Vojtech Mastny / Malcolm Byrne (eds.): A Cardboard Castle ? An Inside History of the Warsaw Pact 1955-1991, Budapest: Central European University Press 2005, L + 726 S., ISBN 978-963-7326-08-0, USD 47,25
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Frank Umbach: Das rote Bündnis. Entwicklung und Zerfall des Warschauer Paktes 1955-1991 (= Militärgeschichte der DDR; Bd. 10), Berlin: Ch. Links Verlag 2005, IX + 701 S., ISBN 978-3-86153-362-7, EUR 34,90
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Vor 15 Jahren löste sich der Warschauer Pakt auf. Anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung des östlichen Militärbündnisses unter Hegemonie der Sowjetunion erschienen im vergangenen Jahr zwei Arbeiten, die Geschichte und Untergang der Warschauer Vertragsorganisation, so ihre offizielle Bezeichnung, untersuchten. Während Vojtech Mastny und Malcolm Byrne hierfür einen dokumentarischen Zugriff wählten, setzte Frank Umbach auf die klassische Monografie. "A Cardboard Castle" enthält insgesamt 152, zum großen Teil bislang unveröffentlichte Dokumente, die einen historischen Bogen vom Gründungs- bis zum Auflösungsakt des Warschauer Paktes spannen. Wichtige politische Schlüsselereignisse, wie die Ungarische Revolution von 1956, der Mauerbau 1961, die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 sowie die Polenkrise 1980/81 werden durch die präsentierten Dokumente ebenso eindrucksvoll geschildert, wie Strategie- und Doktrinenwechsel sowie die Bestrebungen zur Reform des Bündnisses. Dabei spiegeln die aus Archiven in Berlin, Budapest, Bukarest, Freiburg, Prag, Sofia und Warschau stammenden Aktenstücke wichtige Prozesse der Geschichte eines Paktes wider, der sich nie zum Bündnis gleichberechtigter und -rangiger Partner wandelte und unter anderem deshalb scheitern musste. Abgerundet wird der Dokumententeil des Buches durch eine umfassende Chronologie, eine thematische Auswahlbibliografie, ein Verzeichnis der Spitzengliederung im Warschauer Pakt sowie detaillierte Personen- und Sachregister, was die Handhabung des Buches beträchtlich erleichtert. Ihrer Dokumentation setzen Mastny und Byrne eine knappe und lesenswerte Einleitung voran.
Frank Umbach nähert sich der Geschichte des Warschauer Paktes mit einer kenntnis- und detailreichen Studie. Bei der knapp 700seitigen Veröffentlichung handelt es sich um die gekürzte und überarbeitete Fassung seiner Dissertation von 1996. Auf einer außerordentlich breiten Literaturbasis (das Verzeichnis der verwendeten Bücher und Aufsätze umfasst 75 Seiten) versucht Umbach, nicht nur die Geschichte des östlichen Militärbündnisses nachzuzeichnen. Zugleich bettet er den Warschauer Pakt in die sowjetische Militär- und Sicherheitspolitik von Chruschtschow bis Gorbatschow ein und ermöglicht damit wichtige Rückschlüsse auf die sowjetische Innen- und Außenpolitik im Kalten Krieg.
Die in drei Teile gegliederte Arbeit analysiert zunächst die Bedingungsfaktoren der Sicherheitspolitik der Sowjetunion, wobei vor allem die Beziehung zwischen der Kommunistischen Partei und dem Militär sowie die Rolle des sowjetischen Generalstabes bei der Formulierung und Umsetzung sowjetischer Militär- und Sicherheitsinteressen diskutiert werden. Gerade in diesem Kapitel zeigt sich eine Schwäche der Arbeit, der Verzicht auf die Nutzung inzwischen zugänglicher Archivalien. Zwar verweist der Autor darauf, dass nach 1990 allein in der Bundesrepublik 500.000 Dokumente zur Geschichte des Warschauer Paktes zugänglich wurden, doch wertet er diese ausschließlich über die Sekundärliteratur aus, was durchaus vermeidbare Lücken zur Folge hat. Aufgrund der Konzentration auf westliche Literatur überschätzt Umbach beispielsweise sowohl den Einfluss des militärischen Establishments als auch des Generalstabes auf die sowjetische Politik. Inzwischen in Moskau zugängliche Akten zeigen eindeutig, dass sich die Partei- und Staatsführung der UdSSR bei ihren außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen stets vom Primat des Politischen und damit des Ideologischen leiten ließ. Das Militär wirkte, wie die Lektüre der Quellen vor Augen führt, selten als eigenständiger Akteur. Auch im Verhältnis zwischen Rüstungsindustrie und Armee sieht Umbach eine Dominanz des Militärs. Zumindest die vor 1967 erstellten und damit zugänglichen Dokumente des Militärisch-industriell-akademischen Komplexes belegen allerdings, dass die Führung der sowjetischen Streitkräfte nur begrenzten Einfluss auf die Umsetzung der politisch initiierten Rüstungsprogramme hatte. Nicht selten erhielt die Sowjetarmee statt der behaupteten "ungewöhnlich hohe[n] Qualität der von ihr beschafften Rüstungsgüter" Erzeugnisse, die für den militärischen Einsatz absolut unbrauchbar waren und selbst gegen das Votum des Militärs von eben diesem angekauft werden mussten. Rüstungsindustrie und ZK-Abteilungen sorgten für die entsprechenden Beschlüsse des Politbüros.
Im zweiten und dritten Teil seines Buches zeigt Umbach allerdings seine analytische Stärke und bettet Aufstieg und Fall des Warschauer Vertrages eindrucksvoll in den historischen Kontext ein. Profund schildert der Autor nicht nur die allseits bekannten Schlüsselereignisse, sondern wendet sich genauso kenntnisreich Fragen nach der Änderung der sowjetischen Militärstrategie und den daraus resultierenden Wirkungen für den Warschauer Pakt wie auch dem ständigen Widerspruch zwischen dem Streben nach militärischer Integration und politischer Kontrolle zu. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt allerdings auf der Darstellung der Ära Gorbatschow und damit der Erosion des Warschauer Paktes bis hin zu seinem Zusammenbruch. Weder die Ablösung der bis dahin gültigen offensiven Doktrin durch eine Verteidigungsstrategie, noch die teilweise erfolgreichen Abrüstungsbemühungen, noch die immer wieder stecken gebliebenen Reformansätze konnten die Auflösung des Warschauer Paktes verhindern.
Um die Geschichte des östlichen Militärpaktes nachvollziehen zu können, ist die Lektüre beider Bücher unumgänglich. Beide korrigieren gängige Auffassungen und vertiefen bisher Bekanntes. Auffällig ist, dass sowohl Masty/Byrne als auch Umbach herausarbeiten, dass der Pakt in den ersten Jahren seiner Existenz ohne eigentliche militärische Funktion blieb und zunächst wohl als politisches Verhandlungsobjekt konzipiert war. Erst die zweite Berlinkrise zwang die Sowjetunion zu einer radikalen Kursänderung. Im Rahmen von gigantischen Rüstungsprogrammen sollten die Juniorpartner in die 1960 von Moskau formulierte Strategie des "allumfassenden Kernwaffenkrieges" eingebunden werden. Dazu gehörte auch deren Ausstattung mit Atomwaffenträgern, selbst wenn die Sprengköpfe unter sowjetischer Kontrolle blieben. Mit ihren osteuropäischen Hilfstruppen wollte die Sowjetunion im Konfliktfall, wie in zahllosen Manövern immer wieder geübt und bei Mastny und Byrne eindrucksvoll anhand verschiedener Kriegspläne dokumentiert, Westeuropa binnen weniger Tage überrennen. Von welchem strategischen Wert der "Gewinn" eines durch tausende von Kernwaffen tödlich verstrahlten Europas sein würde, debattierte der sowjetische Generalstab allerdings nicht. Erst 1987 löste sich der Warschauer Pakt von dem Gedanken, NATO-Territorium zu erobern. Dass knapp zwanzig Jahre später alle Mitglieder des Warschauer Paktes, außer Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion, in das westliche Militärbündnis integriert sind, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand vorhersehen.
Doch gescheitert ist der Warschauer Pakt nicht an seinen vermeintlichen Gegnern - der NATO und dem "amerikanischen Imperialismus". Er musste untergehen, da sein institutioneller Daseinszweck nicht die Integration gleichberechtigter Partner in ein gemeinsames Militärbündnis war, sondern - wie 1956, 1961, 1968 und 1980/81 zeigten - die Sicherung der sowjetischen Hegemonie über Osteuropa. Zugleich wachte im Pakt jeder Mitgliedsstaat eifersüchtig über seine "nationalen" Kompetenzen, so dass das "Rote Bündnis" als integrative Militärkoalition stets Torso blieb. Konsequenterweise brach es auseinander, als seine Mitglieder die Schwäche der Hegemonialmacht nutzten, eigene nationale Interessen zu verwirklichen.
Mastny/Byrne und Umbach zeigen deutlich, wie fundamental sich die Bündnisstrukturen zwischen der NATO und der östlichen Militärkoalition unterschieden. Die Stärke der Dokumentation "A Cardboard Castle" liegt in der Vielschichtigkeit der präsentierten Archivquellen. Sie ermöglichen einen vergleichenden und multiperspektivischen Blick hinter die Fassade des scheinbar monolithischen Bündnisses und fördern zahlreiche Risse seiner Struktur zu Tage, die den Block letztendlich sprengten. Umbach wiederum gelingt es, die zahlreichen unterschiedlichen Interessen herauszuarbeiten, die sowjetische Politiker und Militärs mit dem Warschauer Pakt verbanden. Trotz der gelegentlichen Längen und zu ausführlichen Zitate hat Umbach ein Standardwerk zur Geschichte des östlichen Militärpaktes vorgelegt. Es wird, vor allem unter dem Eindruck der stürmischen Öffnung der Archive in Osteuropa und des in Moskau trotz Schwierigkeiten zum Teil zugänglichen Materials, als wichtiger Ausgangspunkt für künftige Forschungen dienen können.
Matthias Uhl