Paul Ginsborg: Berlusconi. Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg? Aus dem Englischen von Friederike Hausmann, Berlin: Wagenbach 2005, 191 S., ISBN 978-3-8031-2497-5, EUR 11,90
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Udo Gümpel / Ferruccio Pinotti: Berlusconi Zampano. Die Karriere eines genialen Trickspielers. Übersetzung der im Originaltext italienischen und englischen Teile von Elisabeth Liebl, München: Riemann Verlag 2006, 599 S., ISBN 978-3-570-50071-2, EUR 19,95
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Alexander Stille: Citizen Berlusconi. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber, München: C.H.Beck 2006, 383 S., ISBN 978-3-406-52955-9, 24,90
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Paul Ginsborg: Berlusconi. Ambizioni patrimoniali in una democrazia mediatica, Torino: Giulio Einaudi Editore 2003
Nicola Tranfaglia: Vent'anni con Berlusconi (1993-2013). L'estinzione della sinistra, 2. Auflage, Mailand: Garzanti Libri 2009
Paul Ginsborg: Italien retten, Berlin: Wagenbach 2011
Birgit Schönau: Circus Italia. Aus dem Inneren der Unterhaltungsdemokratie, Berlin: Berlin Verlag 2011
Aram Mattioli: "Viva Mussolini!". Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010
Nils Fehlhaber: Netzwerke der "Achse Berlin - Rom". Die Zusammenarbeit faschistischer und nationalsozialistischer Führungseliten 1933-1943, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019
Robert Dallek: John F. Kennedy. Ein unvollendetes Leben. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder, Bernd Leineweber, Peter Torberg, München: DVA 2003
Kilian Bartikowski: Der italienische Antisemitismus im Urteil des Nationalsozialismus 1933-1943, Berlin: Metropol 2013
Silvio Berlusconi hätte die Wahlen vom April 2006 nie verlieren, die Opposition unter der Führung von Romano Prodi nie auch nur den Hauch einer Chance haben dürfen, wenn die drei Bücher über den italienischen Regierungschef, die 2005/2006 als Einstimmung auf den Wahlkampf erschienen sind, in ihren zentralen Aussagen richtig wären. Berlusconi war ja, ihnen zufolge, nicht nur Ministerpräsident, er beherrschte nicht nur Parlament und Senat, die ihm und seinen Vertrauten ein Gesetz nach dem Anderen auf den Leib schneiderten. Er dirigierte außerdem die Presse und das Verlagswesen und natürlich das Fernsehen - das private ohnehin, weil die drei wichtigsten Sender ihm gehören, aber auch das staatliche, dessen Leitungspositionen er mit seinen Mitstreitern besetzt und ganz nach seinen Vorlieben ausgerichtet hatte. Schließlich standen Berlusconi auch noch unbegrenzte Finanzmittel zur Verfügung, die er skrupellos einsetzte, wenn es galt, politische oder geschäftliche Probleme zu bereinigen.
Trotz dieser schier unbegrenzten Machtfülle ist aber alles ganz anders gekommen. Prodi hat Berlusconi als Regierungschef abgelöst, und das Amt des Staatspräsidenten bekleidet mit Giorgio Napolitano ein Veteran aus den Reihen der alten kommunistischen Partei, die Berlusconi im Wahlkampf künstlich wieder belebt und zum riesigen Popanz aufgebaut hatte, um die vielfach längst anachronistischen antikommunistischen Leidenschaften noch einmal ausbeuten zu können. Es hat alles nichts genützt.
Ist damit auch die Berlusconi-Literatur zur Makulatur geworden? Nein. In den drei Büchern, die hier besprochen werden, steckt zu viel Recherchefleiß und empirische Information, als dass man sie als wertlos abtun und einfach beiseite legen könnte. Das gilt vor allem für die Rekonstruktion der Biografie von Berlusconi. Alexander Stille, der italienisch-amerikanische Starjournalist, Paul Ginsborg, der bedeutende britische Historiker, und das deutsch-italienische Enthüllungsduo Udo Gümpel und Ferruccio Pinotti haben hier alles zusammengetragen, was man über einen Menschen wissen kann, der seinen Aufstieg aus dem Kleinbürgertum Mailands zu einer strahlenden Erfolgslegende verwandelt hat, ansonsten aber zumal dann eisern schweigt, wenn Fragen nach den Wurzeln seines Reichtums gestellt werden. Dass Berlusconi allen Anlass hat, die Dinge auf sich beruhen zu lassen, und dass er viele krumme Touren beschritten hat, dafür haben insbesondere Gümpel und Pinotti zahlreiche Indizien gefunden, ohne dass sie aber stichhaltig beweisen könnten, ob Berlusconis Startkapital von der Mafia, aus dem Vatikan oder von den in Italien noch immer äußerst einflussreichen Freimaurern stammte. Verbindungen und engste Kontakte hatte Berlusconi zu den Finsterlingen und kriminellen Eminenzen aller Richtungen; überall war er mit dabei, wo das große Geld winkte. Woher es kam, war ihm anscheinend egal, und auch die Frage, ob es bei der Wiederverwendung nach Recht und Gesetz zuging, beschwerte sein Gewissen nicht.
Gümpel und Pinotti machen aus ihrer Empörung über Berlusconis gefräßige Gier nach Geld und Einfluss kein Geheimnis. Von geradezu missionarischem Aufklärungseifer erfüllt, reihen sie Beispiel an Beispiel für kriminelle Machenschaften, in deren ubiquitärer Präsenz der Leser schließlich jede Orientierung verliert. Alexander Stille ist in dieser Hinsicht verlässlicher und ausgewogener. Er sagt, was zu beweisen ist und was nicht, und er verschweigt auch nicht, dass Berlusconi ein Geschäftsmann der Extraklasse ist, der Märkte riecht, weiß, was die Kunden wollen, und seine Mitarbeiter zu besonderem Engagement zu motivieren versteht.
Bleibenden Wert hat neben der Rekonstruktion der Biografie die Darstellung der Nähe zur Politik, die Berlusconi spätestens nach seinem Einstieg in das Privatfernsehen systematisch gesucht hat, wie Stille betont, dessen Buch auch in dieser Hinsicht dem Vorzug zu geben ist. Eine besondere Rolle spielt hier der Parteichef der Sozialisten, Bettino Craxi, der in den Achtzigerjahren das Patt zwischen den Christdemokraten und den Kommunisten nutzte, um seine kleine Partei im Zentrum der Macht zu etablieren. Dabei war ihm auch die Monopolstellung des staatlichen Fernsehens RAI ein Dorn im Auge, das seine politischen Kontrahenten bis dahin stark begünstigt hatte. Craxi setzte sich an die Spitze der Befürworter des privaten Fernsehens und traf sich hier mit Berlusconi, der unter den Restriktionen der italienischen Medienrechte litt und jede Lockerung, die Craxi als Regierungschef erzwang, mit barer Münze belohnt zu haben scheint.
Die innige Männerfreundschaft verlor ihren Wert im gegenseitigen Nutzen, als das Parteiensystem der ersten italienischen Republik unter der Last beispielloser Korruptionsskandale in sich zusammenbrach. Craxi verließ das Land und entzog sich damit der Strafverfolgung, während Berlusconi - wie er später sagte - selbst in die Politik gehen musste: Er hatte riesige Schulden, war in das Visier der Staatsanwälte geraten und drohte bei einem wahrscheinlichen Sieg der Linksparteien einen Teil seines Medienimperiums zu verlieren, das er sich unter der Schirmherrschaft von Craxi aufgebaut hatte.
Gümpel und Pinotti widmen Berlusconis Einstieg in die Politik, seinem ersten kurzen Gastspiel im Amt des Regierungschefs, seiner politischen Rekonvaleszenz in der Opposition und seinem sensationellen Comeback als Ministerpräsident von 2001 nur wenige Abschnitte. Der Leser greift hier besser zu Stille und - noch besser - zu Paul Ginsborg, der ihm nicht nur alle wesentlichen Etappen der Karriere Berlusconis und seine skandalösen, aber häufig erfolgreichen Versuche, die Politik zur Magd seiner Geschäftsinteressen zu machen, vor Augen führt, sondern auch zwei Bereiche thematisiert, die selbst von Alexander Stille kaum beachtet werden. Gemeint ist, erstens, die Frage nach den Ursachen für die Wahlerfolge Berlusconis, die Ginsborg zumindest ansatzweise durch Hinweise auf wirtschaftliche Problemlagen und eklatante Reformdefizite erklärt, und gemeint ist, zweitens, die Stoßrichtung von Berlusconis Politik, sein politisches Projekt, das sich, so Ginsborg, "auf tiefgreifende Veränderungen in der gegenwärtigen Gesellschaft und zugleich auf Innovationen des Neoliberalismus stützen kann". Berlusconi habe den Ehrgeiz, "in einem modernen demokratischen Staat eine persönliche charismatische Herrschaft zu etablieren". Sein Erfolg sei ein Beleg für die Fragilität demokratischer Systeme, die Entwicklung in Italien sage "sehr viel über zentrale Probleme der modernen Welt".
Vermutlich liegen aber gerade in dem Bemühen, in Berlusconi mehr sehen zu wollen, als er ist, und ihm paradigmatische Bedeutung für die Gefährdung westlicher Demokratien zuzumessen, einige der entscheidenden Defizite der drei zu besprechenden Bücher. Der Riese, ja der Moloch, zu dem Berlusconi dabei fast zwangsläufig aufgebaut wird, zwingt alles in seinen Bann. Vor allem tritt die Tatsache in den Hintergrund, dass Berlusconis eigene Partei Forza Italia nie aus eigener Kraft regieren konnte. Selbst auf dem Höhepunkt ihres Einflusses im Jahr 2001 konnte sie nur rund ein Drittel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. Sie war und blieb auf Bündnispartner wie die Lega Nord und die Alleanza Nazionale angewiesen, die partiell ganz andere Ziele verfolgen als Berlusconi, der deshalb - häufiger als ihm lieb war - auch in die Rolle des Moderators eines prekären Machtkartells schlüpfen musste und nur selten den omnipotenten Macher geben konnte, als der er in der Berlusconi-Literatur erscheint.
Noch schwerer fällt ins Gewicht, dass auch die italienische Gesellschaft in dem Schatten zur Unkenntlichkeit versinkt, den Berlusconi in den ihm gewidmeten Büchern wirft. Italien sei kein "normales" Land mehr, die Pressefreiheit habe ausgedient, die Fundamente des Rechtsstaates seien morsch, das Parlament sei zu einem "nutzlosen Organ", zu einem "Blinddarm im Körper der Nation" (Stille, 280) geworden. Italien sei, mit einem Wort, von Berlusconi in eine Mediendiktatur verwandelt worden, ohne dass es die vom ewigen Fernsehkonsum gänzlich benebelten Bürger auch nur bemerkt hätten.
Gefährdungen dieser Art sind (auch in anderen Ländern) nicht zu bestreiten. Sie haben aber auch Gegenkräfte auf den Plan gerufen, die sich mit den alten Oppositionsparteien verbündeten und umso größere Attraktivität entfalteten, als Berlusconi letztlich alles schuldig blieb und nichts von dem zu halten vermochte, was er 2001 groß versprochen hatte. Die politische Entzauberung ließ sich nicht kaschieren - nicht einmal von einem alles erfassenden, hochmodernen Fernsehimperium, dessen Prägekraft, so scheint es, in der Vielfalt der Programme und Kanäle verfällt und längst nicht die Wirkung hat, die ihm oft zugeschrieben wird.
Hans Woller