Paul Ginsborg: Italien retten (= Politik bei Wagenbach), Berlin: Wagenbach 2011, 142 S., ISBN 978-3-8031-2655-9, EUR 10,90
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Birgit Schönau: Circus Italia. Aus dem Inneren der Unterhaltungsdemokratie, Berlin: Berlin Verlag 2011
Paul Ginsborg: Berlusconi. Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg? Aus dem Englischen von Friederike Hausmann, Berlin: Wagenbach 2005
Aram Mattioli: "Viva Mussolini!". Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010
Paul Ginsborg: Berlusconi. Ambizioni patrimoniali in una democrazia mediatica, Torino: Giulio Einaudi Editore 2003
Nicola Tranfaglia: La transizione italiana. Storia di un decennio, Mailand: Garzanti Libri 2003
Roberto Saviano / Giovanni Di Lorenzo: Erklär mir Italien! Wie kann man ein Land lieben, das einen zur Verzweiflung treibt?, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2017
Nicola Tranfaglia: Vent'anni con Berlusconi (1993-2013). L'estinzione della sinistra, 2. Auflage, Mailand: Garzanti Libri 2009
Harald Jähner: Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945 - 1955, 2. Auflage, Berlin: Rowohlt 2019
Italien feiert dieser Tage seinen 150. Geburtstag und ist deshalb in aller Munde. Die Artikel- und Bücherflut ist kaum mehr überschaubar. Vor allem Journalisten und Politiker melden sich zu Wort - mit Paul Ginsborg auch ein britischer Historiker, der 2009 die italienische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Ginsborg ist einer der besten seines Faches - seine Werke zur Geschichte Italiens nach 1945 und zu Berlusconi haben wegen ihrer raffinierten methodischen Herangehensweise, der Breite der behandelten Aspekte und der Originalität des Urteils Maßstäbe gesetzt.
Mit seinem neuen Buch hat Ginsborg sich ganz Großes vorgenommen: "Salviamo l'Italia" (Retten wir Italien), heißt der historische Ratgeber, der 2010 in Italien herausgekommen und jetzt bei Wagenbach erschienen ist. Entsprechend wuchtige Fragen stehen im Mittelpunkt: Lohnt es sich überhaupt Italien zu retten? Wovor eigentlich? Wer kann das gefährdete Land mit welchen Mitteln vor dem Untergang bewahren? Welche Rolle sollte das schließlich in Sicherheit gebrachte Italien in der modernen Welt spielen? Zu jeder dieser Fragen, so Ginsborg, "habe ich nach den Antworten des Risorgimento gesucht und sie mit den unseren verglichen". Aus dieser Kombination ergäben sich wertvolle Aufschlüsse und Fingerzeige für die Gegenwart.
Warum? Ginsborg verlässt sich hier vor allem auf die Suggestivität von schönen Zitaten - Carlo Pisacane, Alessandro Manzoni, Ippolito Nievo und vor allem Carlo Cattaneo werden in den Zeugenstand gerufen -, er sagt aber nichts über die Kriterien der Auswahl, geschweige denn, dass hinreichend klar würde, welchen Erklärungswert die im Übrigen kaum kontextualisierten Stimmen aus dem 19. Jahrhundert für die ganz anders gelagerten Gegenwartsprobleme wirklich haben.
Ginsborg will letztlich nichts Geringeres als ein Rezept für die Rettung Italiens vorlegen. Höher hinaus kann man nicht wollen. Ambitionen und Antworten stehen freilich in einem krassen Missverhältnis. Die erste Antwort ist klar, sonst gäbe es kein Buch: Natürlich muss man Italien retten; nicht auszudenken, wenn Ginsborg zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Die zweite ist an Pauschalität und - ihrer Zwillingsschwester - an Banalität kaum zu übertreffen: Italien wird durch die zu mächtige katholische Kirche bedroht, ferner durch die Allgegenwart des Klientelismus, außerdem durch die Ideenarmut der Linken und schließlich durch eine neuartige Form der Diktatur, die eigentlich aber doch keine ganz richtige ist.
Die ganze überzogene Fahrigkeit des Buches wird gerade in diesem Punkt besonders deutlich. Ginsborg lässt keinen Zweifel daran, dass er Berlusconi für das Hauptübel Italiens hält. Plausible Gründe für diese These, die über die Repetition der immer gleichen Schlagworte hinausgingen, bietet er aber nicht. Stattdessen sucht er Zuflucht bei einer Art feuilletonistischem Vergleich mit Mussolini, der - nolens volens - zu einer Verharmlosung des Faschismus führen muss.
Auch die dritte Antwort lässt den Leser ratlos zurück. Rettung erhofft sich Ginsborg von der "nachdenklichen Mittelschicht" , der er aber selbst nicht recht traut, weil sie sich nach Phasen intensiver Politisierung immer wieder schmollend ins Privatleben zurückzieht und Italien sich selbst überlässt. "Diese Einstellung ist leider typisch für die große Mehrheit der italienischen Intellektuellen heute." Nicht viel besser steht es um den wichtigsten prospektiven Bündnispartner dieser reichlich amorphen Mittelschicht. Gemeint sind die unteren Bevölkerungsschichten, die freilich dummerweise zu großen Teilen Berlusconi und die Lega Nord wählen - und sich erst noch von diesen Bindungen emanzipieren müssten, ehe sie als Bündnispartner bereit stünden. "Für ein solches Bündnis", so Ginsborg, "wäre idealerweise eine Führung erforderlich, die nicht parteipolitisch gebunden, nicht an persönlicher Macht interessiert und in der Lage ist, zu einen statt zu teilen". So einfach kann Politik sein, wenn man die Augen schließt und sich seinen Träumen überlässt.
Diese Bereitschaft muss man auch mitbringen, wenn es um Italiens künftige Rolle in der modernen Welt geht. Italien müsse sich auf seine eigentlichen Stärken besinnen, die im wirren Auf und Ab der Geschichte verschüttet worden seien. Konkret heißt das für Ginsborg: Italien solle auf "Selbstverwaltung, verstanden als Prozess der Selbsterziehung", setzen, mehr Engagement für ein demokratisches Europa zeigen, sich das Prinzip der Gleichheit an die Fahnen heften und - ja wirklich - die Tugend der Sanftmut kultivieren. Italien - eine "sanftmütige Nation", am besten unter der Führung des heiligen Franziskus! Wer wünschte das nicht, und welchem anderen Land wünschte man das nicht?
Kein Zweifel: Italien ächzt unter der Last von Berlusconi und wird es - angesichts erdrückender Schulden, einer seit langem stagnierenden Wirtschaft und eines beispiellosen Reformstaus - auch in einer Zukunft ohne ihn schwer haben, sich in der globalisierten Welt zu behaupten. Die Lage ist also ernst. Gäbe es aber nur Rezepte von der Art "Salviamo l'Italia", wäre sie ganz hoffnungslos.
Hans Woller