Malcolm Byrne: Iran-Contra. Reagan's Scandal and the Unchecked Abuse of Presidential Power, Lawrence, KS: University Press of Kansas 2014, XXV + 436 S., ISBN 978-0-7006-1991-7, USD 34,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Moritz Pöllath: Eine Rolle für die NATO out-of-area? Das Bündnis in der Phase der Dekolonisierung 1949-1961, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2017
Rachel Chin: War of Words. Britain, France and Discourses of Empire during the Second World War, Cambridge: Cambridge University Press 2022
Calder Walton: Empire of Secrets. British Intelligence, the Cold War and the Twilight of Empire, London: HarperCollins 2013
"As you both know well, it is impossible to preserve freedom anywhere when the zealots take over and the rule of law is ignored." [1] Mit diesen Worten las Justice Gerhard Gesell zwei Delinquenten des Watergate-Skandals in den 1970er Jahren unmissverständlich die Leviten und formulierte zugleich eine Faustregel für das Verhältnis zwischen Exekutive und Rechtsstaat im Mahlstrom der nationalen Sicherheit. Mitte 1989 sollte Gesell nochmals mit der juristischen Aufarbeitung einer cause célèbre der amerikanischen Nachkriegsgeschichte befasst sein: Er saß über Oliver North zu Gericht und verurteilte den Drahtzieher der Iran-Contra-Affäre zu einer - überraschend milden - Bewährungsstrafe. Dass die Administration Ronald Reagans nur ein Jahrzehnt nach Watergate mithilfe des willigen Vollstreckers North sehenden Auges in einen flagranten Verfassungsbruch manövrierte, hatte viel mit Richard Nixons Skandal zu tun. Malcom Byrne kann in seiner brillanten, quellensatten Studie über Iran-Contra minutiös nachweisen, wie neben Reagan selbst vor allem CIA-Chef William Casey und andere Hardliner des sicherheitspolitischen Establishments eigentümliche Lehren aus Watergate zogen: Dass das Weiße Haus in den siebziger Jahren außenpolitisch vom Kongress immer stärker an die Kandare genommen wurde, galt ihnen als fataler Irrweg, der durch eine robuste Betonung der executive power revidiert werden müsse. Byrne veranschaulicht anhand der Iran-Contra-Verstrickungen, wie eine unterkomplexe Lesart weltpolitischer Veränderungen im Kontext einer von oberster Stelle abgesegneten Verselbständigung sicherheitspolitischer Akteure Reagan bis an den Abgrund eines Impeachment bringen konnte.
Der Sturz des Shahs im Iran sowie des Diktators Somoza in Nicaragua machten das Jahr 1979 zum annus horribilis der amerikanischen Außenpolitik. Flankiert von der demütigenden Geiselkrise in Teheran und vom sowjetischen Einmarsch in Afghanistan erschien dies vielen Strategen in Washington als Menetekel für einen Kommunismus auf der Überholspur der Systemkonkurrenz. Dass im Mittleren Osten ganz neue Kräfte - nämlich die einer islamistischen Renaissance - am Werk waren und das Abenteuer des Kreml am Hindukusch einem zutiefst defensiven Kalkül entsprang, mochten Falken der Reagan-Administration wie Jeane Kirkpatrick, Caspar Weinberger und Richard Perle nicht wahrnehmen. Byrne seziert die interessenpolitische Gemengelage der USA mit großer Umsicht: Für den Mittleren Osten gab es keinen Masterplan, weshalb der Iran unter Khomeini wahlweise als zu beseitigendes Übel oder als nützlicher Verbündeter zur Eindämmung Saddam Husseins eingestuft werden konnte. In Israel sah man das ähnlich konfus, weshalb der Judenstaat zu einem Angelpunkt der Iran-Contra-Affäre avancierte. Als sich im Libanon Mitte der achtziger Jahre eine regelrechte Geiselindustrie etabliert hatte, waren alle Ingredienzien einer fulminanten Staatsaffäre beisammen. Denn von nun an wurde die Frage nach einem Weg zur Geiselbefreiung zum ceterum censeo Reagans in Sitzungen mit seinen engsten Beratern.
Obwohl das Boland Amendment Waffenlieferungen an die Contra-Rebellen in Nicaragua untersagte, setzte North - seit 1981 Mitarbeiter im Nationalen Sicherheitsrat - alle Hebel in Bewegung, um die Vorgaben der Legislative zu umgehen. Dank seiner "reputation straight out of the Marine Corps manual" (45) gewann er rasch das Vertrauen Caseys, der die Belieferung der Contras mit Waffen bei North in besten Händen wusste. Dass die Contras in ihrem Kampf gegen Daniel Ortega der Sache des Westens dabei keineswegs zur Ehre gereichten, sondern eine lange Blutspur hinter sich her zogen, galt als quantité négligeable. Der antikommunistische Zweck heiligte die konterrevolutionären Mittel. Die dubiosen Rüstungsgeschäfte mit dem Iran, die Außenminister George Shultz ebenso bitter aufstießen wie Margaret Thatcher, liefen über Israel, was an dessen Rolle im Suezkonflikt 1956 erinnert. Immer wieder ging es darum, die Operation mit "another layer of deniability" (72) zu überziehen, um nicht zuletzt den Präsidenten aus der Schusslinie zu halten. Byrne lässt freilich keinen Zweifel daran, dass Reagan genauestens über die Finten Norths im Bilde war. Diese bescherten den zahlreichen Mittelsmännern im Übrigen erkleckliche Einkünfte, und auch die iranische Führungsschicht machte ohne viel Aufhebens eine hohle Hand. Die Beteiligung übel beleumundeter Figuren wie Monzer al-Kassars, Manuel Noriegas und Manucher Ghorbanifars, der beim Lügendetektortest der CIA spektakulär scheiterte, sind beredtes Zeugnis für "the squalid side of the covert arms business" (126). Doch auch hier verhinderten ideologische Scheuklappen und strategische Fehleinschätzungen einen unverstellten Blick auf die Realitäten im Mittleren Osten. Als das Repräsentantenhaus im März 1985 ein Hilfspaket für die Contras abschmetterte, schäumte Reagan, der lateinamerikanische Stoßtrupp des Kommunismus sei nur mehr zwei Tagesfahrten von Texas entfernt.
Byrne kombiniert unzählige Puzzleteile, um das "wishful thinking" (186) des Weißen Hauses zu dekonstruieren, welches das Ausbleiben substantieller Fortschritte in der Geiselkrise just damit zu rationalisieren trachtete, noch mehr Waffen an die Mullahs in Teheran zu liefern. Unterdessen erhöhte North den Preis für die Konterbande und konnte mithilfe des sogenannten Enterprise, abgewickelt über eine Schweizer Bank, die Rebellen in Mittelamerika alimentieren. Diese Art der Umwegfinanzierung, zu der auch antikommunistisch gesinnte Witwen und solche Zeitgenossen beitrugen, die unbedingt ein Foto mit Reagan ihr Eigen nennen wollten, war ein flagranter Verstoß gegen Buchstaben und Geist der vom Kapitol verabschiedeten Richtlinien. Organisationssoziologische Kabinettstückchen liefert Byrne bei der Analyse der Enterprise-Aktivitäten: Was North und seine Verbündeten hier unter dem Radar der Öffentlichkeit leisteten, steht in krassem Gegensatz zur Hilflosigkeit der Administration im Angesicht des nahöstlichen Purgatoriums. Die Winkelzüge Teherans entsprangen nämlich keineswegs einem monolithischen Block, sondern waren von "substantial political movement and unpredictability" (243) geprägt, was es einer ideologisch verschatteten Strategie nicht eben leichter machte, Persien intellektuell zu durchdringen.
Der Abschuss eines Enterprise-Flugzeugs über Nicaragua im Oktober 1986 sowie die Veröffentlichung eines Berichts über Amerikas Irangeschäfte in einer libanesischen Wochenzeitung einen Monat später brachten schließlich den Stein ins Rollen. Byrne bewertet die hektischen Vertuschungsversuche seitens der Administration als im Prinzip schwerwiegender als die Undercover-Aktivitäten davor. Zunächst streute das Weiße Haus unter Sicherheitsberater John Poindexter gezielt Unwahrheiten, und auch die Ansprache Reagans am 13. November enthielt ein "amalgam of misleading and untruthful statements" (262). Poindexter und North vernichteten Beweismaterial, wobei der mit einer ersten Runde der Aufarbeitung betraute Justizminister Edward Meese keine besondere Eile an den Tag legte, um sensibler Dokumente habhaft zu werden. Dass die Hauptakteure der Iran-Contra-Affäre so glimpflich davonkamen, hatte gleichwohl mehrere Gründe. Erstens erwiesen sich die Kongressausschüsse, die Licht ins Dunkel des Skandals bringen sollten, unter ihren demokratischen Vorsitzenden als handzahm. Seinerzeit wurde noch ein überparteiliches Prozedere gepflegt. Zweitens genoss Reagan in der amerikanischen Öffentlichkeit nach wie vor hohes Ansehen, was die Demokraten vor einer härteren Gangart ebenso abschreckte wie die Sorge um das amerikanische Image, vor allem mit Blick auf die Verhandlungen mit Michail Gorbatschow über ein Ende des Kalten Kriegs. So gelang es Reagan, bei dem bereits Anzeichen seiner später publik gemachten Alzheimererkrankung unübersehbar waren, als "victim of inept or unscrupulous aides" (286) mildernde Umstände attestiert zu bekommen. Drittens wurde die von Lawrence Walsh durchgeführte, sich über sieben Jahre hinziehende juristische Untersuchung durch strategische Patzer der Ankläger behindert - Walsh erschien bisweilen "tone-deaf to the realities" (329) des Washingtoner Politikbetriebs -, aber auch die Betroffenen wehrten sich geschickt und mit massiver Unterstützung des Sicherheitsapparats gegen die Anschuldigungen der Truppe um Walsh. Immerhin, so Byrne, habe Walsh gezeigt, dass Angehörige der Administration nicht sakrosankt sind, selbst wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht. Und viertens konterkarierte George Bushs Begnadigung von sechs Iran-Contra-Akteuren 1992 jegliche weiteren Bemühungen um eine juristische Aufklärung.
Die historische Aufklärung erreicht indes mit Byrnes Studie einen vorläufigen Höhepunkt. Die entscheidende Watergate-Frage nach der Verantwortung des Präsidenten beantwortet Byrne eindeutig: Reagan war die treibenden Kraft hinter der Iran-Contra-Affäre und schlug Shultz' frühzeitig ventilierte Warnungen vor der Gefahr eines Impeachment Mitte 1984 in den Wind. Reagans "shoot-from-the-hip approach" (333) musste auf North wie ein zusätzlicher Ansporn wirken. Dass North seitens vieler Republikaner als Held verehrt und sogar für einen Senatssitz nominiert wurde, warf einen langen Schatten voraus auf eine populistisch getrimmte politische Kultur, die Kompromisse als Schwäche verteufelte und einen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump erst denkbar machte. Obendrein nimmt es nicht wunder, dass Richard Cheney, der dem zur Aufklärung von Iran-Contra gebildeten Ausschuss des Repräsentantenhauses angehört hatte, in der Administration George W. Bushs das seinerzeitige Minderheitsvotum der Republikaner als Blaupause für die Irakinvasion empfahl, denn es plädierte vehement für einen umfassenden Spielraum der Exekutive auf dem Terrain der nationalen Sicherheit. Und dass Präsident Barack Obama den Umgang mit Libyen nach Gaddafi zum schwersten Fehler seiner Amtszeit deklarierte [2], spricht für eine Kontinuität des Irrtums in der amerikanischen Außenpolitik, der darin begründet liegt, langfristige Perspektiven kurzfristigen Erfolgen zu opfern. Auf der Strecke blieb so auch ein in Demokratien unerlässlicher Konsens über die Reichweite vitaler nachrichtendienstlicher Aktivitäten.
Anmerkungen:
[1] http://www.nytimes.com/1993/02/21/us/judge-gerhard-gesell-dies-at-82-oversaw-big-cases.html?pagewanted=all
[2] http://www.theatlantic.com/international/archive/2016/04/obamas-worst-mistake-libya/478461/
Gerhard Altmann