dar und markieren auch deutlich, auf welchen Feldern weitere Ergebnisse erzielt werden können. Die vorgetragenen Ergebnisse - sowohl jene, denen man zustimmt als auch jene, denen man skeptisch gegenübersteht - werden die weitere Forschung vielfach stimulieren. [5]
Anmerkungen:
[1] Die Breite der wissenschaftlichen Interessen von E.H. Minns offenbart die Tatsache, dass er die Ausgabe der klassischen Studie "A Literary History of Russia" (übers. von H. Lovelock), London 1908, die vom polnischen Wissenschaftler Aleksander Brückner verfasst wurde, redigierte.
[2] Vgl. M.J. Olbrycht: The Cimmerian Problem Re-Examined: the Evidence of the Classical Sources, in: J. Pstrusińska / A. T. Fear (Hg.): Collectanea Celto-Asiatica Cracoviensia, Kraków 2000, 71-99.
[3] Einen chronologischen Ansatz in das erste Viertel des 3. Jahrhunderts v. Chr. bietet S. Skoryj: Osnovy archeologičeskogo datirovanija Bol'šogo Ryžanovskogo Kurgana, in: Materiały i Sprawozdania Rzeszowskiego Ośrodka Archeologicznego Bd. 19, Rzeszów 1998, 119-139. Die Studie von J. Chochorowski / J. Rydzewski / S. Skoryj, Wielki Kurhan Ryżanowski, Kraków 1999, 28 liefert eine Datierung in das zweite Viertel des 3. Jahrhunderts v. Chr.
[4] Vgl. J. Chochorowski, Radiouglerodnaja chronologija Bol'šogo Ryžanovskogo kurgana, in: J. Chochorowski (Hg.), Cimmerians, Scythians, Sarmatians. In Memory of Professor Tadeusz Sulimirski, Kraków 2004, 447-464.
[5] An dieser Stelle sei auf eine relevante kürzlich veröffentlichte Publikation verwiesen, die sich mit dem Schwarzmeerraum beschäftigt und ähnlich dem von Braund herausgegeben Buch eine Teilbilanz der Forschung liefert. Es handelt sich um den Sammelband: Jan Chochorowski (Hg.), Cimmerians, Scythians, Sarmatians. In Memory of Professor Tadeusz Sulimirski, Krakow 2004 (2005).
Marek Olbrycht