Jiří Kosta: Die tschechische / tschechoslowakische Wirtschaft im mehrfachen Wandel (= Wirtschaft. Forschung und Wissenschaft; Bd. 13), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, 300 S., ISBN 978-3-8258-8739-1, EUR 29,90
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Dieses Buch enthält zwar nichts Neues - alle 13 Einzelbeiträge liegen in Form von Aufsätzen oder Kapiteln in monografischen Darstellungen bereits im Druck vor. Dennoch ist es aus vier Gründen bemerkenswert: Erstens zählt Jiří Kosta zu den bedeutenden tschechischen Wirtschaftshistorikern der älteren Generation, und die Publikation stellt eine Bilanz seines Lebenswerks dar (1). Zweitens war Kosta während des "Prager Frühlings" selbst an der Konzeption einer neuen Wirtschaftspolitik für den "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" beteiligt; gerade für diese Periode meldet sich somit ein wichtiger Zeitzeuge zu Wort. Drittens verdeutlicht die Gegenüberstellung älterer und neuerer Aufsätze, wie sich Kostas Wirtschaftskonzeption im Lauf der Jahre durch die historische Erfahrung gewandelt hat - weg von planwirtschaftlich-dirigistischen Elementen, hin zu einer marktgeregelten Wirtschaftsordnung. Viertens zeigt der Band, wie sehr sich die Disziplin Wirtschaftsgeschichte seit den 1980er-Jahren verändert hat.
Die 13 zwischen 1975 und 2001 publizierten Abhandlungen gliedern sich in zwei Teile. Der Erste gibt einen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung der Tschechoslowakei bzw. der Tschechischen Republik von 1918 bis Mitte der 1990er-Jahre. Sie war geprägt durch eine Reihe von Transformationsprozessen, die eng mit dem mehrfachen politischen Systemwandel zusammenhingen: Von der relativ liberalen Marktwirtschaft der Zwischenkriegszeit führte der Weg über die gelenkten Wirtschaftsordnungen der NS-Okkupation und der Volksdemokratie in den Staatssozialismus sowjetischer Prägung, bis die "Samtene Revolution" von 1989 die Rückkehr zu einer liberalen Wirtschaftsordnung ermöglichte.
Besonderes Augenmerk legt Kosta auf die Außenwirtschaft und die Außenhandelspolitik, denen nach dem Zerfall des wirtschaftlichen Großraums der Habsburgermonarchie große Bedeutung zukam. Nur am Rande thematisiert er dagegen Strukturdefekte, die bereits die Wirtschaft der Ersten Republik belasteten - etwa die eklatante Kapitalschwäche, die Dominanz der krisenanfälligen Leichtindustrie sowie starke regionale Disparitäten. Während Kosta in der Handelspolitik der ČSR Licht und Schatten sieht, stellt er ihrer regionalen (und damit zugleich nationalen) Strukturpolitik ein schlechtes Zeugnis aus, wobei freilich zu berücksichtigen wäre, dass staatliche Erschließungsmaßnahmen Zeit brauchen, um greifen zu können - und diese Zeit hatte die Ersten Republik bekanntlich nicht.
Der umfangreichste Abschnitt ist der Ausprägung des "zentral-administrativen Planungssystems sowjetischen Typs" gewidmet, dessen Übernahme - so Kostas Kernthese - "in einem hochindustrialisierten Land, wie es die Tschechoslowakei darstellt, nicht angemessen war." (87) Die systembedingte Unfähigkeit, die Planungen an sich ändernde Verhältnisse anzupassen, führten unter anderem zur Vernachlässigung des Privatkonsums, Vergeudung von Ressourcen und zu mangelnder Innovationsbereitschaft. Die daraus resultierende schwere ökonomische Krise wurde zum Katalysator der Reformpolitik der 1960er-Jahre, die Kosta eingehend analysiert: von der Rezeption älterer Theoriedebatten über die historischen Rahmenbedingungen bis zu den wirtschaftlichen Reformkonzepten, die auf eine spezifische Kombination von "Plan" und "Markt" hinausliefen. Da der "Prager Frühling" jedoch niedergeschlagen wurde, noch ehe die ehrgeizigen Konzepte in der Praxis Früchte tragen konnten, krankte die Wirtschaft der ČSSR während der so genannten "Normalisierung" weiter an den Defiziten des staatssozialistischen Wirtschaftssystems. Eine neuerliche Reformbewegung Mitte der 1980er-Jahre kam zu spät, um den Kollaps der ökonomischen wie der politischen Ordnung noch aufzuhalten. Obwohl der anschließende Transformationsprozess mit großen ökonomischen und sozialen Problemen einherging, steht für Kosta fest, dass der Übergang zu Marktwirtschaft und Rechtsstaat schon Mitte der 1990er-Jahre unumkehrbar gewesen ist.
Bei diesem Überblick fällt auf, dass die Jahre der deutschen Okkupation völlig ausgeblendet bleiben. Zwar existierte von März 1939 bis Mai 1945 kein tschechoslowakischer bzw. tschechischer Staat, die tschechische Wirtschaft jedoch erfuhr in dieser Phase durch die erzwungene Integration in den "großdeutschen Wirtschaftsraum" einschneidende Veränderungen. Auch das Wirtschaftssystem der Übergangsperiode zwischen der Befreiung 1945 und der kommunistischen Machtübernahme von 1948 wird nur sehr knapp geschildert: Das volksdemokratische Regime scheint nicht als eigenständige Phase mit alternativen Entwicklungschancen auf, sondern lediglich als Vorgeschichte des kommunistischen Wirtschaftssystems. Diese Lücke ist umso bedauerlicher, als zwischen 1938 und 1948 wichtige Weichen auf dem Weg vom Markt zum Plan gestellt wurden.
Der zweite Teil des Buches umfasst sieben eher theoretisch ausgerichtete Beiträge, die die enorme Bandbreite von Kostas Forschungsinteressen aufzeigen. Hier geht es beispielsweise um "Marx und die sozialistische Wirtschaft", um "sozialistische Werte und ökonomische Systeme" oder um einen Vergleich zwischen dem westdeutschen Wirtschaftswunder und der ökonomischen Transformation in der Tschechoslowakei nach 1989. Immer wieder geht es in diesen anregenden Aufsätzen um die Charakteristika und den Grundwiderspruch realsozialistischer Wirtschaftssysteme, die zwar einerseits einen emanzipatorischen Anspruch erhoben, ihre Bürger jedoch ökonomisch am Gängelband führten.
Augenfällig ist bei der Lektüre dieser älteren Texte nicht zuletzt, wie sehr sich die Disziplin der Wirtschaftsgeschichte seither gewandelt hat. Kosta untersucht die ökonomische Entwicklung aus der Vogelperspektive, wobei er sich in erster Linie statistischen Materials bedient. Weitgehend ausgeklammert bleiben dagegen Institutionen, Normen und kulturelle Faktoren sowie die Basiseinheiten der Produktion - Unternehmen und Betriebe. Freilich verbergen sich hinter der scheinbaren Eindeutigkeit statistischer Daten oft genug differenzierte Realitäten. So stellt Kosta, um nur ein Beispiel zu nennen, im internationalen Vergleich die Volksrepublik China als Beispiel für die erfolgreiche Einführung von Marktmechanismen in eine staatssozialistische Wirtschaftsordnung dar, hat dabei jedoch nur die in der Tat imposant wirkenden Wachstumsdaten vor Augen. Dieser Sichtweise entgeht, dass das System der Arbeitseinheiten (Danwei), das fast alle Lebensbereiche der Beschäftigten berührt, großen Konformitätsdruck erzeugt und Eigeninitiative lähmt, nach wie vor nicht angetastet wurde.
So lässt sich Kostas Lebensbilanz auch als Agenda der zukünftigen Forschung zur Wirtschaftsgeschichte der Tschechoslowakei lesen. Eine jüngere Historikergeneration wird auf die Neue Institutionen-Ökonomie, den Corporate Governance-Ansatz und nicht zuletzt auf die unternehmensgeschichtliche Perspektive, die sich in den letzten Jahren als überaus fruchtbar erwiesen haben, zurückgreifen müssen, um die auf der Makroebene gewonnenen Erkenntnisse durch Studien, die auf der Meso- und Mikroebene ansetzen, zu ergänzen und zu differenzieren. Es bleibt zu hoffen, dass Jiří Kosta sie als elder statesman noch lange wohlwollend-kritisch begleiten wird.
Jaromír Balcar